Donnerstag, 29. Dezember 2016

Die Dunkelheit. Das Licht.


Du Dunkelheit, aus der ich stamme
von Rainer Maria Rilke

Du Dunkelheit, aus der ich stamme,
ich liebe dich mehr als die Flamme,
welche die Welt begrenzt,
indem sie glänzt
für irgend einen Kreis,
aus dem heraus kein Wesen von ihr weiß.

Aber die Dunkelheit hält alles an sich:
Gestalten und Flammen, Tiere und mich,
wie sie's errafft,
Menschen und Mächte -

Und es kann sein: eine große Kraft
rührt sich in meiner Nachbarschaft.

Ich glaube an Nächte.

***

You darkness from which I come
by Rainer Maria Rilke,
translated by David Whyte

You darkness from which I come,
I love you more than all the fires
that fence out the world,
for the fire makes a circle
for everyone
so that no one sees you anymore.

But darkness holds it all:
the shape and the flame,
the animal and myself,
how it holds them,
all powers, all sight -

and it is possible: its great strength
is breaking into my body.

I have faith in the night.

***

May all my readers have faith in the all-embracing darkness, the source of our strength and our silence - and our light. I wish you courage and wisdom for your journey through the year 2017.

Mittwoch, 21. Dezember 2016

Mein Weihnachtsgruß, mit den Worten von Thich Nhât Hanh


 Diesen Post hatte ich am Wochenende vorbereitet, als Weihnachtsgruß an meine Blogleserinnen und -leser. Dann geschah der Anschlag in Berlin. Wie das so üblich ist, haben jetzt viele Menschen entschiedene Meinungen und wissen genau, was nun getan werden muss. Ich weiß es nicht. Ich möchte schweigen zu dem, wofür mir die Worte fehlen. Aber vielleicht zeigt dieser Weihnachtstext, den ich unverändert stehenlasse, den heilsamen Weg, den wir miteinander gehen sollten.

***

Früher habe ich das Weihnachtsfest gerne in buddhistischen Praxiszentren verbracht, zum Beispiel in Plum Village bei Thich Nhât Hanh. Mit Respekt feierten die vietnamesischen Mönche und Nonnen mit uns die Geburt Jesu; ein Mythos, mit dem sie sich ohne zu zögern verbinden konnten, denn sie lasen den Mythos so, wie er gelesen werden muss: Als Metapher für unsere eigene Göttlichkeit; als ein spirituelles Geschehen in uns selbst, das wir - durch Praxis oder auch durch Gnade - selbst erfahren können und müssen.
 
Probleme mit dieser Geschichte hatten nur einige der Gäste - sie waren aus ihrem westlichen Alltag geflohen, um diesem für sie grässlichen Fest zu entrinnen, das ihnen nichts sagte, und fanden sich wieder in einer Weihnachtsfeier mit Weihnachtsliedern aus aller Welt, Plätzchen und Lichtern überall. Ich erinnere mich an Wutausbrüche und ein paar sehr plötzliche Abreisen. Sie hatten noch nicht begriffen, dass Religion im Tiefsten weder theologisch noch historisch erfasst werden kann. Jede Religion ist ein Mythos, der uns etwas über uns selbst erzählt. Auch die Geschichte über das Kind in der Krippe hat mit uns selbst zu tun. Ich habe ein paar Aussagen von Thich Nhât Hanh zum Weihnachtsfest zusammengestellt, aus dem Buch "Dialog der Liebe. Jesus und Buddha als Brüder" aus dem Verlag Herder.

*** 

"Vor zweitausend Jahren wurde der Welt das Kind Jesus geboren. Jesus Christus wird auch heute noch geboren, sooft du den Samen des Heiligen Geistes in dir berührst. Die Evangelien beschreiben, wie der Himmel sich öffnete, als Johannes Jesus taufte, und wie der Heilige Geist wie eine Taube zu ihm herabfuhr und in ihn einströmte. Fortan konnte Jesus Wunder vollbringen und den Menschen Kraft schenken und sie heilen.

Die Samen des Heiligen Geistes liegen in uns allen, wir müssen ihnen nur Nahrung geben und sie hegen und pflegen, damit sie sich entwickeln können. Wir, die wir Achtsamkeit praktizieren, glauben, dass der Heilige Geist das Äquivalent zur Energie der Achtsamkeit, d. h. zur Energie des Buddha, ist.

Wir sterben so oft am Tag. Wir verlieren uns so oft am Tag. Wenn du dich nicht um Achtsamkeit bemühst, verlierst du Tag für Tag dein Leben und hast keine Chance, wiedergeboren zu werden. Erlösung und Auferstehung sind weder bloße Begriffe noch Objekte des Glaubens. Sie sind unsere tägliche Praxis. Wir üben auf eine Weise, dass in jedem Augenblick unseres täglichen Lebens der Buddha und Jesus Christus wiedergeboren werden - nicht nur am Heiligen Abend. Das ist an jedem Tag möglich, in jeder Minute.

Wenn du, während du Kaffee trinkst oder dein Kind an die Hand nimmst und mit ihm spazieren gehst, wirklich da bist, ganz präsent und gesammelt, dann nimmt deine Freude an Kraft zu. Dann verstehst du besser, was um dich herum geschieht. In dir ist ja Achtsamkeit, in dir ist Konzentration, dein Geist ist gesammelt. Und deine Achtsamkeit, dein gesammelter Geist und deine Einsicht bewirken, dass deine Freude und dein Frieden an Intensität zunehmen. Das hat universale Gültigkeit. Du kannst viel tun, damit diese Kräfte in dir wachsen. Du kannst sie zu einem Fundament deines Handelns machen, zum Fundament deines Praktizierens, zum Fundament deines ganzen Lebens - zu deinem geistigen Erbe. Tust du das, wirst du feststellen, wie unendlich reich du in spiritueller Hinsicht bist."

**
Mit diesen Worten wünsche ich meinen Blogleserinnen und -lesern ein stilles oder auch lebhaftes, schönes Weihnachtsfest. Lassen wir unser Licht leuchten.

Donnerstag, 15. Dezember 2016

John Rutter "Christmas Lullaby"


Zum Einstimmen auf Weihnachten.

Ein kalter dunkler Wintertag geht über in die Nacht.
Der gefrorene Nebel auf den Ästen im Garten.
Das blauweiße Licht des Dezembers an einem Spätnachmittag.
Im Haus ist es still.
Auf dem Tisch Kerzen, Tee, die ersten Weihnachtsplätzchen.

John Rutter.
Jetzt muss ich John Rutter hören.


Sonntag, 11. Dezember 2016

Weihnachten naht - schenkt Bücher!


Bücher sind ein schönes, willkommenes, nicht so teures und immer lebenspendendes Geschenk! Ich empfehle hier mal sechs Bücher (ich hätte auch zwanzig gefunden), die mir Jahr für Jahr Freude machen. Vier Romane, eine Familiengeschichte, ein Journal. Allen ist eins gemeinsam: Die Autoren haben eine eigene, wunderschöne Sprache.

Kazuo Ishiguro "Was vom Tage übrigblieb". Das Selbstgespräch des Butlers Stevens, der dreißig Jahre bis zur Selbstaufgabe auf Darlington Hall gedient hat. Nur wir Leser begreifen, was Stevens leugnen muss, um sein Selbstbild und seinen Lebenssinn zu retten: Er hat seine Untergebene geliebt und es nicht bemerkt. Jetzt reist er zu ihr nach Cornwall ...

John Berger "Auf dem Weg zur Hochzeit". Ninon hat nicht mehr lange zu leben, aber sie will Gino heiraten, und Gino will sie retten. Es findet eine riesige Hochzeit in Gorino statt, zu der der Vater der Braut mit dem Mororrad aus Frankreich anreist, die Mutter aus Bratislava mit dem Bus. Ein Buch voller Lebensfreude und Wärme vor dem Hintergrund der Melancholie.

Edmund de Waal "Der Hase mit den Bernsteinaugen". De Waal erzählt die Familiengeschichte der Ephrussis, indem er eine Nesuke - einen winzigen japanischen Gürtelschmuck - durch die Länder und die Jahrhunderte gehen lässt, durch die Kriege, den Reichtum und die Verarmung - und die Familiengeschichte ist seine eigene.

Dominique Sigaud "Annahmen über die Wüste". Es ist Krieg, in der Wüste liegt ein toter Soldat. In wunderschönen Bildern entfaltet Dominique Sigaud die Geschichte der Liebesbriefe, die der Mann bei sich trägt. Eine große Stille und leise Trauer liegt über dem Buch. Ich liebe es.

Adriaan van Dis "Ein feiner Herr und ein armer Hund". Der Flaneur Mulder streift durch Paris, durch die Viertel der Schönen und Reichen und die der Armen. Begleitet von einem fabelhaften Hund, der mit afrikanischen Einwanderern nach Paris kam. Wir begegnen einem Vietnamesen, der in einem Pappkarton lebt, einem kleinen schwarzen Mädchen und einer schönen Frau aus Sri Lanka. Und es gibt auch ein paar sehr aufregende Begebenheiten.

