Sonntag, 29. Januar 2017

Hochsensibilität: Über das Leben mit "schwierigen" Menschen. High sensitivity: On living with "difficult" people.

Gampo Abbey entrance hall, Pema's monastery

I was asked to post a bit more for highly sensitive persons (see "Hochsensibilität" on the right side bar). Well, everything I post is for and about highly sensitive persons in a sense, being one myself. Okay, something special today. What about all those people in our lives who are not highly sensitive and do not even notice that they totally drain our energy with their behaviour? They are who they are. We are who we are. I found this excerpt from an interview with the Buddhist monk Pema Chodron, it is worth contemplating. Zen practice helped me in a high degree to keep my energy when other people shout at me, accuse me, show any kind of aggressiveness; for us this feels as if they would stick knives into our bodies because we do not have any borders between ourselves and others. But that's important: Do not forget to care for yourself - do not hesitate to tell someone to leave you alone when you feel he or she is more than you can bear at the moment. Pema mentions Leonard Cohen, who always appeared to me to be a highly sensitive person.

"You know who said it best? Leonard Cohen. He meditated all those years at Mt. Baldy Zen Center, often for twelve hours at a time. In an interview, he said he got so bored with his dramatic storyline. And then he made the comment, "The less there was of me, the happier I got." That's the answer to enjoy your life. It's to show up and have a sense of curiosity about whatever might appear that day, including it all in your sense of appreciation of this precious human birth, which is so short. I don't want to call it delight, although it can feeel like that. It's more curiosity. Some people say, I know what's going to show up today - the same old thing. But it's never really the same old thing.

The less there is of you, the more your're interested in and curious about other people. Who you live with and who you rub up against and who you share this world with is a very important part of enjoying your life. Sarte said, "Hell is other people", but this is the other view of that. When people irritate you, when they get your goat, when they slander you, whatever it might be, you still have a relationship with them. It's interesting that of all the billions of people on the earth, they're the particular ones who came into your world. There's respect for whatever happens, and this is only really possible if your're not rejecting whole parts of your experience." Pema Chodron

"Weißt du, wer das am besten ausgedrückt hat? Leonard Cohen. Er hat all die Jahre im Mt. Baldy Zen Center meditiert, oft zwölf Stunden lang. In einem Interview sagte er, seine dramatische Geschichte habe begonnen, ihn so zu langweilen. Und dann sagte er: "Je weniger von mir da war, umso glücklicher wurde ich". Das ist die Antwort auf die Frage, wie wir Freude am Leben haben. Es bedeutet, wach zu sein und ein Gefühl der Neugier zu haben für alles, was an diesem Tag auftauchen wird, und alles einzuschließen in dein Gefühl der Wertschätzung für diese kostbare menschliche Geburt, die so kurz ist. Ich möchte es nicht Vergnügen nennen, obwohl es sich so anfühlen kann. Es ist eher Neugier. Manche Menschen sagen, ich weiß schon, was heute passieren wird - immer dasselbe alte Zeug. Aber es ist nie wirklich dasselbe alte Zeug.

Je weniger von dir da ist, umso neugieriger und interessierter bist du an anderen Menschen. Es ist wichtig für deine Freude am Leben, mit wem du lebst und an wem du dich reibst und mit wem du diese Welt teilst. Sarte sagte: "Hölle, das sind die anderen". Aber das ist die andere Sichtweise. Wenn Menschen dich irritieren, wenn sie deine Knöpfchen drücken, wenn sie dich verleumden, was auch immer, so hast du doch immer noch eine Beziehung zu ihnen. Es ist interessant, dass unter all den Billionen Menschen auf der Erde gerade sie diejenigen sind, die in deine Welt getreten sind. Da ist Respekt für alles, was geschieht, und das ist nur möglich, wenn du nicht ganze Teile deiner Erfahrung ablehnst." Pema Chödrön

Found in the Buddhist magazine Lion's Roar.

