Samstag, 29. Dezember 2018

Warum das mit den "guten Vorsätzen" nicht funktioniert


Wenn man im Duden Herkunftswörterbuch "Vorsatz" sucht, wird man auf "setzen" verwiesen. "Setzen" wiederum -  ich zitiere hier, der Duden formuliert so geschraubt, wie ich mir das nie erlauben würde - "bedeutet als Veranlassungswort zu dem unter 'sitzen' behandelten Verb eigentlich 'sitzen machen'".

Wir haben sie also hingesetzt, unsere guten Vorsätze, und da sitzen sie jetzt rum. Wir gucken sie an. Gut sehen sie aus. Sie gucken zurück. Uns scheint: Ein wenig zu erwartungsvoll. Im Lauf der Zeit sogar ein wenig vorwurfsvoll. Wir fühlen uns unbehaglich. So hatten wir uns das nicht vorgestellt; wir wollten uns eigentlich so richtig gut fühlen in Gesellschaft unserer guten Vorsätze. Wir haben sie, so heißt das ja, gefasst, und doch entziehen sie sich uns. Halten immer denselben Abstand zu uns. Sind und bleiben vor uns. In der Zukunft, die es, wie inzwischen nicht nur Zenschüler wissen, gar nicht gibt.

Was machen wir jetzt mit den Vorsätzen, die so gut aussehen?

Ich schlage vor, sie sitzen zu lassen.

Alles verändert sich unablässig. Und alles ist mit allem verbunden. Jeder und jedes gestaltet das Ganze mit, verändert es mit jedem Schritt, jeder Handlung, jeder Geste, jedem Gedanken. Wie können wir voraussehen, was geschehen wird? Wie heute schon wissen, wie wir auf das noch gar nicht Eingetroffene antworten sollen? Wie heute beschließen, was für uns - und damit das Ganze - richtig/heilsam/wertvoll/gut ist, irgendwann, irgendwo, an einem Ort, den wir nicht kennen, in einer Zeit, die es nicht gibt?

Stattdessen können wir die Augen öffnen, die Ohren weiten; wir können innehalten, atmen, lauschen, spüren, riechen und die Wahrheit dieses Augenblicks durch unsere Sinne in uns aufnehmen. Dann wissen wir, was jetzt! getan oder auch gelassen werden muss "zum Wohle aller Wesen" (wie es im Buddhismus so schön heißt). Solch eine tiefe Einsicht in - zum Beispiel - unsere unheilsamen Verhaltensweisen kann ganz schön schockierend sein. Weil wir unmittelbar sehen und spüren, wie sie uns und allen um uns herum schaden. Nicht irgendwann und irgendwo, nicht abstrakt. Sondern jetzt! und hier! Wir können uns nicht mehr herausreden, nichts mehr aufschieben. Wir müssen handeln.

Nicht nur an Silvester. Immer aufs Neue. Jederzeit. Jetzt!

Was ich dabei schön und hilfreich finde, ist ein Wort. Ein einziges Wort, das uns im kommenden Jahr zur Seite steht, wenn wir geistig im Nebel herumwandern und den Weg nicht mehr finden. Das Wort bezeichnet eine Eigenschaft, die wir gerne hätten - eine Energie, die uns fehlt - etwas, das wir gern verkörpern würden. Das Wort bleibt unser Geheimnis, wir pflanzen es tief in unseren Herzgeist. Es wird da sein, wenn wir es brauchen, denn es ist lebendig und flexibel, passt sich jeder Herausforderung, jeder Veränderung an.

Welches ist Ihr Wort?

Ich bedanke mich mich bei meinen Leserinnen und Lesern für ihr Interesse an diesem Blog. Bleiben Sie ihm treu und teilen Sie mir Ihre Gedanken zu meinen Beiträgen mit, ich freue mich darüber. Einfach auf "Kommentare" am Ende jedes Beitrags klicken.

Wir treffen uns hier wieder im nächsten Jahr.


Sonntag, 23. Dezember 2018

Weihnachtslicht


 Das Licht und vieles mehr hat mir die liebe Taija geschickt.

An Weihnachten feiert die Christenheit die Geburt Jesu. Ich habe das Fest viele Jahre in verschiedenen Praxishäusern verbracht; dort versammelte sich eine bunte Mischung aus begeistert das Haus dekorierenden Meditationsschülern, Einsamen, aus der Familie Geflüchteten und Verächtern des Christentums, die irgendwann in ihrer Kindheit mit Menschen in Konflikt kamen, die sie im Namen eines falsch verstandenen Christentums missbraucht und ausgebeutet hatten. Diese waren zumeist entsetzt, weil auch in dem vermeintlich so "buddhistischen" Haus eine geschmückte Tanne stand, Plätzchen gebacken wurden und alle insbrünstig "Stille Nacht" sangen. Ich erinnere mich an einen jungen Mann, der am ersten Weihnachtstag empört abreiste.

Aber diese Geburt geht uns alle an, sie kann stündlich, minütlich, in jedem Augenblick geschehen, in uns selbst: die Geburt des Lichts.

Ich wünsche meinen Leserinnen und Leser, dass auch in ihnen das Licht geboren wird. Was auch immer in diesem fast schon abgelaufenen Jahr geschehen ist, wieviel Dunkelheit da auch immer ist: Das Licht ist da und sucht sich den Weg ins Bewusstsein.