Peter Handke "Gestern unterwegs". Mein Allezeit-Lieblingsbuch: das Journal der Reisen von Peter Handke 1987 - 1990. Miniaturen, zeilenknapp. Beobachtungen am Wegrand, so lange betrachtet, bis sich der genau passende, der einzig richtige Ausdruck dafür einstellt. Ein Buch, das ich nie "auslesen" werde.

Dies ist eine ganz persönliche Zusammenstellung; die Bücher habe ich mir selbst gekauft, und ich mache hier keine Reklame für Verlage oder Online-Buchhändler. Wer sich dafür interessiert, findet die Bücher im Internet.


Und, hmm, kleine Werbung: Alles über meine lieferbaren Bücher findet man in der rechten Spalte - Klick aufs jeweilige Cover. Die nicht mehr im Handel lieferbaren gibt es bei mir, z. B. mein "Kinderbuch für Kinder von 8 bis 80" "Die erste und einzige Geschichte vom Gedankenland".

Mittwoch, 7. Dezember 2016

Frau Irgang bäckt für Weihnachten: Mandelschnittchen


Der Teig:

220 gr glutenfreies Kuchenmehl (normales Weizenmehl geht auch)
50 gr gemahlene Mandeln
60 gr Rohrohrzucker
1 Prise Salz
2 Eier
100 gr kalte Butter in Flöckchen

Alle Zutaten verkneten und 20 Minuten in die Kälte stellen. Auf Backpapier ca. 0,5 cm dick ausrollen und bei 180° ca. 8 Minuten vorbacken.

Der Belag:

100 gr Butter
200 gr Mandelblättchen
80 gr Rohrohrzucker
1 Päckchen Vanillezucker 
2 EL Honig
4 EL Aprikosenmarmelade

Mandeln, Butter, Zucker und Honig in einer Pfanne zum Simmern bringen. Die Aprikosenmarmelade auf den vorgebackenen Boden streichen, die noch warme Mandelmasse darüber verteilen. Weitere 15 Minuten backen, bis die Oberfläche karamellisiert ist.

Noch warm aufschneiden und einen guten Tee dazu kochen!

Freitag, 2. Dezember 2016

Schwester Theresia Raberger: "Alles ist ein Leben"


Schwester Theresia Raberger ist ungewöhnlich: Franziskaner-Nonne, Zen-Priesterin, Mystikerin, Heilpädagogin und Tierschützerin. Nach Jahrzehnten der Arbeit für schwer erziehbare Jugendliche, Prostituierte und Drogenabhängige leitet sie heute die Tierschutzstelle im Felsentor, dem Meditationshaus, das Zenmeister Vanja Palmers in der Schweiz gegründet hat. In diesem Buch erzählt sie der edition steinrich-Verlegerin Ursula Richard, wie sie dorthin gekommen ist, warum ihr Tiere so am Herzen liegen und wie sie ihr Christentum in Einklang bringt mit dem Zen.

In der Genesis heißt es: "Als die Menschen noch verbunden waren mit Gott, sprachen sie auch geschwisterlich mit den Tieren." Natürlich entschied sich die junge Theresia Raberger für den Orden des Heiligen Franziskus, der so innig mit den Tieren lebte. Mit der Kirche und den vorgeschriebenen Ritualen hatte sie dann aber doch ihre Probleme. Erst bei den christlichen Mystikern fand sie, was sie unbewusst gesucht hatte: die Ganzheit, in der Gott nicht mehr außerhalb des Menschen lebt. Und dann begegnete ihr das Zen: "Sonst war so viel Theologie, Interpretation und Vermittlung zwischen mir und dem Göttlichen, aber im Zen ist der Weg so kurz, von Angesicht zu Angesicht, von Herz zu Herz."

Besonders sind auch die Tiere, die im Felsentor leben. Wir lernen Anton, den Hausschweineber, kennen, der einem Paar zur Hochzeit geschenkt wurde, das sich aber nicht überwinden konnte, ihn als Schnitzel auf dem Teller wiederzufinden. Oder das blinde, taube und gehbehinderte Schwein Babuschka, dem es guttut, gebürstet zu werden, weil das seinen Kreislauf in Schwung bringt. Und geradezu berühmt ist Nandi, der Stier, der auf spektakuläre Weise aus dem Schlachthof ausbrach. Nicht zu vergessen: das Hühner-Altersheim!

Großes Vergnügen hat mir die Geschichte von der Hundetrainerin gemacht, die Schwester Theresia unbedingt beibringen wollte, mit ihrem Hund Nuria mit Worten zu kommunizieren. Aber die beiden kommunizierten seit jeher wortlos miteinander - was Schwester Theresia dachte, führte Nuria sofort aus. (Auf diese Weise war ich immer mit meinen Katzen verbunden. Es gibt eben nur den einen Geist, den wir alle miteinander teilen.)

Und so sind all die Schafe, Kühe, Hühner, Schweine, Ziegen, Hunde und Katzen, die im Felsentor in Freiheit und Frieden leben dürfen, auch Zen-Lehrer für die Kursteilnehmer und Wanderer, die vorbeikommen: "Unter allen Worten und Bildern ist ein Raum der Stille, der auch um die Tiere ist", sagt Schwester Theresia. Sie sitze im Zendo immer "mit allen Wesen, mit der menschlichen Verfasstheit und mit dem Leid der Tiere. Die Tiere sitzen auch. Alle sitzen gemeinsam."

Meine Lese-Empfehlung: Das etwas andere Zen-Buch Theresia Raberger "Alles ist ein Leben", edition steinrich, Berlin, ISBN 978-3-942085-564. 

(Wegen Rechtsunsicherheit als Werbung gekennzeichnet.)

Und hier der Link  zur Tierschutzstelle im Felsentor.

Montag, 28. November 2016

Die gute Wahl


Es war einmal (vor gar nicht langer Zeit) ein Rabbi, der mit seinen Schülern arbeitete, indem er alle Gefühle, mit denen sie sich schwer taten, in sich selbst erweckte. Der Schüler sagte also, er habe große Angst. Der Rabbi antwortete sanft: „Auch ich habe Angst.“ Und dann erschuf er dank seiner Präsenz einen Raum, in dem der Schüler und er gemeinsam die Angst aushalten konnten – wortlos und miteinander atmend. Der nächste Schüler sagte vielleicht, „Ich bin neidisch“, und der Rabbi antwortete sanft: „Auch ich bin neidisch.“ Die Methode des Rabbi funktionierte wunderbar, und seine Schüler galten als freie, mitfühlende, erwachte Menschen. Eines Tages erschien ein Schüler in dem kleinen Raum vor dem Rabbi und sagte herausfordernd: „Rabbi, du behauptest immer, alle Gefühle in dir zu haben, aber was ist mit dem Hass von Hitler?“ Der Rabbi schwieg lange, dann schickte er den Schüler aus dem Raum und bat ihn, die Tür zu schließen. Am Abend kam er wieder heraus, tränenüberströmt, und trat vor seine versammelten Schüler. „Nun bin ich siebzig Jahre alt“, sagte er. „Wie konnte ich all die Jahre den Hass von Hitler in mir übersehen?“

Hass, Gier, Angst und Sehnsucht nach allem, was uns vermeintlich glücklich machen wird, sind nicht "dort draußen" - in Diktaturen, Terrororganisationen, rechtsgerichteten politischen Kreisen. Sie sind in uns allen angelegt. Nach der US-Wahl strömten in meinen Posteingang die Mails von buddhistischen Lehrern und die der Schüler von Thich Nhat Hanh, und alle fragten auf irgendeine Weise: Was sollen wir jetzt tun? Wenn wir uns in Aktivitäten verwickeln, verschenken wir das Einzige, was wir tatsächlich tun können: Die Gefühle wahrzunehmen und sie in der sanften Präsenz unserer Achtsamkeit auszuhalten. Sie, wie Thich Nhat Hanh es formuliert, zu „umarmen“ – so lange, bis sie sich aufgelöst haben. Und sie werden sich auflösen! Das ist das Geheimnis der Praxis des Zen: Absolut wach sein für alles, was im Inneren geschieht, es genau wahrnehmen in all seinen Facetten, nicht unterdrücken, nicht mit Erklärungen zudecken, nicht davonlaufen, nicht ausagieren, sondern aushalten und ..... Aaah! Ich bin frei von dieser Last!

Wenn wir dies zu unserer Praxis machen, immer wieder aufs Neue, wenn es uns selbstverständlich geworden ist, dann werden wir eine gute Wahl treffen, wenn wir dazu aufgerufen sind – politisch, beruflich, persönlich. Eine Wahl, die nicht vom Ego bestimmt ist und nicht von unserer Unbewusstheit - sondern von etwas ganz, ganz Anderem. 

Was das ist, müsst Ihr selbst entdecken.

