Samstag, 30. Mai 2020

Etwas geht, etwas kommt


"Are you going to Scarborough Fair? / Parsley, sage, rosemary, and thyme. / Remember me to one who lives there. / She once was a true love of mine."

Simon & Garfunkel

Dieses schöne Lied habe ich in meinen Zwanzigern gesungen, mit einer Band aus Freunden. Auf der Straße, in Kellern, auf winzigen Bühnen. Ich werde nie wieder so unbeschwert und unbekümmert singen (ich singe anders und anderes), und obwohl ich einen guten und netten Chor habe, erinnere ich mich mit leiser Wehmut an Nächte, in denen wir gejammt haben bis zum Morgengrauen. In einer Zeit, in der Musik mein Leben war.

So vieles geht gerade zu Ende. Der kleine Handarbeitsladen, in dem ich gern eingekauft habe, muss schließen, weil er die Miete nicht mehr zahlen kann. Mein guter und sympathischer Zahnarzt, den ich seit zwanzig Jahren habe, geht in Pension.

Wenn die Bedingungen entsprechend sind, erscheint etwas in der Welt. Wenn sie nicht mehr ausreichen, geht es aus der Welt und verwandelt sich in etwas anderes. "Weg" ist es nur für unsere Augen. (Deshalb hat Thich Nhat Hanh das Lied geschrieben "No coming, no going".)

Aber die kleinen Spatzen, die unter meinem Dachfirst geboren wurden, beginnen zu fliegen. Die Tomaten und Himbeeren reifen. Die Rosen blühen. Und heute gehen wir ein wenig wandern.

Mit diesem großartigen Arrangement von "Scarborough Fair", gesungen von Apollo 5, wünsche ich Euch ein schönes Pfingstfest.


Sonntag, 24. Mai 2020

Mein Teich


"Es ist egal, wie weit du reist. Das weiteste Ziel ist für gewöhnlich das am wenigsten lohnendste. Wichtig ist allein, wie lebendig du bist." Henry David Thoreau

In diesen Tagen, in denen Griechenland wieder seine Strände öffnet, die Balearen um Gäste werben, Italien dem nicht nachstehen will und die Lufthansa folglich ab Juni wieder mehr Flüge anbietet, reise ich an meinen Teich.

Mein Teich ist zwanzig Kilometer von meiner Wohnung entfernt. Er liegt versteckt in einem Wald, kein Auto kann ihn erreichen. Deshalb bin ich dort fast immer allein mit den Vögeln. Ich setze mich ans Ufer und beobachte die Fliegen, die sich auf den Blättern der Seerosen niederlassen. Ab und an huscht der rötliche Schatten eines Fisches vorbei; ich weiß nicht, wie die Fische in meinem Teich heißen, es ist mir auch egal. Je älter ich werde (und je länger diese wunderbare Ereignislosigkeit dauert, die sie Lockdown nennen), umso weniger Interesse habe ich, die Welt zu benennen. Ich will sie einfach nur sehen. Hören. Riechen.


 
Mein Teich überrascht mich immer wieder. In jeder Jahreszeit, im wechselnden Licht jeder Stunde zeigt er ein anderes Gesicht. Ich betrete den Wald in Vorfreude. Die Spannung wächst mit jedem Schritt, und ein wenig aufgeregt und besorgt (hat ihn auch niemand vermüllt, besudelt, entheiligt?) biege ich um die Ecke, halte den Atem an - und, oh, er ist immer noch er selbst, in sich ruhend, still.

Wir brauchen Orte, die uns einlassen in ihre Stille, unsere Anwesenheit dulden und doch unergründlich bleiben. Orte des Geheimnisses.

"Manche von uns reisen, um durch den Vorhang des Gewöhnlichen zu schlüpfen, hinein in die Präsenz von etwas, das außerhalb unseres Begreifens liegt." Pico Iyer

Mein unbegreiflicher Teich.

 

Sonntag, 17. Mai 2020

Oh happy day


Die Zeitschrift DIE ZEIT bringt in ihrer jüngsten Ausgabe ein Interview mit dem scheidenden Präsidenten des Bundes-Verfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle. Auf die letzte Frage, wie ihn die zwölf Jahre seiner Amtszeit verändert hätten, sagt Voßkuhle, er sei heute nicht mehr so optimistisch, dafür aber gelassener. Er wisse heute, dass man Krisen überleben könne. Und dann kommt der Satz: "Das Glück, das man im Leben erfährt, ist kein Ereignis, sondern eine Haltung, die man sich täglich neu erarbeiten muss."

