Ein Sommermorgen am See. Nur die Enten und ich im klaren Licht, das noch ungetrübt ist von den Abgasen der Lkw, die sich bald über die Landstraße schieben werden. Eine Stunde der Klarheit und Reinheit. Oder: Die erste Meditationsrunde an einem frühen Wintermorgen in einem meiner Retreats. Während wir sitzen, dämmert über den Bergen der Tag herauf, die Nacht weicht zurück, und das Licht füllt den Raum mit seiner Energie.
Als ich in den Bergen lebte, bin ich im Sommer um vier Uhr morgens über den Höhenweg gelaufen und habe die Kühe auf den Almen begrüßt. Am Morgen erwacht die Welt neu, alles erscheint möglich in der Klarheit und Stille. Die besten Texte schreibe ich zwischen fünf und acht Uhr; dann sind meine Gedanken luzide, die Sprache ist einfach und leicht.
Am Morgen sammle ich Licht für den Tag, diese lange Strecke bis zum Abend, die nicht immer leicht zu bewältigen ist. Ich sammle - wie ein Eichhörnchen Nüsse sammelt - Strahl für Strahl und fülle sorgfältig meinen inneren Lichtvorrat. Licht hat gegenüber Nüssen den Vorteil, sehr leicht zu sein; man kann es mühelos überallhin mitnehmen. Wenn der Tag mir dann besonders viel Lärm, Schmutz und Unfreundlichkeit beschert, erlaube ich meinem Geist, sich an dem Vorrat zu bedienen. Dann stehe ich vielleicht an irgendeiner belebten Straßenecke, um mich herum hupt es, Sirenen heulen, jemand brüllt seinen Hund an. Ich aber stehe im Geist am Ufer des Sees, in dessen klarem Wasser sich eine Ente auf einem Stein spiegelt. Im Licht.
Licht ist ansteckend; in diesem Fall ist das eine gute Nachricht. Man kann es nicht aufhalten, es fließt einfach hinaus, in den Lärm, den Schmutz, die Unfreundlichkeit. Manchmal verwandelt es die Unfreundlichkeit in Freundlichkeit, oft allerdings nicht - aber für den, der im Licht steht, ist das eigentlich gar nicht wichtig.
Wie gut, dass jeder Tag ein Ende hat, denn jetzt kommt die Zeit des Abendlichts. Es hat nicht die Klarheit und Schärfe des Morgenlichts; sein Wesen ist Sanftheit, seine Energie die der Umarmung. Am Seeufer quaken leise die Enten im Schilf; im Zendo sitzen wir bei Kerzenschein, während sich die Stille über die Stadt senkt. Das Abendlicht ist kostbar; ich sammle es für die besonderen Stunden, in denen ich seine beschützende Energie brauche. Stunden der Krankheit, der Trauer, des Abschieds.
Vergesst nicht, Licht zu sammeln. Wir brauchen viel davon, für uns selbst und für alle, die vergessen haben, was Licht ist.
Vergesst nicht, Licht zu sammeln. Wir brauchen viel davon, für uns selbst und für alle, die vergessen haben, was Licht ist.