Donnerstag, 28. Mai 2015

Begegnungen mit Joan Halifax


Ein Sommer in Südfrankreich in Plum Village, dem Zentrum von Thich Nhât Hanh. In jedem Retreat gab es den sogenannten lazy day, an dem wir - keineswegs freiwillig - zu allerlei Aktivitäten gebeten wurden: Basteln, Gartenarbeit, Yoga und dergleichen. Aktivitäten waren nicht mein Fall, aber in jenem Sommer gab es auch einen Vortrag: Joan Halifax aus den USA sprach über ihre Arbeit mit Sterbenden. Being with Dying. Sie hatte lange Haare und trug ein Sommerkleid und sprach voller Leidenschaft über Mitgefühl: "We live in a time when science is validating what humans have known throughout the ages: that compassion is not a luxury, it is a necessity for our well-being, resilience, and survival."

Sie war schön, sie war klug, sie war gebildet und strahlte eine wunderbare Wärme aus. Joan Halifax hatte in medizinischer Anthropologie promoviert und über ihr Fachgebiet, die Arbeit mit Sterbenden, Vorträge in der ganzen Welt gehalten. Später hörte ich, dass sie Lehrerin in der Schule von Thich Nhât Hanh geworden war, und noch später, dass sie Thich Nhât Hanh verlassen und von Bernie Glassmann zur Roshi, zur Zen-Meisterin, ernannt worden war. Sie gründete in Santa Fe in New Mexico das Upaya Zen Center und irgendwann, viele Jahre später, kam sie für ihr erstes und einziges sesshin in die Schweiz. Ich ging hin.

Sie war so lebendig wie immer, älter geworden, hatte sich als Zen-Nonne inzwischen von ihren Haaren getrennt, war aber immer noch schön. Im dokusan, dem Einzelgespräch, unterhielten wir uns wie Schwestern über unsere Erfahrungen auf dem Zen-Weg. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Diese Lehrerin hatte kein Interesse an Machtdemonstrationen, sie behandelte uns als Ebenbürtige. Es gab neben ihr nur Lebendigkeit, Begeisterung und unendliche Herzenswärme. Ich selbst war damals gerade dabei, mich von den in allen Zen-Schulen praktizierten Ritualen und eingefahrenen Strukturen zu lösen, um meinen eigenen Weg zu finden. Joan Halifax erzählte mir, dass sie dasselbe getan hatte. Und auch sie wurde für ihre Loslösung von ihren Lehrern kritisiert. (Eigenständige Geister sind in keiner etablierten Schule gern gesehen.) Mir war im richtigen Moment der richtige Mensch begegnet, und es war keineswegs ein Zufall, dass dieser Mensch eine Frau war.

Einmal, nach einem ihrer Vorträge, saß sie vor dem Altar und sah jeden von uns der Reihe nach intensiv an. Dazu muss man wissen, dass im klassischen japanischen Zen die Schüler Schwarz oder zumindest dunkle gedeckte Farben zu tragen haben. Wir dagegen waren ein bunter Haufen; ich hatte mich in einen herrlich tomatenroten Wollschal gewickelt. Sie sah uns also alle an, und ein Leuchten erschien auf ihrem Gesicht. Sie sagte: "Jede und jeder von uns hat ihre und seine eigene Farbe, ist das nicht wunderbar? Bitte zeigt eure eigene Farbe, sie wird von der Welt gebraucht."


Einen Eindruck von Joan Halifax bekommt man in diesem Video. Die Webseite ihres Zentrums in Santa Fe: www.upaya.org

Freitag, 22. Mai 2015

Der philosophische Kater über: Feiertage


Wir Katzen begreifen das menschliche Konzept der Feiertage nicht. Die Menschen feiern also nicht den Tag, sondern der Tag feiert etwas, was irgendwann an diesem Tag geschehen ist oder geschehen sein soll? Bei den Menschen ist alles immer gleich so groß, lang und unpersönlich. Es wundert uns Katzen deshalb nicht, dass bevorstehende Feiertage die Menschen in hektische Aktivität versetzen. Sie riechen dann anders, so scharf.

Als Kater kenne ich nur Feiermomente. Das ist zum Beispiel der Moment, in dem ich mich auf dem Rücken räkele, und dann kommt ihre Hand, um mich am Bauch zu kraulen. Oh Wonne! Oder der Moment, in dem ein Bällchen geflogen kommt. Besser noch: ein Brekkie. Und diese jungen Triebe der Hortensie hier auf dem Balkon, köstlich! Oder der Vogel da auf dem Dachfirst! Gleich werde ich den kriegen ... gleich ... Und dann fliegt er weg, aber das feiere ich als Katze auch, denn so kann ich mich in die Sonne legen und muss mich nicht anstrengen.

Feiermomente sind klein, kurz und sehr persönlich. Sie stehen nicht im Kalender, man kann sie nicht planen, vorher für sie einkaufen und die Wohnung putzen (die Menschen glauben merkwürdigerweise, beim Feiern müsse alles sauber sein). Sie überfallen einen einfach so. Jeder Moment kann unversehens zum Feiermoment werden. Aber die Menschen fühlen sich unbehaglich, wenn etwas Ungeplantes auftaucht. Und dann die Treppe nicht geputzt ist. Und ihnen so auf die Schnelle gar nicht einfällt, wie man den Moment eigentlich feiern soll.

Ja, ich als Katze habe beobachtet: Die Menschen haben Angst vor Feiermomenten.

Samstag, 16. Mai 2015

Northern Lights


Ein weiteres Lieblings-Stück der zeitgenössischen Chormusik: "Pulchra es, amica mea" des jungen norwegischen Komponisten Ola Gjeilo (*1978), das er schrieb, nachdem er die Nordlichter in seiner Heimat beobachtet hatte.

Pulchra es, amica mea,
suavis et decora filia Ierusalem.
Pulchra es, amica mea,
suavis et decora sicut Ierusalem,
terribilis ut castrorum acies ordinata.
Averte oculos tuos a me
quia ipsi me avolare fecerunt.

Hohelied

Schön bist du, meine Freundin,
süße und liebliche Tochter Jerusalems.
Schön bist du, meine Freundin,
süß und lieblich wie Jerusalem,
doch furchtbar wie die geordnete
Schlachtenreihe vor dem Lager.
Wende ab deine Augen von mir,
denn sie zwangen mich zu fliehn.