Donnerstag, 24. November 2016

Thanksgiving - Dank sagen

Kalligrafie von Thich Nhat Hanh

Wie an jedem vierten Donnerstag im November ist heute in Kanada und den USA Thanksgiving Day. Auch wenn dieser Tag auf die Pilgerväter zurückgeht und wohl anfangs eine Art Erntedankfest war, das zusammen mit den Native Americans gefeiert wurde - die Aussagen darüber gehen auseinander -, ist es heute eher ein Familienfest. Jede Familie hat da so ihre Rituale, auf die sich alle schon lange freuen; der Tag wird intensiv vorbereitet, es gibt fast immer einen riesigen Truthahn, und die ganze Familie kommt von weither zusammen und versammelt sich um den Tisch. Und dann - jedenfalls in meiner Familie ist das so - dankt jeder Einzelne gewissenhaft und gut vorbereitet und mit einer Liste versehen (bloß niemanden vergessen!) jedem Menschen, jedem Tier und jedem Ding, der/die/das etwas für diese Person getan hat.

Und deshalb möchte ich heute und hier mal danken. Meine Liste war lang, ich habe sie gekürzt, und die Reihenfolge ist völlig willkürlich. Also:

➤ Ich danke allen meinen Lehrern - vor allem dem unvergleichlichen Thich Nhat Hanh.
➤ Ich danke dem Nachbarskater dafür, dass er mir immer wieder erlaubt, mit ihm zu spielen (Ja, so herum stimmt es).
➤ Ich danke meinen Verlagen dafür, dass sie gerne meine Bücher verlegen (Sollte man ruhig mal sagen).
➤ Ich danke meiner Nachbarin, die, als ich krank war, stillschweigend meinen Hausputzdienst übernommen hat.
➤ Ich danke meinem alten Auto dafür, dass es jeden Tag anspringt. 
➤ Ich danke meinem auch nicht mehr jungen Computer dafür, dass er meine Einfälle prompt und ohne zu murren auf den Bildschirm bringt.
➤ Ich danke auch meinem wirklich sehr alten Herd dafür, dass er noch nie einen Kuchen verbrannt hat.
➤ Ich danke meinen Leserinnen und Lesern für die vielen schönen Briefe und E-Mails und meinen Seminarteilnehmern für ihre Treue.
➤ Ich danke meinen Blogleserinnen und -lesern fürs Lesen und Kommentieren.
➤ Ich danke meinen Freunden dafür, dass sie mich wieder in ihr Leben einlassen, wenn ich, die Eremitin, meine Eremitage gelegentlich verlasse.
➤ Ich danke meinem Mutter-Land Deutschland dafür, dass es aus seiner Geschichte gelernt hat und heute weiß, was die wichtigen Werte sind.
➤ Ich danke meinem Vater-Land Amerika dafür, dass es mir dieses Gefühl von Freiheit und Weite schenkt, geografisch und geistig. 

A deep bow of gratitude. Ich verbeuge mich in Dankbarkeit.

Samstag, 19. November 2016

Peter Handke "Bin im Wald, kann sein, daß ich mich verspäte"


Welch ein wunderbarer, ruhiger Film. Er nimmt sich Zeit: für das Licht, den Regen, das Rinnen der Tropfen an einer Fensterscheibe. Lauscht: einem Autor (den ich für den wichtigsten der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur halte), seinem Sprechen, das ein Suchen ist nach der Wahrheit des Augenblicks im Augenblick; ein Sprechen, das keine Floskeln kennt, das nichts bereits Gedachtes in Worte "kleidet" wie in ein Kostüm. Ein Film, der Fragen stehenlassen kann, ohne auf Antworten zu beharren, und der Autor stellt viele Fragen, leise, ins Offene hinein. Was ist Schreiben? Darf man überhaupt schreiben? Was ist erzählen? Wie soll man leben?

Peter Handke schneidet Pilze. Steckt seinen "Gedankentrampelpfad" im Garten mit Muscheln ab. Bestickt ein Hemd. Sagt, er habe irgendwann beschlossen, dass nichts je zuvor gesehen und erzählt worden sei und dass er deshalb die Berechtigung habe, es auf seine Weise zum ersten Mal zu sehen und zu erzählen. Nichts in diesem Leben ist selbstverständlich, wird als gegeben hingenommen. Das Zusammensein mit Menschen, er deutet es an, ist ihm mehr Qual als Freude.

Ein Eremit in einem verwunschenen Garten in einem Vorort von Paris.

Zum Schluss liest er eine Passage aus seinem Stück "Über die Dörfer". Als ich das Kino verlasse, ist es dunkel und regnet; im nassen Asphalt spiegelt sich die Neonschrift des kleinen Kinos in der Vorstadt, in dem nur wenige Menschen waren. Ich nehme einen der letzten Sätze mit, für den Heimweg, für die nächsten Tage, ach, für lange lange Zeit:

"Geh in deinen eigenen Farben."

Montag, 14. November 2016

Groundlessness, tenderness, sadness: our teachers. Bodenlosigkeit, Zartheit, Traurigkeit: unsere Lehrerinnen


Das buddhistische Magazin Lion's Roar hat amerikanische buddhistische Lehrer gefragt, wie sie mit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten umgehen. Hier die Antwort der Nonne Pema Chödrön, die auch für andere schwierige Umstände hilfreich ist:


"During difficult times like this, I'm feeling that the most important thing is our love for each other and remembering to express that and avoid the temptation to get caught in negative und aggressive thinking. Instead of polarizing, this is a chance to stay with the groundlessness. I've been meditating and getting in touch with a deep and profound sadness. It's hard to stay with that much vulnerability but that's what I'm doing. Groundlessness and tenderness and sadness have so much to teach us. I'm feeling that it's a time to contact our hearts and to reach out and help in any way we can."

"In solch schwierigen Zeiten spüre ich, dass das Wichtigste unsere Liebe füreinander ist; wir sollten nicht vergessen, sie auszudrücken, und der Versuchung widerstehen, uns in negativem und aggressivem Denken zu verfangen. Anstatt zu polarisieren, können wir dies als Gelegenheit sehen, in der Bodenlosigkeit zu bleiben. Ich habe meditiert und bin mit einer tiefen und dunklen Traurigkeit in Berührung gekommen. Es ist schwer, in so viel Verletzlichkeit zu verweilen, aber ich tue es. Bodenlosigkeit, Zartheit und Traurigkeit können uns so viel lehren. Ich spüre, dass dies eine Zeit ist, in der wir uns mit unserem Herzen verbinden und die Hand ausstrecken sollten, um zu helfen auf jede uns mögliche Weise."

 Pema Chödron

Montag, 7. November 2016

Herbst-Notizen:wabi sabi


Und wieder ist die Zeit der Farblosigkeit gekommen. Deshalb poste ich hier gern noch einmal meine Betrachtungen aus dem November vor einem Jahr.

Einige Jahre studierte ich chanoyu, den "Weg des Tees", bei uns eher bekannt als japanische Teezeremonie. Dort lernte ich das Prinzip des wabi sabi kennen, das Herz der Zen-Ästhetik. Sabi bezeichnet alles, was mit der Zeit gereift ist und sich vollendet hat. Es hat die Ausstrahlung von Ruhe und Würde, ist gezeichnet vom gelebten Leben, ist vielleicht verwittert und voller Risse. Für das Zen ist sabi der Inbegriff einer Schönheit, die nicht aufdringlich ist, sondern in sich ruht. Wabi wiederum wurde von Teemeister Rikkyu eingeführt als Reaktion auf die Prunksucht der Samurai. Der Teeraum, die Zeremonie und alle Geräte sollten nicht nur sabi, sondern auch wabi sein: schlicht und einfach, geradezu ärmlich.

Der Herbst ist wabi sabi.

Der Sommer prunkte mit einer Überfülle an Blumen, Früchten und Farben. Wir wussten gar nicht, wo wir zuerst hinschauen sollten: Alles war bunt, leuchtend und duftend. Der Sommer ist vorbei und hat sich vollendet im Herbst. Keine prallvollen Apfelbäume mehr - stattdessen eine Handvoll verschrumpelter Äpfel im Gras. Keine wogenden Maisfelder mehr - nur noch ein paar übriggebliebene Körner auf dem Feldweg. Die strahlenden Sonnenblumen sind zu Mönchen geworden; sie senken ihre Köpfe mit den schwarzen Kapuzen fast demütig. Aber dann, unvermutet in einem Hinterhof, ein Ausbruch von Gold, wie der eine goldene Faden in einem abgetragenen Tuch, die eine beim Brennen zufällig entstandene Farbspur in einer alten Teeschale.

Wer jetzt an einem Spätnachmittag, wenn die Nebel am Flussufer aufsteigen, über die Feldwege geht, kann dem Herbst begegnen. Das ist jener ältere Herr, der ein wenig abgerissen und ärmlich aussieht, aber so würdevoll ist und so viel Ruhe ausstrahlt. Es tut gut, sich in der Nähe dieses Herrn aufzuhalten. Man wird ruhig dabei. Und vielleicht ein wenig würdevoll.

