Freitag, 14. März 2025

Die verbotenen Wörter

 


New York Times, 7. März 2025


Donald Trump hat das Goldene Zeitalter für Amerika ausgerufen. Wer etwas Neues aufbaut, wirft erst mal das Alte raus. Es stört, man will es nicht mehr haben. Wir kennen das: Man hat Omas Häuschen geerbt und fragt sich, was man mit den Bildern von röhrenden Hirschen tun soll. Mit ihnen zu leben, geht nicht, also schmeißt man sie weg.

Donald Trump will mit gewissen Wörtern nicht leben, die er von den Linken geerbt hat. Deshalb hat er Anordnungen erlassen, diese Wörter aus allen offiziellen Behörden-Dokumenten, offiziellen Websites und - Achtung - Lehrplänen und Schriftstücken von Schulen zu streichen. Tausende Angestellte der öffentlichen Verwaltung machen sich gerade daran, jene Wörter auszumerzen. Die New York Times hat eine dieser Verbotslisten auf den Tisch bekommen und veröffentlicht. Es ist anzunehmen, schreibt die Times, dass diese Liste nur eine von vielen ist.

Sprache steuert unser Denken, wie ich schon in meinem Post vom 10. März über die Kriegsmetaphern sagte hier (klick).

Auch ich finde, dass es sprachliche Verbiegungen gibt, die in dem Bemühen, keiner sozialen Gruppe auf die Füße zu treten, einfach unerträglich sind. Als Schriftstellerin weigere ich mich, den größten Unsinn mitzutragen. Aber in dieser Liste geht es nicht um Unsinn, sondern um eine Weltsicht, die durch das Eliminieren von Wörtern errichtet werden soll. 

Auf der Liste finden sich, nur als Beispiel: Black - clean energy - diversity - discrimination - cultural heritage - feminism - mental health - racial justice - sexuality und - man glaubt es kaum - women. All diese Wörter samt ihrer Ableitungen und Zusammensetzungen sollen "gestrichen oder limitiert" werden überall dort, wo ihre Verwendung die Maga-Welt in Frage zu stellen droht.  

In den USA wächst also eine Generation heran, die nichts mehr wissen soll von sozialer Ungleichheit, der Unterdrückung von Minderheiten, Rassismus und dem Wunsch vieler Menschen, ihre Liebe Menschen des eigenen Geschlechts zu schenken. Allmählich wird die Erinnerung an die Rechte von Frauen, Schwarzen und anderen Randgruppen der Geschichte verblassen und das Wort "Klimaerwärmung" wird vermutlich irgendwann in der Versenkung verschwinden.


New York Times, 7. März 2025


Die Nazis haben Bücher verbrannt. Trump verbietet Wörter, damit die Bücher, die ihm nicht gefallen könnten, gar nicht erst geschrieben werden.

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Montag, 10. März 2025

Der gute Ort


Der Von-der-Welt-Verehrte wies zur Erde und sagte: "Dies ist ein guter Ort, um ein Heiligtum zu errichten."

Indra, König der Götter, steckte einen Grashalm in die Erde und sagte: "Das Heiligtum ist errichtet."


Ich lese mit wachsender Bestürzung in den Medien Begriffe, von denen ich gehofft hatte, sie nie wieder zu hören: "Aufrüstung". "Wehrpflicht". "Atomschirm". "Zurückweisung an den Grenzen". "Handelskrieg". Sprache konditioniert unser Denken, und Worte setzen sich in Windeseile in unseren Köpfen fest. Ein paarmal die Nachrichten geschaut, und schon sprechen auch wir selbstverständlich von "Kriegsrecht" und "Sanktionen" und "Auslieferung", ohne vor dem Inhalt, den die Worte transportieren, im Geringsten zu erschrecken. 

Wir dürfen uns an die Sprache des Krieges nicht gewöhnen. Wir brauchen ein Gegengift.