Freitag, 20. Januar 2017

Form ist Leerheit. Leerheit ist Form.

Durch Tonkneten macht man Gefäße,
auf dem Nichts darin beruht des Gefäßes Brauchbarkeit.
Durch Aushöhlen von Türen und Fenstern macht man Häuser,
auf ihrem Nichts beruht der Häuser Brauchbarkeit.
Darum:
Das Seiende ist zwar nützlich,
das Nichts ist das Wirksame.
Lao-tse

Ich bin vorgestern zum dritten Mal innerhalb von drei Monaten dasselbe gefragt worden: Wie ich eigentlich das Schreiben mit meiner spirituellen Praxis vereinbaren könne - Sprache würde doch per se eine Dualität herstellen und könne die Einheit des Ganzen niemals abbilden. Das erinnert mich an eine Zen-Lehrerin, die mir am Anfang meiner Zen-Praxis kühl sagte: Wenn du die Wahrheit der Ganzheit erkannt hast, schreibst du nicht mehr. Ich war damals sehr betroffen und hatte keine Antwort darauf. Aber heute habe ich eine: Diese Sätze unterstellen, "Sprache" und "Ganzheit" seien zwei verschiedene Dinge. Aber Ganzheit ist eben Ganzheit - alles drin!

Im Prajnaparamita Hridaya Sutra, bei uns bekannt als Herz-Sutra, heißt es:

Form ist Leerheit, Leerheit ist Form,
Form ist nichts anderes als Leerheit,
Leerheit ist nichts anderes als Form.

Was meint der Buddhismus mit "Leerheit", diesem so missverständlichen Begriff? Ganz einfach die Fülle der Ganzheit. "Leer" bezieht sich hier auf "leer von einem eigenständigen Selbst", denn im Urgrund ist alles miteinander verbunden und ineinander verwoben, ununterscheidbar. Man kann es auch Brahman nennen, Universum, das Absolute, den Urgrund, die Wahrheit, und christliche Zen-Lehrer nennen es Gott. Mein Lieblingsbegriff dafür ist Stille. Aus dieser Leerheit aber entstehen unablässig Formen, aus dem Ununterscheidbaren entsteht das Unterscheidbare. Alles, was wir sehen, hören, empfinden, alle Dinge und Wesen entstehen aus dem Urgrund des Seins - den Moment des Entstehens nennen wir Geburt. Und irgendwann werden sie wieder in diesen Urgrund zurücksinken - das nennen wir dann Tod. 

Das Herz-Sutra nun fährt damit fort, zu erläutern, was es in der Leerheit nicht gibt - und was folglich der Praktizierende, obwohl Form, in Anbetracht der Leerheit eben nicht ist: Er ist nicht sein Auge, sein Ohr, seine Zunge, er ist nicht sein Körper, nicht sein Geist, er ist nicht seine Gedanken, seine Gefühle, seine Wahrnehmungen. Er ist der Urgrund, das Göttliche, die Leerheit. Als Praxis hat das durchaus seine Berechtigung: Fast alle Menschen (ich auch, wenn ich nicht achtsam bin) verlieren sich in der Faszination der Formen. Dann wird das Gefühl, die Wahrnehmung, der Gedanke, das Geld, der Erfolg, die romantische Liebe, der Roman, das Gemälde, die Komposition als etwas Eigenständiges betrachtet, das man unbedingt behalten, erreichen, haben und festhalten oder, wenn es sich unangenehm anfühlt, loswerden will. Und wenn die Form, die wir gern behalten wollen, sich wieder auflöst, weil dies das Wesen aller Formen ist, leiden wir unter dem Verlust.

Man kann die Praxis aber auch umkehren und in den Abermillionen Formen, die die Welt uns schenkt, den Urgrund erkennnen.

Spüren Sie die Stille in den Augen Ihrer Katze? Sehen Sie das Göttliche in Ihrem Nachbarn, der seinen Müll immer in Ihre Tonne wirft? Erkennen Sie die Geburt von etwas Neuem, wenn etwas in Ihrem Leben stirbt?