Donnerstag, 3. November 2016

Bilder aus der Schwarzwald-Stille: Albi Maier



Vor nahezu 30 Jahren zog ich aus München auf einen 1000 m hohen Berg im Schwarzwald. Es dauerte ein Jahr, bis ich - immer noch das Lenbachhaus, die Alte und die Neue Pinakothek im Herzen - mich an einen Besuch im winzigen örtlichen Museum wagte. Ich streifte die Bilder mit meinem Blick. Hmm, nun ja ... Als ich mich schon abwenden wollte, sah ein Bild mich an. Es sah direkt in mich hinein, ohne Umweg über den Geist, der keine Gelegenheit hatte, es zu bewerten. Es zeigte einen verschneiten Schwarzwaldhof und war von einem mir nicht bekannten Maler namens Albi Maier.

Das Bild spiegelte mir die Eremitin in mir mit ihrer Sehnsucht nach Stille und Einsamkeit. Es machte mir klar, dass es richtig gewesen war, München zu verlassen und in einen Schwarzwaldhof zu ziehen - in genau solch einen Hof wie auf dem Bild, mit dem tief gezogenen Walmdach, das mir damals so viel Geborgenheit gab. Wenn im Dezember der Schnee fiel in dicken Flocken und innerhalb von einer Stunde das ganze Dorf weich einwickelte, kam die Stille. In der nichts, absolut nichts mehr zu hören war als das zarte Huschen von Flocken, die sich auf Flocken türmten. Es war die tiefste Stille, die ich je erfahren habe. Dieses Bild des unbekannten Malers enthielt genau jene Stille, und ich sah, ganz konkret mit meinen Augen: Diese tiefe Stille ist in mir, immer und überall. Ich brauche sie nur zu berühren.

In den folgenden Jahren pilgerte ich immer wieder einmal zu "meinem" Bild und erlaubte ihm, meine Stille zu wecken.




Im Skimuseum Hinterzarten ist jetzt eine große Ausstellung der Bilder von Albi Maier zu sehen. Wie riesige sanfte Tiere ducken sich die Schwarzwalddächer in den Schnee oder die Frühlingswiese, werden eins mit der Natur, erweisen sich selbst als Natur. Meine Fotos, in der Ausstellung gemacht, geben die Schönheit der Bilder nicht ansatzweise wieder. Deshalb am besten die website von Albi Maier anschauen: Hier (klick)

Mittwoch, 12. Oktober 2016


"Es sind nicht wir, die durch das Leben gehen.

Es ist das Leben, das durch uns geht."

Hazrat Inayat Khan

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"It is not us who walk through life.

It is life which walks through us."

Hazrat Inayat Khan

Mittwoch, 5. Oktober 2016

Dank an ein Kleid


Nun ist unsere gemeinsame Zeit also zu Ende. Sie hat immerhin zwanzig Jahre gedauert; das hätte ich nicht gedacht, als ich dich kaufte, damals, als ich mir dich eigentlich gar nicht leisten konnte. Du warst eben nicht von Hasi & Mausi und nicht aus irgendwelchen Kunstfasern, sondern aus reinem Leinen. Zweilagig. Unten weiches grobes Leinen, darüber ein Hauch von Leinengaze. Wenn ich dich trug, guckten die Leute, aus jeweils eigenen Gründen. Du warst lang, als alle anderen Kleider kurz waren. Ein Mann bezeichnete dich als "Kartoffelsack", und eine Stylistin, die mir im Fernsehstudio begegnete, attestierte dir "edle fließende Schlichtheit". Du hast polarisiert, obwohl du die Sanftheit selbst warst. Das wundert mich bis heute.

Wir haben viel miteinander erlebt. Das große Geburtstagsfest von W., als wir bis nach Mitternacht tanzten. Abendessen, Konzertbesuche. Und beim Gedenkgottesdienst für meinen Bruder in Georgia bei 35 Grad im Schatten ("Please don't wear black") kam deine lavendelblaue Kühle gerade recht.

Jetzt ist deine zarte Leinengaze voller Löcher, und dein Lavendelblau ist vom Schweiß rosa verfärbt. Ich brauchte zwei Jahre, um zuzugeben, dass wir uns trennen müssen. Im August trug ich dich ein letztes Mal, zum Einkaufen im Supermarkt um die Ecke. Kurz dachte ich daran, aus deinem Leinen noch etwas zu machen (man nennt das heute "upcycling"), aber ich brachte es nicht über mich. Du bist nicht als Geschirrtuch gedacht.

Du hast mich umhüllt, geschützt, erfreut und vielleicht, manchmal, ein wenig schöner gemacht. Heute werde ich dich in Plastik wickeln und in eine dieser Kleidertonnen tun. Wird dich irgendwo auf der Welt noch irgendjemand tragen wollen? Ich glaube es nicht. 

Vielleicht ist es mir auch lieber so.
 

Donnerstag, 29. September 2016

Amy Sackville "Reise nach Orkney"


Früher las ich ein Buch pro Tag; man traf mich immer mit einem Buch unterm Arm an; sogar beim Warten an der roten Ampel klappte ich mein Buch auf und las rasch ein paar Zeilen. Heute lese ich privat nur noch selten Belletristik. Mich ermüden dieses Kreisen um das eigene Ich (das es gar nicht gibt ...) und die unendlichen Beziehungsdramen, die der "Stoff" sind, aus dem Romane im Allgemeinen bestehen. Aber ab und an bekomme ich von der Redaktion einen Roman auf den Schreibtisch, den ich nach einer Seite schon so liebe, wie ich früher Bücher liebte. Vor ein paar Monaten bekam ich also das Buch "Reise nach Orkney" von Amy Sackville.

Der Literaturprofessor Richard heiratet seine vierzig Jahre jüngere beste Studentin; sie wünscht sich die Hochzeitsreise auf eine einsame Insel der Orkneys, einem Archipel in Schottland. Es ist Herbst, die See ist rau, der Wind tobt; die Frau, deren Namen wir nie erfahren, ist in ihrem Element, sitzt stundenlang am Strand, spricht mit den Robben und wird immer mehr zu einem wilden Wesen der Natur. Während Richard am Fenster steht, seine Frau nicht aus den Augen lässt und nichts von ihr begreift, absolut nichts.Weil er zu ihrem Inneren keinen Zugang findet, versucht er, sie über ihr Äußeres zu begreifen und verfängt sich doch nur in seinen eigenen Projektionen. (Das kennt wohl jede Frau, die ein wenig anders ist als andere, vielschichtiger, nicht einzuordnen, nicht festzuhalten ...) Kann Richard dieses Naturwesen wirklich in seine kleine Londoner Wohnung mitnehmen, um mit ihm stille Abende am Kamin zu verbringen?

Also doch ein "Beziehungsdrama"? Nein. Hier werden Atmosphären evoziert, unterschwellige Stimmungen hörbar gemacht, ohne sie zu benennen. Wie bei jedem Buch interessiert mich auch bei diesem die Geschichte im Grunde nicht. Mich interessiert Sprache - genaue, schöne, leuchtende, ungewöhnliche Sprache. Amy Sackville findet immer neue Bilder für den Wechsel des Lichts, für Kälte und Wärme, für das Aufbäumen des Meeres im Sturm. Die Sprache ist das eigentliche Ereignis des Buches.


Amy Sackville "Reise nach Orkney", wunderbar übersetzt von Eva Bonné, Luchterhand Verlag, ISBN 978-3-630-874357

Hier (klick) meine Besprechung im SWR zum Hören

Dienstag, 27. September 2016

Weitblick


... mal wieder den weiten Blick einschalten ... 

... in der klaren Luft, in der man atmen kann und besser sieht ... 

... und manches, was vorher so riesig aussah, ist auf einmal ganz klein ... 

... so klein, dass man damit spielen könnte ...

... so hübsch auch und harmlos, wie man das noch nie bemerkt hatte ...

... und diesen Weitblick dann mit ins Tal nehmen und nicht zulassen, dass er an Mauern zerschellt ... 

(Sonntag auf dem Kandel)
 

Donnerstag, 25. August 2016

Mondbetrachtung


Vor zwanzig Jahren, als Plum Village noch keine feine Meditationshalle hatte, keine warmen Duschen und, sagen wir mal, auf mönchische Art reduziertes Essen, lebte Thay (Thich Nhat Hanh) in seiner Hütte im Upper Hamlet und lud - wenn wir das Glück hatten, gerade an Vollmond dort zu sein - uns alle auf die Wiese vor seiner Hütte ein, um den Mond zu betrachten. Mondbetrachtung, lernte ich, ist in Vietnam eine weit verbreitete Ehrung des Mondes, und die Vietnamesen, die nach meiner Erfahrung sonst sehr plauderfreudig sind, verfolgen den Mondaufgang in andächtigem Schweigen. In unserem Fall wurde jemand, der gerade seine Flöte dabei hatte, gebeten, den Mondaufgang mit der Flöte zu begleiten.