Es gibt ein englisches Wort, das ich wunderbar finde, weil es seine Bedeutung über den Sound vermittelt: "Awe". Man muss gar nicht wissen, dass es "Ehrfurcht, heilige Scheu" bedeutet. Man hört Aaah! und weiß Bescheid. Wir  haben das Aaah! verlernt, uns ist irgendwann zwischen unseren Alltagspflichten und den Fernsehnachrichten die Ehrfurcht verlorengegangen.

Es gibt Orte und Gebäude auf der Welt, die im Lauf von Jahrtausenden mit der Energie von Gläubigen und Pilgern aufgeladen wurden. Man nennt sie Heiligtümer. Ich habe ein paar von ihnen besucht. Das Tadj Mahal, die Kathedrale von Chartres, das Freiburger, Ulmer und Kölner Münster, Fatima, Lourdes, Klöster und viele buddhistische Tempel. An all diesen Orten wehte mich etwas an wie ein feiner Luftzug - etwas Besonderes, eine Energie, der ich gerne nachgespürt hätte. Aber ich fand keine Ruhe, keine stille Ecke, keinen Platz, um mich zu versenken. Ich stand inmitten von Menschenmassen und Touristengruppen, die fotografierten und sich unterhielten. Sicher gab es auch darunter Menschen, die auf der Suche nach dem Heiligen waren, und vielleicht fanden sie es an den berühmten Orten ebenso wenig wie ich - weil es überall zu voll war. 

Das Wort "heil" bedeutet vollständig, gesund, ganz und ungeteilt. Die Ableitung "heilig", sagt mein Duden, könnte im Althochdeutschen auch die Bedeutung von "bezaubert" und "Glück bringend" gehabt haben. Ein Heiligtum ist also ein Ort, an dem wir ungeteilt und ganz und gar bei uns selbst sein können. An dem wir Aaah! sagen und etwas ganz Entscheidendes begreifen können: Das Heilige ist gar nicht an einen Ort gebunden. 

Auf Wikipedia fand ich den schönen Satz: "Heiligtümer werden nicht geplant. Sie können überall sein und sind nicht an besondere Landschaftsformationen gebunden."

Gott Indra in dem buddhistischen Gleichnis pflanzte ein Hälmchen und erklärte es zum Heiligtum. Darin liegt das Geheimnis der Ehrfurcht: Sie entsteht allein in uns selbst. Wir sind es, die eine äußere Form zu ihrem Träger erklären, wir selbst laden einen Ort oder einen Gegenstand mit unserer heiligen Scheu auf, und wenn viele Tausend Menschen ihre Energie auf diesen Ort oder Gegenstand konzentrieren, wird seine Kraft sogar für andere spürbar. 

Und auf dieselbe Weise wirken Kriegs-Metaphern. Wenn Menschen daran glauben, dass es im Leben um Sieg oder Niederlage geht und es dazwischen nichts gibt, wenn die Kraft des Stärkeren allein entscheidend sein soll für unser aller Überleben, dann laden wir die Waffen, die wir herstellen und irgendwohin schicken, mit der Kraft unseres Glaubens auf. Das ist es, was Panzer, Drohnen und Bomben wirklich zerstörerisch macht: Unsere Überzeugung, sie seien die einzig mögliche Antwort auf Bedrohungen.

Wir müssen umkehren. Alles umkehren, unseren Blickwinkel und unseren Respekt vor dem Falschen, vor dem, was zerstört, anstatt aufzubauen. Wir müssen nicht nach Indien reisen. Hier, wo wir gerade sind, wo das Leben uns hingestellt hat, ist ein guter Ort, um ein Heiligtum zu errichten. Viel Platz ist nicht, wir wohnen ja alle nicht in Palästen, aber wer sagt, dass wir Platz brauchen. Ein Hälmchen findet immer einen Krumen Erde, um zu wachsen. Wir errichten unser kleines Heiligtum, indem wir eine Kerze in einer Schlafzimmer-Ecke aufstellen oder auf dem Balkon ein Blümchen pflanzen. Es genügt auch, einfach nur Aaah! zu sagen und dem Klang nachzulauschen wie einem Mantra. 