Also einfach still werden in diesen Tagen und dem Agni Parthene der orthodoxen Mönche lauschen.

Frohe stille leuchtende Weihnachten wünsche ich Euch allen.

Mittwoch, 19. Dezember 2018

Dezemberstille



Wenn es nur einmal so ganz stille wäre

von Rainer Maria Rilke


Wenn es nur einmal so ganz stille wäre.
Wenn das Zufällige und Ungefähre
verstummte und das nachbarliche Lachen,
wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,
mich nicht so sehr verhinderte am Wachen -

Dann könnte ich in einem tausendfachen
Gedanken bis an deinen Rand dich denken

und dich besitzen (nur ein Lächeln lang),
um dich an alles Leben zu verschenken
wie einen Dank.

 

Dienstag, 11. Dezember 2018

Wir sind ganz Ohr


... und dann kamen sie angaloppiert, zwölf Islandpferde, und die Nüstern bliesen warm auf meine Hand und die Öhrchen spielten vor und zurück, wenn ich leise schnalzte, und sie wollten meine Tasche untersuchen und überhaupt mal wissen, wer da auf einmal vor ihrer Weide stand ...
 

Vor ein paar Wochen im Treppenhaus bei Freunden. Zwei sind da unterschiedlicher Meinung, das tun sie kund. Sie beginnt in rasender Empörung, er fällt ihr ins Wort. Sie schweigt nicht etwa, um zu hören, was er sagt - sie steigert ihre Lautstärke. Er lässt sich das nicht bieten und steigert ebenfalls. Er hat ein Organ, das Säle füllen kann. Pech für sie. Sie hört sich nicht mehr, also holt sie alles aus ihren Lungen heraus. Er hält mit; er hat noch Steigerungsstufen. Jetzt haben beide ihre äußersten Möglichkeiten der Lautstärke erreicht, sie preschen blind und taub gleichzeitig durch ihr Gebrüll, das eine ersehnte Ziel vor Augen: den Anderen endlich zum Verstummen zu bringen und selber gehört zu werden.

Worum es ging? Keine Ahnung. Ich meine, das Wort "Waschbecken" gehört zu haben.

In der achten Achtsamkeitsübung des Ordens Intersein von Thich Nhat Hanh heißt es: "Wir sind entschlossen, tiefes Zuhören zu erlernen, ohne zu bewerten oder zu reagieren ..." Es ist immer gut, zu etwas entschlossen zu sein, aber mir ist diese Formulierung zu streng. Kann das tiefe Zuhören nicht lustvoll sein, ein spielerischer Zugang zur Welt, ein Glückserlebnis? Ist es nicht so, dass wir das schon längst können und nur einen kleinen Hinweis brauchen, um uns daran zu erinnern?

Im Deutschen und Englischen gibt es die schöne Redewendung "Ich bin ganz Ohr". Wenn ich ganz Ohr bin, kann ich nicht brüllen, sonst würde ich auf der Stelle ertauben. Ich kann auch nicht gleichzeitig ganz Ohr sein und das Gehörte bewerten, beurteilen, einordnen, verwerfen. Oder mir überlegen, wie ich das, was ich gerade höre, für meine Zwecke nutzen kann. Welche Vorteile es mir bringen könnte, oder welche Nachteile. Ganz Ohr zu sein heißt: dem Leben zu lauschen, während es sich unablässig entfaltet, außerhalb von mir und in mir.

Wann hören wir tief zu? Wenn unser Interesse geweckt ist. Wir wollen etwas oder jemanden wirklich kennenlernen. Wir lauschen dem Klang, den ein anderer aussendet, auch wenn er schweigt - und der harmonischen oder dissonanten Vielstimmigkeit unserer Gedanken und Gefühle, die uns etwas mitteilen möchten. Dafür müssen wir uns nicht anstrengen und kein Gelübde ablegen.

Wir wollen einfach nur wissen, was da in uns los ist. Und wer das ist, der auf einmal vor unserer Weide steht.


Freitag, 7. Dezember 2018

Dezembermorgen


Der Tag zögert noch hinter dem Horizont. Ein wenig länger ruhen, das tut ihm jetzt gut. Er hatte so viel zu tun in diesem langen grellen Sommer. Später wird er, grau und zerknittert, die Stunden hinter sich bringen, um sich früh zu verabschieden wie ein betagter Gast von einer Party, die er nur aus Pflichtbewusstsein besucht und nicht genossen hat.

Da ist schon jemand wach, wie schön. Frühaufsteher unter sich, die sich Lampenlichtzeichen senden. Auf dem Dach rumpelt es; die erste der unermüdlichen Tauben macht sich bereit, ihre Sippe zu ernähren. Noch sind die Ampeln ausgeschaltet; ein Auto fährt in Richtung Stadt, unaufgehalten direkt geradeaus. Ein kleiner Wind fingert am Rolladen herum; er scheint noch jung zu sein und verspielt, er meint das nicht ernst. Wenn er mal erwachsen ist, wird er die Blumenkübel auf der Terrasse flach legen. 

Die Kirchturmuhr schlägt.

Ich setze Teewasser auf.