Als der Mond im August voll wurde, war ich krank, und weil in solchen Momenten nichts "zu tun" ist (außer, dem Immunsystem Ruhe zu gönnen, damit es seiner Arbeit nachgehen kann) und auch wunderbarerweise nie Langeweile aufkommt (Augen und Ohren sind auf Spar-Modus geschaltet, und die Winzigkeiten, die sie verkraften können, sind hochinteressant und ganz und gar außergewöhnlich), widmete ich mich auf meinem Balkon der Mondbetrachtung.

Sonntag, 21. August 2016

Ich bin angekommen. Ich bin zu Hause. I have arrived. I am home.


Ich möchte mit Euch und Ihnen meine allereinfachste Art der Meditation teilen, die ich überall und jederzeit durchführen kann. Weder brauche ich ein Kissen dafür noch einen besonderen Ort, nicht einmal die von mir so geliebte (äußere) Stille ist Bedingung. Ich brauche mich nur an einen Satz zu erinnern, den Thich Nhât Hanh uns gegeben hat (mein Lieblingssatz von ihm): Ich bin angekommen, ich bin zu Hause.

Dieser Satz führt uns sofort und geraden Wegs in die Wahrheit: die Wahrheit dessen, was wir tatsächlich sind. Wer schon eine Zeitlang meditiert, weiß natürlich: Mein wahres Wesen ist weder dieser Körper noch dieser ständig denkende Geist; beide sind nur Erscheinungen, die sich aus der Essenz des wahren Seins heraus manifestieren und wieder auflösen, in die Essenz hinein. Was aber sind wir dann? Wir sind eben dieser Urgrund aus Stille und Ruhe, in dem sich alle Phänomene des Lebens ereignen. Wir sind der Raum, in dem sie sich zeigen; wir sind der Himmel, den die Wolken durchziehen. Und dieser Urgrund ist immer da, wir haben nur nicht gelernt, ihn wahrzunehmen, weil wir zu sehr mit den Phänomenen befasst waren, die sich unablässig manifestieren - den Gedanken, Gefühlen, körperlichen Empfindungen, und im Äußeren den Menschen, Tieren und allem, was an Schönem und Schrecklichem uns umgibt.

Auf diese grundlegende Wahrheit weist der Satz von Thich Nhât Hanh hin. Am Anfang wird er meist verstanden als eine hilfreiche Übung zum Ruhigwerden, zum Zu-Sich-Kommen, um, wie es das Zen sagt, "Geist und Körper wieder zusammenzubringen". Das ist völlig in Ordnung, das ist im Alltag wichtig und ohnehin die Vorbedingung für alles Tiefere, das folgen wird. Aber wirklich verstehen werden wir diese Anweisung erst, wenn wir schon ein wenig weiter sind auf der Reise des Erwachens. Ich bin angekommen. Ich bin schon da, ich bin immer schon da gewesen, in meinem wahren Wesen. Wie könnte ich mein wahres Wesen verfehlen? Ich brauche es nicht zu suchen, ich brauche mich nur zu erinnern: Ich bin zu Hause. Ich war seit jeher zu Hause, immer und überall.

Dieser Satz erschafft eine große innere Stille und Ruhe in mir. Manchmal gehe ich durch die Fußgängerzone (wer mich kennt, weiß, dass ich nur im äußersten Notfall in die Stadt fahre), neben mir rennen Menschen mit prallen Einkaufstüten, die Straßenbahn schrillt, weil wieder ein Hund auf dem Gleis ist, unter dem Gewölbe der Sparkasse, wo die Akustik so sagenhaft ist, steht wieder eine dieser anscheinend in Massen durch die Welt reisenden Panflötentruppen in buntgewebten Umhängen und spielt das unvermeidliche "El Condor Pasa", und ich, die gerade eben den doch sehr heftigen Impuls hatte, auf der Stelle nach Hause zu fliehen, weiß wieder: Ich bin zu Hause. Ein Moment des Innehaltens, ein Atemzug, und mein Geist ist heimgekehrt an den Ort, an dem er zur Ruhe kommt, weil er dort schon immer in Ruhe weilte.

An manchen Orten fällt mir das Erinnern leicht (Blumenwiese, Seeufer), an manchen gar nicht leicht (neulich im vollgestopften Großraumabteil des ICE ...). Aber ich bin mir nach all den Jahrzehnten im Zen bewusst: Mein wahres Zuhause ist nur einen Atemzug "entfernt". Es ist bei mir, wohin ich auch gehe. Du brauchst dich nur daran zu erinnern, sagt der Satz von Thich Nhât Hanh. Dann suchst du nicht mehr im Äußeren nach Erfüllung, wenn auch vielleicht nur für diesen einen Moment. Und dann kommt vielleicht ein weiterer dieser Momente, und so wird das Erinnern ganz leicht und sanft in den Geist eingepflanzt wie ein Same:

Ich bin angekommen. Ich bin zu Hause.

Sonntag, 14. August 2016

Was ist Achtsamkeit?


Vor etlichen Jahren hatte ich das Privileg, meine Mutter in den letzten sieben Stunden ihres Lebens begleiten zu dürfen. Sie lag auf der Intensivstation, konnte nicht mehr sprechen und tauchte nur ab und an aus dem Dämmerzustand auf, in den die Schmerzmittel sie versetzt hatten. Ich saß an ihrem Bett und nahm jede ihrer Regungen wahr, um ihr geben zu können, was sie brauchte. Sie hatte Durst, sie wollte ein Taschentuch, sie wollte, dass ich meine Hand auf ihre lege. Ich wusste all dies mit unfehlbarer Sicherheit, weil ich mich in ihr Sein eingefädelt hatte; sie und ich waren nicht mehr getrennt, sondern ein Wesen, das miteinander atmete, fühlte und empfand. Es war ein Ausnahmezustand, ein Zustand des Nicht-Getrenntseins, den ich in der Meditation auf dem Kissen zuvor manchmal empfunden hatte, aber nie sieben Stunden lang! Etwas in mir wusste, dass diese Erfahrung ein Geschenk war. Eine Stunde, nachdem meine Mutter gestorben war, stiegen auf einmal schmerzhafte Erlebnisse aus meiner Kindheit in mir auf, und ich bemerkte, dass ich aus der Verbundenheit zurückgefallen war in die Begrenztheit meines Ichs. Es fühlte sich schrecklich an, als hätte ich die Freiheit verloren und wäre zurück in meinen Körper gepresst worden, in eine viel zu enge Haut.

Wo war mein "Ich" in diesen sieben Stunden, während meine Hände Durst stillten, Schweiß abwischten, streichelten? Es gab nur völliges Präsentsein in jedem Augenblick, es gab höchste Achtsamkeit auf alles, was geschah und benötigt wurde. Aber es gab kein Ich, das sich bewusst war, achtsam zu sein.

Wir alle kennen das Gefühl der Trennung zwischen "mir" und "dem anderen" und "der Welt". Diese Trennung ist so schmerzhaft, dass wir Verbundenheit herstellen möchten, indem wir Mitgefühl und Liebe entwickeln, Aufmerksamkeit und Freundlichkeit, Gelassenheit und Geduld. Irgendwann habe ich, ganz nebenbei und in einer alltäglichen Situation, begriffen, dass mein vermeintlich so wertvolles Bemühen im Grunde ein Ausdruck meines Widerstands gegen das Leben ist. Bemühen muss ich mich nur, wenn ich mich nicht völlig und ohne Wenn und Aber einlasse auf das, was das Leben mir in diesem Moment präsentiert.

In den Grenzsituationen unseres Lebens können wir etwas Erstaunliches entdecken: All diese Qualitäten, um die wir uns so bemüht haben, stehen uns mühelos zur Verfügung, denn sie ruhen seit jeher in uns, in unserer wahren Natur. Wenn wir anwesend sein dürfen, während ein Kind geboren wird oder auch nur eine kleine Katze, oder wenn wir jemanden in den Tod begleiten dürfen, fällt auf einmal jeder Widerstand gegen das Leben von uns ab. Hier und jetzt, in diesem Moment, geschieht etwas ganz Großes, etwas, das unsere Meinung und unser Urteil nicht braucht, das unsere Gedanken nicht erfassen und unsere Worte nicht wiedergeben können. Wir wissen einfach, was jetzt von uns benötigt wird: eine Handlung, ein Wort, eine Geste oder schlicht unsere stille Anwesenheit. Wir wissen es, immer. Weil da reines Achtsamsein ist und kein Ego, das die Situation zu seinen Gunsten manipulieren will.

Achtsamkeit ist viel mehr als eine Methode - sie ist eine Qualität und ein Ausdruck unserer wahren Natur. Wenn wir ganz und gar präsent sind im Augenblick und uns nicht in Gedanken und Gefühlen verlieren, wird sie sich äußern. Spontan, mühelos und anmutig, zum "Wohle aller Wesen".

(Aus meinem Artikel "Wer ist es, der achtsam ist", in Buddhismus aktuell 1/2016
 

Freitag, 5. August 2016

Wunder. Miracles.


"Miracles are all around us; we just have to open our eyes and see. The more we open to the reality of our own divinity, the more we start to perceive life as a miraculous event. And though the miracles of our everyday lives may pass unnoticed by the self-obsessed mind, they are there nonetheless. It seems to me that a very intimate aspect of awakening is becoming aware of the daily miracle we move through, the miracle called life."