Das Universum (die Leerheit, die Ganzheit, Brahman, Gott, die Stille) erschafft unablässig neue Formen. Es spielt! Es spielt mit Klang, Ton, Farbe, Duft, Struktur, Licht, Schatten! Und ich spiele ein wenig mit, solange ich noch nicht in den Urgrund zurückgeholt wurde. Ich spiele mit meinen Stoffen (sie kommen aus der Stille), ich spiele mit meiner Stimme (sie kommt aus der Stille), ich schreibe ein wenig (die Sprache kommt aus der Stille).

Es gibt keine Trennung zwischen Leerheit und Form. Nur ein Hin- und Herfließen, ein Aufleuchten und Verdunkeln, ein Zeigen und Verbergen. Die Form, die ich "Ich" nenne, ist nur ein Instrument, das von der Stille bespielt wird. Wie Rumi zu seinem Geliebten sagte, und der Geliebte ist nur ein weiterer Ausdruck für die Stille: "Ich bin die Flöte. Du aber bist die Musik."

Es gibt keine Trennung.

So einfach ist das.


Sonntag, 15. Januar 2017

Andy Goldsworthy

 

Für alle, die sein Werk noch nicht kennen:
3 Minuten 39 Sekunden Andy Goldsworthy.

Kunst zum Glücklichwerden.


Mittwoch, 11. Januar 2017

Die Wüstenerschaffer und die Dichter


Manchmal, plötzlich, trampeln Menschen in meinen Lebensraum, deren Seele sich offenbar gegen jeden Anflug von Poesie mit einer stählernen Rüstung gewappnet hat. Die Sprache dieser Menschen ist die der Beurteilung, der Behörden und der sogenannten "Vernunft", und ich, die diese Sprache nicht beherrscht und ihr wehrlos ausgesetzt ist, vertrockne in Windeseile. Solche Menschen sind Wüstenerschaffer. Um aus dieser Wüste so schnell wie möglich wieder herauszukommen ins Blühende, Fließende, Klingende, muss ich Gedichte lesen. Oder aber dieses Buch von Gaston Bachelard, der zwar ein Philosoph war, aber eine Dichterseele hatte.

Bachelard spricht über Räume, und er tut es wie ein Dichter. Er weiß, dass es sich bei der Sprache der Dichter nicht um Metaphern handelt, sondern um gelebte, erlebte Wirklichkeit. Ja, Gedichte entstehen aus dem gelebten Leben der Dichter! Er zitiert Sätze, die ich beglückt unterstreiche, von Dichtern, die ich zum Teil gar nicht kenne. Und denkt also nach über das Haus ("Eine Nacht, zehn Dörfer, ein Berg, / ein schwarzer Leviathan, goldgenagelt". G.-E. Clancier), den Schrank ("Der Schrank ist voll Wäsche / Sogar Mondstrahlen sind drin die ich entfalten kann". André Breton), das Nest, die Muschel, den Winkel ("Schließet den Raum! Schließet die Tasche / des Känguruhs! Dort ist es warm". Maurice Blanchard), die innere Unermesslichkeit, den Wald als Seelenzustand (Wir sind "zarte Bewohner der Wälder unseres eigenen Wesens". Jules Supervielle).

Und was sagt Bachelard selbst? "Allzu klare Bilder werden zu allgemeinen Ideen. Dann blockieren sie die Phantasie. Gesehen, verstanden, gesagt: alles erledigt. Man muss dann einem besonderen Bild begegnen, um dem allgemeinen Bild wieder Leben zu geben."

Und dies, das Wichtigste: "Die Dichter verhelfen uns dazu, eine so expansive Freude am Schauen in uns zu entdecken, dass wir mitunter vor irgendeinem nahen Gegenstand die Erweiterung unseres inneren Raumes erleben." 

Wenn Ihr aus irgendeinem Grund in eine innere Wüste geraten seid - lest Bachelard!