Wir brauchen nirgendwohin zu reisen. Es ist unser Geist, der "heil" sein muss. Frei von zerstörerischen Gedanken, gelassen, ruhig, weit und voll Mitgefühl. Erst, wenn wir unseren Geist zu einem guten Ort gemacht haben, sind wir umgekehrt. Unsere Sprache wird eine völlig andere sein, und unsere Handlungen werden kleine Pflanzen setzen, anstatt eine Wüste der Zerstörung zu hinterlassen. 

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Dienstag, 4. März 2025

Dani Shapiro "Leuchtfeuer"

 

Ich muss euch noch ein Buch empfehlen, weil ich es so liebe. Gibt es eine Geschichte? Ja und nein. Am 27. August 1985 fährt der fünfzehnjährige Theo in einem Vorort von New York betrunken den Familienwagen an einen Baum, die Freundin stirbt, die siebzehnjährige Schwester Sarah behauptet, gefahren zu sein. Dieses Ereignis findet auf den ersten fünf Seiten des Buches statt. Auf den restlichen zweihundertachtzig Seiten sehen wir den vier Mitgliedern der Familie Wilf dabei zu, wie sie hilflos und tapfer versuchen, mit ihren gebrochenen Herzen zu leben - fünfunddreißig Jahre lang, aus wechselnder Perspektive jedes Einzelnen. Als Theo längst ein hippes Restaurant downtown hat, weiß er: "Seine Familie ist unmerklich Stück für Stück aus den Fugen geraten. Jetzt sind sie voneinander getrennt. In ihren einzelnen kaputten Universen."

Sie schweigen über das, was vorgefallen ist. Sie haben keine Worte dafür, und erst spät in ihrer Leben wird das Sprechen möglich und eine Erlösung sein. In einer weiteren Nacht, zehn Jahre später, geschieht etwas Neues: Im gegenüberliegenden Haus kommt ein Kind zu früh auf die Welt, Ben Wilf, der Arzt, hilft ihm ins Leben, und der kleine Waldo wird das Bindeglied zwischen den Menschen in beiden Häusern und dem, was sie unsichtbar verbindet. Jetzt sind wir beim eigentlichen Thema des Romans, und das ist eben keine erzählbare Geschichte, denn dieses Buch handelt vom Unerzählbaren. Von dem, was zwischen den Menschen geschieht, in ihren Herzen und im Kosmos, von dem sie ein Teil sind, geheimnisvoll miteinander verbunden.

Waldo ist ein besonderes Kind, zart und introvertiert. Schule und Eltern halten ihn für "nicht normal", er wird zu Therapien geschleppt, und nur Ben Wilf erkennt, wen er da vor sich hat: einen Hochbegabten, der sich in Astrophysik vertieft. Waldo hat etwas begriffen, was die anderen erst allmählich von ihm lernen: "Alles ist mit allem verbunden. Dr. Wilf. Ich. Ihr. Wie Teile eines galaktischen Superhaufens." Ben Wilf hat geholfen, Waldo auf die Welt zu bringen, und es wird der elfjährige Waldo sein, der Bens Frau Mimi aus dem Leben begleitet und dem alten Arzt, der längst in Kalifornien lebt, klarmacht, dass Tote nicht sterben, sondern immer bei uns sind. 

Dani Shapiro erzählt über vierzig Jahre hinweg und springt von einem Jahrzehnt ins andere und wieder zurück, und das ist stimmig. Denn im Tiefsten ist dies ein spirituelles Buch. Es führt uns in den Bereich jenseits der sogenannten Realität, in dem es keine lineare Zeit gibt: "Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft entfalten sich immer und ewig."

Das Buch ist so herzzerreißend schön, voller Schmerz und Traurigkeit, aber gerade deshalb tröstlich. Wenn du je erfahren hast, dass ein Ereignis dein Leben in ein unwiederbringliches Vorher und ein Nachher trennt, ist dies dein Buch.   

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