Adyashanti

"Wunder sind überall um uns herum; wir brauchen nur unsere Augen zu öffnen und sie zu sehen. Je mehr wir uns der Wirklichkeit unserer eigenen Göttlichkeit öffnen, umso mehr beginnen wir das Leben als ein wundersames Ereignis wahrzunehmen. Und auch wenn die Wunder unseres täglichen Lebens vielleicht am von sich selbst besessenen Geist unbemerkt vorübergehen, sind sie dennoch da. Mir scheint, ein sehr intimer Aspekt des Erwachens ist es, sich des täglichen Wunders bewusst zu werden, in dem wir uns bewegen - das Wunder namens Leben."

Adyashanti

Samstag, 23. Juli 2016

Frau Irgang kocht heute vegan: Dal mit Süßkartoffel und Kokos-Chutney


Nizza. Türkei. Würzburg. München. Wir hören die Nachrichten. Wir sehen fern. Wir lesen die Zeitungen. Wir fühlen uns hilflos. Und deshalb tun wir vermutlich das Einzige, was wir tun können: Wir wenden uns der winzigen Ecke der Welt zu, die wir bewohnen, und kümmern uns um sie, weil ihre Unversehrtheit auf einmal nicht mehr selbstverständlich ist. Backen mit dem Kind Sandkuchen. Werfen dem Hund Stöckchen zu. Singen ein Lied. Laden jemanden ein und kochen etwas besonders Feines. Vielleicht dies:

Dal mit knuspriger Süßkartoffel und Kokos-Chutney

Für die Süßkartoffeln:

2 kleine Süßkartoffeln, geschält, in 1,5 cm große Würfel geschnitten / Salz / Pfeffer / 1 TL Kreuzkümmel (Samen oder Pulver) / 1 TL Fenchelsamen / Olivenöl

Die Kartoffelwürfel auf einem Backblech verteilen, alle Gewürze darüberstreuen und mit Olivenöl beträufeln. Im Ofen bei 220° ca. 20 Minuten rösten, bis sie außen knusprig, innen weich sind.

Für das Dal:

2 Knoblauchzehen, gehackt / 1 daumengroßes Stück Ingwer, gehackt / 1 grüner Chili, fein gehackt / 1 rote Zwiebel, gehackt / 1 TL Kreuzkümmel / 1 TL Koriander / 1 TL Kurkuma / 1 TL Zimt / 200 g rote Linsen / 1 Dose Kokosmilch (400 ml) / 400 ml Gemüsebrühe / wenn vorhanden: etwas Blattspinat und Koriandergrün / Saft 1/2 Zitrone

In einem großen Topf Knoblauch, Ingwer, Chili und Zwiebel in etwas Öl anbraten, bis sie weich sind. Die anderen Gewürze dazugeben und einige Minuten anbraten. Linsen, Kokosmilch und Brühe hinzufügen und zum Simmern bringen. Ca. 20 Minuten sanft köcheln lassen. Vor dem Servieren Zitronensaft, Spinat und Koriandergrün einrühren.

Für das Chutney

50 g Kokosraspeln / 1 TL schwarze Senfsamen / 10 Curryblätter (frisch oder getrocknet) / 1 Stückchen Ingwer, fein gerieben / 1 roter Chili, fein gehackt, oder Pulver

Kokosraspeln mit etwas kochend heißem Wasser übergießen. Senfsamen und Curryblätter in etwas (Kokos-)Öl anbraten, bis sie knistern, und über die Kokosraspeln gießen. Mit Salz und Pfeffer würzen, dann Ingwer und Chili unterrühren und vermischen.



Dies ist ein Rezept aus dem sehr guten Kochbuch von Anna Jones "a modern way to eat". Vegetarische und vegane Rezepte, ganz ungewöhnlich gewürzt. Es gibt auch einfache Rezepte darin, aber die Konzentration auf etwas Aufwendigeres hat mir heute gut getan.

Mosaik Verlag, ISBN 978-3-442-39286-5

Montag, 11. Juli 2016

"Der Gast im Garten" von Takashi Hiraide

Ein kleines zartes Buch für Menschen, die eine japanische Seele haben (also solche wie ich ...). Da wird von Menschen erzählt, die es vollkommen selbstverständlich finden, sich zu einer bestimmten Tageszeit im Sommer in den Garten zu begeben, um darauf zu hoffen, dass eine ganz bestimmte Libelle sich wieder auf ihren ausgestreckten Arm setzen wird. Menschen, die sich in ihrem Haus auf den Boden legen, um stundenlang die Veränderungen des Lichts durch das Oberlichtfenster zu beobachten. Menschen, die untröstlich sind, weil ihnen verwehrt wird, auf das Grab einer geliebten Katze einen Blumenstrauß zu legen.

Worum "geht" es in diesem Roman? Um eine kleine, schöne, den Nachbarn zugelaufene Katze, die auch das Paar mittleren Alters, das nebenan wohnt, regelmäßig besucht und eines Tages angeblich verstorben ist? Um eine alte Villa, die verkauft werden muss, weil die Besitzer ins Altenheim gehen; um das kleine Teehaus auf demselben Grundstück, das für kurze Zeit ein Paradies für das Ehepaar im mittleren Alter war, und nun zusammen mit der Villa einem modernen Wohnblock weichen muss? Um Japan am Beginn der Wirtschaftskrise und die Frage, wie ein Schriftsteller mit kargem Einkommen über die Runden kommen kann? Um eine Katze, die zu einer Seelenfreundin wird?

Die Frau des Paares im mittleren Alter erzählt einmal ihrem Mann von dem Aphorismus eines Denkers, "demzufolge die Beobachtung der Kern einer Liebe sei, die nicht in Gefühlsduselei verfalle". Die Menschen in diesem Buch haben gelernt, in Ruhe und Gelassenheit zu beobachten - die Art, in der Chiibi, die Katze mit dem Glöckchen, auf einen Baum springt, einen Fisch verschlingt. Der Zaun hat ein Astloch, das wie eine camera obscura wirkt; entzückt werden die Wirkungen betrachtet, die durch am Astloch vorbeigehende Passanten ausgelöst werden. Die Pflanzen, das Licht, der Mond: nichts ist unwichtig, alles wird beobachtet, bedacht, gewürdigt.

Wenn es um überhaupt etwas "geht" in diesem Buch, das eigentlich gar kein Roman ist, dann um den Augenblick und das Wissen um seine Vergänglichkeit. Und ja, es liegt eine leise Melancholie über dem Buch, aber die kleine Katze - ich muss das einfach sagen, das kann ja eine Katzenliebhaberin sonst gar nicht aushalten -, also die kleine Katze ist wohl doch nicht gestorben. Mehr verrate ich jetzt nicht.

Takashi Hiraide "Der Gast im Garten", aus dem Japanischen von Ursula Gräfe, mit schönen Bildern von Quint Buchholz, Insel Verlag, ISBN 978-3-458-17626-8

Mittwoch, 29. Juni 2016

Dieser Augenblick ist das ewige Jetzt


"Wir leben in einem ewigen Jetzt, und wenn wir uns Musik anhören, dann hören wir nicht auf Vergangenes, wir hören nicht auf Zukünftiges, sondern wir hören auf Gegenwärtiges, das sich vor uns entfaltet. Genau wie wir ein Gesichtsfeld haben, das sich in die Breite und die Ferne erstreckt, so ist auch der gegenwärtige Augenblick nicht bloß ein Haarstrich auf der Zeitlinie, die die Uhr misst. Der gegenwärtige Augenblick ist ein Erfahrungsfeld, das sehr viel mehr als ein bloßer Augenblick ist. Eine Melodie hören, heißt auch die Intervalle zwischen den Tönen hören. Innerhalb des gegenwärtigen Augenblicks können wir Intervalle hören und Rhythmen sehen. So können wir innerhalb jedes Augenblicks spüren, dass sich etwas Kontinuierliches abspielt.

Wenn ich vom ewigen Jetzt spreche, dann ist das nicht zu verwechseln mit dem Bruchteil einer Sekunde. Das ewige Jetzt ist geräumig, leicht und reich, aber auch leichtsinnig! Jesus sprach tatsächlich vom Leichtsinn: "Seht die Lilien des Feldes, wie sie wachsen. Sie graben nicht, sie spinnen nicht, und doch war Salomo in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen." Damit soll gesagt werden: Sorgt nicht ängstlich für das Morgen, sondern gönnt euch ein wenig Leichtsinn.

Es gibt einen göttlichen Leichtsinn. Die Liebe, die die Sonne und die anderen Sterne bewegt, ist Leichtsinn. Daher könnte man von Gott sagen, er sei ernsthaft, aber nicht ernst."