Ich führe seit zwei Monaten so etwas wie ein Glücks-Tagebuch. Alle zwei, drei Tage ein paar Worte zu Wahrnehmungen, die mich glücklich gemacht haben. Die Butterblumenwiesen. Die hängenden Glyzinien. Der Baumwipfel, der sich in der Pfütze spiegelt. Das Licht, die Schatten. Der Hund, die Katze, der Mond. Das frisch gebackene Brot. Der Duft des Tees. Die Stille.

"Denken Sie nur. Zuweilen sehe ich die blaue Fliege. Ja, das hört sich alles so dürftig an, ich weiß nicht, ob Sie es verstehen." "Doch, doch, ich verstehe es." "Ja, ja. Und zuweilen sehe ich das Gras an, und das Gras sieht mich vielleicht wieder an; was wissen wir? Ich sehe einen einzelnen Grashalm an, er zittert vielleicht ein wenig, und mich dünkt, das ist etwas; und ich denke bei mir: Hier steht er nun, dieser Grashalm, und zittert! Und ist es eine Fichte, die ich betrachte, so hat sie vielleicht einen Zweig, der mir auch ein wenig zu denken gibt. Aber zuweilen treffe ich auch Menschen auf den Höhen, das kommt vor ..."

Knut Hamsun. Pan.

Sonntag, 10. Mai 2020

Thich Nhat Hanh: I am responsible


"We cannot say 'I am separate and unique. I am not responsible.' Instead we must learn to say: 'By taking good care of myself, I take good care of you. And by taking good care of you, I take care of myself.'" 

Thich Nhat Hanh

Das ist es, worum es geht.
Verantwortungsbewusstsein. Rücksicht. Höflichkeit. Zu wissen: Das Virus kennt keine Grenze zwischen mir und dem anderen. Indem ich mich schütze, schütze ich dich. Indem du dich schützt, schützt du mich.
Ich bin fassungslos über die Bilder von den Demonstrationen am Wochenende. Tausende stehen dicht gedrängt ohne Mundschutz beisammen und haben offenbar den Ernst der Situation nicht begriffen. "Wir sind das Volk"??? Dann gehören Virologen wie der kluge Christian Drosten, Ärzte aller Fachrichtungen und besonnene Politiker wie Angela Merkel nicht zum Volk. Dann gehöre ich nicht zum Volk.

 


Haben wir begriffen, dass der Sinn des Lockdowns und der Kontaktsperren nicht war, das Virus abzuschaffen, sondern seine Ausbreitung zu verlangsamen, damit unser Gesundheitssystem nicht zusammenbricht? Und dass die gute Nachricht von freien Intensiv-Betten in den Kliniken nur bedeutet, dass ich, falls es mich heftig treffen sollte, gute Chancen habe, eins der Betten zu kriegen?

Wo informieren wir uns, wem hören wir zu, auf welcher Grundlage treffen wir unsere Entscheidungen?

Wie geben wir dem Begriff "Verantwortung" in unserem täglichen Leben Ausdruck?

Ich frage. Traurig und besorgt.

 

Samstag, 2. Mai 2020

John O'Donohue: This is the Time. Dies ist die Zeit.


This is the time to be slow.
Lie low to the wall
until the bitter weather passes.

Try, as best as you can, not to let
the wire brush of doubt
scrape from your heart
all sense of yourself
and your hesitant light.

If you remain generous,
time will come good;
and you will find your feet
again on fresh pastures of promise,
where the air will be kind
and blushed with beginning.

John O'Donohue

Dies ist die Zeit, langsam zu sein.
Lege dich an den Fuß der Mauer
bis das raue Wetter vorüber ist.

Lass nicht zu
dass die Drahtbürste des Zweifels
dein Gefühl für dich selbst
und dein zögerliches Licht
von deinem Herzen kratzt.

Wenn du großzügig bleibst
wird die Zeit gut werden
und deine Füße werden sich wiederfinden
auf frischen Weiden der Verheißung
wo die Luft freundlich sein wird
und rosig von Anfang.

John O'Donohue

Übersetzung: Margrit Irgang