Alan Watts (1915 - 1973), Philosoph, anglikanischer Priester, Professor und einer der großen Interpreten östlicher Philosophie
(Aus seinem Buch "Leben ist jetzt", Herder Spektrum)

Die Kalligraphie ist von Thich Nhât Hanh
 

Freitag, 24. Juni 2016

Musik für eine Sommernacht


Meine Lieblingsgruppe Rajaton mit
"Dobbin's Flowery Vale".

Finnische Sommernachtsmusik!


Dienstag, 21. Juni 2016

Heute ist Sommeranfang


Ist das nicht schön? Ein Hauch von Farbe, der vor dem Hintergrund in solidem Grau besonders gut zur Geltung kommt.

Dieser Sommer hat einfach Stil.


Montag, 13. Juni 2016

Was ist Achtsamkeit?



Meinen Artikel zum Thema Achtsamkeit, der im Sonderheft "Achtsamkeit" von Buddhismus aktuell 1/2016 abgedruckt wurde, kann man jetzt in ganzer Länge auf meiner Homepage lesen; hier ist der Link dorthin.

Donnerstag, 9. Juni 2016

Auf dem Weg zum Bäcker ...


... Sonne, Farben, Düfte, Bienengesumm ...

... Sommer sammeln, ganz viel Sommer sammeln ...

Freitag, 27. Mai 2016

Geh bis an deiner Sehnsucht Rand


Gott spricht zu jedem nur, eh er ihn macht,
dann geht er schweigend mit ihm aus der Nacht.
Aber die Worte, eh jeder beginnt,
diese wolkigen Worte, sind:

Von deinen Sinnen hinausgesandt,
geh bis an deiner Sehnsucht Rand;
gib mir Gewand.

Hinter den Dingen wachse als Brand,
dass ihre Schatten, ausgespannt,
immer mich ganz bedecken.

Lass dir alles geschehn: Schönheit und Schrecken.
Man muss nur gehn: Kein Gefühl ist das fernste.
Lass dich von mir nicht trennen.
Nah ist das Land,
das sie das Leben nennen.

Du wirst es erkennen
an seinem Ernste.

Gib mir die Hand.

Rainer Maria Rilke

  

Samstag, 21. Mai 2016

Die Welt von oben


Es gibt Tage, an denen ich die Welt von oben betrachten muss. Weil unten auf einmal alles so eng wirkt, zu viele Zäune, Mauern, Häuser. Von allem zuviel. Oben gibt es von allem sehr wenig, das tut mir gut. 1 großer Vogel, der hoch oben im Blau seine Kreise zieht. Am Horizont 1 Burg. 1 Wanderer mit Hund. Die Weinberge: sehr überschaubar. Noch keine Reben und deshalb keine Selbstschussanlagen. Dazwischen fließt was, das erst ein Bach werden will - ein noch nicht erwachsenes Wässerchen. Weit unten in der Ebene schnürt ein Motorradclub über die Landstraße, ihre Mitglieder gleichmäßig aufgefädelt wie eine Kette, jeder Motorradfahrer eine schwarze Perle. Im Osten hinten im Dunst Berge mit Schneemützen. Ich weiß nicht, wie die Berge heißen.

Und das ist die eigentliche, die ganz große Freiheit: das Nichtwissenmüssen und Einfachnurschauendürfen.

Donnerstag, 19. Mai 2016

Frau Irgang bäckt: der etwas andere Früchtekuchen


Bei den kühlen Temperaturen hier im Südwesten ist ein schmackhafter Winterkuchen zum Tee willkommen. Man nehme:

125 g Mehl
2 TL Backpulver
1 TL Zimt
120 g Rohrohrzucker
80 g feingeriebene Möhren
180 g gemischtes gehacktes Dörrobst (Rosinen, Datteln, Feigen, Aprikosen ...)
90 g klein gehackte Blockschokolade
30 g Kokosflocken
2 Eier
90 g zerlassene Butter

Mehl, Backpulver und Zimt in eine Schüssel sieben, mit Zucker, Möhre, getrockneten Früchten, Schokolade und Kokosflocken mischen. Eier und Butter zugeben. In eine Springform von ca. 25 cm Durchmesser füllen und bei 180° ca. 30 Minuten backen. In der Form abkühlen lassen, dann auf ein Kuchengitter stürzen.

Für den Belag 200 g Frischkäse und 30 g weiche Butter mit dem Handrührgerät glatt rühren. 150 g Puderzucker hinzugeben und alles zu einer luftigen Masse schaumig rühren (dauert ein paar Minuten). 1 TL heißen Zitronensaft einrühren. Den Belag auf dem Kuchen verteilen und nach Wunsch mit gehackten Nüssen und/oder Kokosflocken bestreuen.

Guten Appetit!

Dienstag, 10. Mai 2016

Künstler der Stille #4: Arvo Pärt


Im Jahr 1976 veröffentlichte der estnische Komponist Arvo Pärt nach einer achtjährigen Krise und schöpferischen Pause sein Klavierstück "Für Alina". Was man hörte, war bislang unerhört: Einfachster Dreiklang, reduziert auf das Wesentliche und dennoch von subtiler Komplexität. Sein Freund, der Dirigent Kristjan Järvi, sagt: "Das Besondere an Arvo Pärts Musik: sie ist durch und durch aufrichtig und ehrlich. Es ist der Klang des Lichts, das ausstrahlt. Manche nennen das auch Spiritualität. Ich denke aber, das ist keine dezidiert christliche Spiritualität. Es ist die innere Sehnsucht nach Klarheit, nach Reinheit, die hier ihren Ausdruck findet." Pärt selbst nennt seinen Stil "Tintinnabuli-Stil".

In 1976 the Estonian composer Arvo Pärt returned after a crisis and creative break of eight years to the music world with the piano piece "For Alina": Seemingly simple triads of a subtle complexity. His friend Kristjan Järvi says: "Arvo Pärt's music is utterly honest. It radiates the sound of the light. Some call it spirituality, but I think it is not a Christian spirituality. It is the inner yearning for clarity and purity which is expressed here." Pärt itself calls his style "Tintinnabuli Style".


Pärt musste die Sowjetunion verlassen, lebte zeitweise in Berlin und lebt heute wieder in Estland. Seine Musik wird häufig kritisiert als "zu schön" oder "zu simpel". Aus meiner eigenen Erfahrung als Chorsängerin weiß ich, dass ein Stück von Arvo Pärt vom Chor höchste Präzision verlangt und nicht leicht zu singen ist. Und hören in ihrer ganzen Tiefe kann man diese Musik nur, wenn man sie im Raum der eigenen inneren Stille erklingen lässt. Als Arvo Pärt noch in Berlin lebte, schrieb ich ihm einmal einen Brief über das Verhältnis von Kunst und Spiritualität, das mich damals schon bewegte. Seine Antwort ließ lange auf sich warten und kam dann handschriftlich: "Liebe Frau Irgang, ich nehme Ihren Brief sehr ernst. Ich habe lange nicht geschrieben, weil es so viel zu sagen gibt. Dies heute als vorläufige Antwort." Irgendwann fand ich die Antwort auf meinen Brief in seiner Musik.

Pärt had to leave the Sovjet Union, lived in Berlin and lives today again in Estonia. His music is often criticised for being "too beautiful" or "too simple". As a member of several choirs I know that singing a piece of Pärt requires the singers' absolute precision. As a listener you have to enter the realm of your own inner silence in order to let the music resonate in you. Once I wrote a letter to Arvo Pärt about the relationship between art and spirituality. It took months till he answered with a handwritten piece: "Dear Mrs. Irgang, I take your letter very seriously. I did not write because there is so much to be said. Take this for the time being." One day I found the answer to my letter in his music.

Hier ist der Link zu einer Sendung des Deutschland-Radios zum 80. Geburtstag von Arvo Pärt.

Sonntag, 1. Mai 2016

Frau Irgang kocht: der Nach-dem-Yoga-Teller


Nach der Yoga-Stunde brauche ich etwas Frisches, Leichtes. Da gibt es dann zum Beispiel so etwas: Feldsalat, Karotten, Radicchio, Papaya, griechischer Feta, mit Zwiebeln und Knoblauch gebratene Champignons und in Olivenöl geröstete Croutons aus Vollkornbrot. Dazu Orangen-Senf-Dressing und Kräuter vom Balkon.

Nächste Woche vielleicht mit lauwarmem grünem Spargel oder Shiitake-Pilzen oder Roter Bete oder karamellisierter Birne oder ...

Dienstag, 26. April 2016

"Das verborgene Licht" - Zen aus Frauen-Sicht


Praktizieren und erleben Frauen das Zen anders? Aber ja. In meiner eigenen Zen-Ausbildung war ich erschrocken über die Härte, mit der das traditionelle Zen zumeist gelehrt wird; dort herrscht immer noch ein Samurai-Geist, der völlig überflüssig ist, wie ich heute weiß. In meinen eigenen Seminaren ermutige ich die Menschen (auch die Männer!), auf sich selbst zu hören, auf ihren Herz-Geist und ihren Körper, und sanft und liebevoll mit sich umzugehen. In der Zen-Tradition - wie auch in allen Religionen - wurde die Weisheit von Frauen lange nicht wahrgenommen. Und so ist dieses Buch der Zen-Lehrerinnen Florence Caplow und Susan Moon ein wahrer Schatz: Sie haben in mühevoller Arbeit die Schriften nach der Präsenz von Frauen durchsucht und in ihrem Buch Koans, Geschichten und Gedichte von und über Zen-Frauen gesammelt. Wir begegnen hier wunderbaren Frauen: Sie erwachen beim Kochen oder im Bordell, sie sind rabiate Großmütter, Wandernonnen oder Händlerinnen. Immer sind sie äußerst alltagspraktisch, machen sich gern lustig über Männer, die in Konzepten befangen sind, und sind ein Spiegel für alle, die glauben, das Zen begriffen zu haben.

100 Geschichten erwachter Frauen werden von 100 amerikanischen Zen-Lehrerinnen und Zen-Frauen kommentiert; unter ihnen Joan Halifax, Christina Feldman, Nancy Goldberg, Martine Batchelor. In der deutschen Ausgabe kommentieren zusätzlich 16 deutsche (Zen-)Frauen die Texte; unter ihnen Dagmar Doko Waskönig, Sylvia Wetzel, Anna Gamma und Doris Zölls.

Wir wurden von der deutschen Herausgeberin Ursula Richard gebeten, uns einen Text auszusuchen. Ich habe mich für diesen entschieden:

Chen war eine Laiennonne, die weit herumkam und an viele Orte reiste, um berühmte Meister aufzusuchen. Nachdem sie die Erleuchtung erlangt hatte, dichtete sie folgende Zeilen:

Ganz oben auf den Berghängen sehe ich nur alte Holzfäller.
Jeder hat den Geist des Messers und der Axt.
Wie können sie die Bergblumen sehen,
gespiegelt im Wasser - leuchtend, rot?

Na, was fällt Euch und Ihnen dazu ein? Im amerikanischen Original wird der Text kommentiert von der Umweltaktivistin und buddhistischen Gelehrten Joanna Macy, auf Deutsch zusätzlich von mir. 

"Das verborgene Licht" ist erschienen in der edition steinrich, hat 511 Seiten, die ISBN 978-3-942085-48-9 und sollte in keiner Bibliothek einer Zen-Frau und eines Zen-Mannes fehlen.

Hier (klick) erfahren Sie mehr über das Buch.
 

Donnerstag, 21. April 2016

SWR 2: Allein und doch nicht einsam


"Allein und doch nicht einsam. Vom Glück, nicht immer Gesellschaft zu brauchen"
Feature von Margrit Irgang aus dem Jahr 2010
SWR 2

Zum Beruf der Schriftstellerin gehört es, allein sein zu können - oft über Wochen und Monate hinweg. Oder ist es vielleicht andersherum: Wer gern allein ist, wird Schriftsteller ...?

Ich habe mich mit ein paar Menschen über das Glück des Alleinseins unterhalten, unter anderem mit Bruno Baumann, der immer wieder alleine durch die Wüste wandert.


(Leider nur als Textfassung zu hören; die von mir ausgewählte schöne Musik musste aus rechtlichen Gründen herausgeschnitten werden.)


Einige meiner Features finden Sie in der Rubrik "Rundfunk" in der rechten Spalte.
 

Dienstag, 12. April 2016

Der Kater, der vom Himmel fiel


Vor sieben Jahren hat er mich adoptiert. Stand einfach vor der Terrassentür und wollte hinein. Nun muss man wissen, dass ich eine Dachwohnung habe. Dieser Kater also war vom Himmel gefallen, es gab keine andere Erklärung. Ich hatte jahrelang überlegt, wie ich es schaffen sollte, wieder mit einer Katze zu leben, obwohl ich berufsbedingt viel unterwegs bin und meine Katze niemals in eine dieser Katzenpensionen geben würde. Selbst Betreuungs-Angebote hilfreicher Menschen musste ich ausschlagen - ich hätte unterwegs keine ruhige Minute gehabt. Der Himmel also hatte mich erhört und mir die ideale Katze geschickt: Vom damals neu eingezogenen Nachbarn im Nebenhaus, der auch eine Dachterrasse hat.

Seitdem leben wir in einer amoralischen Dreiecks-Beziehung. Nein, die wird drüben nicht gern gesehen, aber hatten Sie mal eine Katze? Dann wissen Sie, wer unter allen Umständen seinen Willen durchsetzt. Er (der Kater) empfindet mich als würdig, ihm das Bauchfell zu kraulen, ihn mit weicher Bürste zu bürsten und ihm Bällchen zuzuwerfen. Ich fühle mich geehrt. Er hat das schöne große Bodenkissen aus Seide, das ich in monatelanger Arbeit gemacht habe, zu seinem erklärt, liegt, wenn ich am Computer sitze, gern auf meinen Füßen und geht im Sommer hier ein und aus, weil immer alle Türen offenstehen (Freiburg ist die Toscana Deutschlands, Sie wissen schon). Aber der Winter, ach! Noch nie durfte ich mit dem Geliebten Weihnachten feiern, auch Silvester nicht (er hat Angst vor Lärm und liegt vermutlich zitternd drüben unterm Bett). Ja, ich habe alle Probleme, die eine Geliebte eines verheirateten Mannes hat.

Sagte ich schon, dass er eine rosa Schnauze hat und unter dem Bauch kleine braungraue Felltupfen wie ein Baby-Gepard und dass er, wenn er schläft, in ein sanft wimmerndes Schnarchen verfällt und ...

Sonntag, 27. März 2016

Ostern aus der Sicht des Zen

Piero della Francesca. Quelle: wikipedia.de

Ein anderer Blick auf das Oster-Geschehen, weder biblisch noch religiös noch psychologisch: Wiederauferstehung als die Erfahrung des Erwachens zu unserem wahren Wesen. Adyashanti schreibt:

"Jesus' life ends on the cross; that death is the great release, the great transcendence of time and space. But of course, his life doesn't really end with the crucifixion; it culminates in the resurrection, as once again Jesus comes back to the world of time and space. In the journey of awakening, when self has been annihilated and dropped away, we experience a kind of resurrection. We realize a new orientation. In other words, we are no longer the center of our individual lives, and life is no longer about satisfying oneself, not even in order to arrive at some spiritual state of development. (...)

"Das Leben Jesu endet am Kreuz; dieser Tod ist die große Erlösung, die große Überwindung von Zeit und Raum. Aber natürlich endet sein Leben nicht wirklich mit der Kreuzigung. Es findet seinen Höhepunkt in der Wiederauferstehung, als Jesus zurückkehrt in die Welt von Zeit und Raum. In der Reise des Erwachens erfahren wir eine Art Wiederauferstehung, wenn das Selbst vernichtet und aufgelöst wurde. Wir erfahren eine neue Orientierung. Mit anderen Worten: Wir sind nicht länger das Zentrum unseres individuellen Lebens, und das Leben kreist nicht mehr um die eigene Befriedigung; wir wollen nicht einmal einen Zustand spiritueller Entwicklung erreichen. (...)

"Part of the resurrection occurs when what is left in the wake of the crucifixion opens its eyes and discovers that everything it ever thought itself to be - not only ego, but all the spiritual experiences and definitions - is dead. (...) What remains is a great heartfulness, a great sense of compassion for the world. Even though the word resurrection implies a rising, it's not as if we rise above everything and everyone. Resurrection is the rising from the death of self, but there's no hierarchy in it. There's no sense of being better than, or nobler than, or more elevated than anyone else - all of that belongs to ego and self. There's just a simple, profound intimacy with all things, and with all beings, and with that which transcends all things and all beings. Life is experienced in all of its original completeness and unity.

That intimacy is the resurrected state. We see that all that we perceive is actually our own being."

"Ein Teil der Wiederauferstehung geschieht, wenn das, was im Geschehen der Kreuzigung zurückgeblieben ist, die Augen öffnet und entdeckt, dass alles, was es je geglaubt hatte zu sein, tot ist - nicht nur das Ego, sondern alle spirituellen Erfahrungen und Definitionen. (...) Was bleibt, ist eine große Herzenswärme, ein tiefes Mitgefühl für die Welt. Auch wenn das Wort Wiederauferstehung eine Aufwärtsbewegung andeutet, erheben wir uns doch nicht über alles und jeden. Wiederauferstehung ist das Aufsteigen aus dem Tod des Selbst, aber das beinhaltet keine Hierarchie. Da ist kein Gefühl, besser oder edler oder erhobener zu sein als andere. Das alles gehört zum Ego und zum Selbst. Da ist nur eine schlichte, tiefe Intimität mit allen Dingen und allen Wesen und mit dem, was alle Dinge und alle Wesen übersteigt. Leben wird in seiner Ganzheit und Einheit erfahren. Diese Intimität ist der Zustand der Wiederauferstehung. Wir sehen, dass alles, was wir wahrnehmen, tatsächlich unser eigenes Sein ist."

Aus: Adyashanti "Resurrecting Jesus. Embodying the Spirit of a Revolutionary Mystic", Sounds True, Boulder, CO