Sonntag, 24. Februar 2019

Geistige Energie ist nicht unerschöpflich

Sehr zu empfehlen: Absichtslos in den Himmel gucken ...


Seit ein paar Wochen besteht aus diversen Gründen mein Leben aus dringenden Terminen und Verpflichtungen. Dazu kam eine fiese, lang andauernde Erkältung. Irgendwann bemerkte ich, dass ich nicht  mehr in meinem Körper lebte, sondern nur noch in meinem Kopf, der zu planen und zu organisieren hatte. Und weil ich nicht mehr in meinem Körper war, hatte ich die Präsenz im Augenblick verloren. Ich nahm nicht mehr wahr, was in mir und um mich herum geschah.

Der Buddhismus kennt acht Arten des Bewusstseins, und das "Geistbewusstsein" ist die erste Form. Wir würden diese Form des Bewusstseins Denken nennen; es ist die Tätigkeit des Gehirns. Unser Gehirn, sagt Thich Nhat Hanh, "macht nur zwei Prozent unseres Körpergewichts aus, aber verbraucht zwanzig Prozent der Körperenergie". Unser Planen, Analysieren, Grübeln und Urteilen verbraucht also enorm viel Energie. Mit dieser Energie müssen wir haushalten, sie ist nicht unerschöpflich. Zur Zeit ist ja - und das ist absolut zu begrüßen! - viel die Rede davon, dass die Ressourcen der Erde zur Neige gehen, wenn wir nicht sorgsam mit ihnen umgehen. Aber nirgendwo höre ich, dass dasselbe für unsere geistige Energie gilt.

Wie also gehen wir ökonomisch mit unserem Denken um? Wir setzen Gedanken nur dort ein, wo sie sinnvoll sind und gebraucht werden. Jeder in diesem Moment überflüssige Gedanke lässt Energie aus uns fließen wie aus einem Leck. 

Ich habe mich also besonnen auf meine Grundübung: Innehalten, atmen, Körper und Geist wieder zusammenbringen. Beim Gang zu einem Termin bin ich rechtzeitig aufgebrochen, um Zeit zu haben, die ersten Knospen an den Bäumen zu betrachten. Den Wolken nachzusehen, eine Katze zu streicheln. Kostbare Minuten, in denen mein Geistbewusstsein Urlaub hatte, es wurde beim Schauen und Streicheln nicht gebraucht. Mittags habe ich, die gerne kompliziert kocht, eine einfache Suppe gemacht - das Gemüse aber ganz bewusst geschnippelt, der Suppe beim Köcheln zugesehen, sie bedachtsam abgeschmeckt. Jetzt bewohne ich meinen Körper wieder.

Und was macht Ihr, wenn Ihr merkt, dass Eure Gedanken Euch im Griff haben? Ich bin gespannt auf Eure Kommentare.

... oder mal nach unten schauen. So ein Teich trägt viel zur Geistesruhe bei.

 

Mittwoch, 13. Februar 2019

Spielen!


Im Herbst begegnete mir ein sehr trauriger Ball. Der Ball wartete auf ein Kind, das mit ihm spielen wollte. Ich schaute mich um, guckte in Hofeinfahrten. Kein Kind weit und breit. Ich nahm den Ball auf und warf ihn ein paar Mal in die Luft. Spielerisch. Leicht. Weil auch ein Ball nicht traurig sein sollte. Das leuchtet doch ein?

Vor ein paar Tagen, beim Abendessen nach der Chorprobe, kam das Gespräch auf das Thema Spielen. Es stellte sich heraus, dass alle Frauen um mich herum als Kinder gerne gespielt hatten. Sie zählten auf: Canasta, Rommé, Fang den Hut, Malefiz, Quizspiele. Ich, das Einzelkind, habe auch gespielt: Mensch ärgere dich nicht, gegen mich selbst. Und Murmelspiele auf dem Küchenboden, gegen mich selbst. Die Frauen riefen: Ach wie traurig! Spielen ist doch Herausforderung, Wettbewerb, Gewinnen, Verlieren! Aber meine Spielsteine, Würfel und Murmeln hatten ein Kind, mit dem sie spielen konnten. Wenn wir zusammen waren, waren wir nicht traurig.

Bis heute spiele ich, eigentlich mit allem, was ich tue. Mein Kochen und Backen ist im Grunde ein Spiel mit Kochlöffeln, Pfannenwendern, Käsereiben, Hobeln und Messern aller Art. Das Pflanzen von Erdbeeren, Tomaten und allerlei Grünzeug auf dem Balkon ist ein Spiel; mein Schreiben ist ein Spiel mit Worten, Rhythmen und Klängen; mein Singen ist ein Spiel mit meiner Stimme und der Luft, die sie zum Klingen bringt; meine Fotografie ist ein Spiel mit dem Licht.

Bis heute weiß ich nicht, was Gewinnen und Verlieren bedeutet. Meine Spiele haben alle einen höchst ungewissen Ausgang. Nie weiß ich vorher, ob das Soufflé nicht zusammenfällt, der Kuchen trocken ist. Ob Erdbeeren, Tomaten und Grünzeug aufgehen oder aus unerfindlichen Gründen in meinen Kübeln still versterben. Nie weiß ich vorher, ob der Text, die Erzählung, das Gedicht gelingen werden, ob ich die richtige Form für einen Gedanken finde, den Rhythmus, der ein Gefühl ausdrückt. Dieses eine einzigartige Gefühl, das mich zum Schreiben veranlasst hat. Ich weiß vor keiner Probe, keinem Konzert, ob meine Konzentration, mein Stimmvermögen und mein musikalisches Verständnis ausreichen, um den Chor mitzutragen. Und wenn ich auf den Auslöser drücke, weiß ich nie, ob das Foto, das ich gerade mache, das kleine Extra aufscheinen lässt, diese Winzigkeit des Unausdrückbaren, die nicht im Materiellen lebt, sondern in den Zwischenräumen. Ich habe es erspürt, deshalb habe ich das Foto gemacht. Aber werden andere es auch spüren, wenn sie das Foto auschauen?

Kann ich sagen, dass ich das Spiel am Herd verloren habe, wenn das Soufflé ein elendes Häufchen ist? Habe ich verloren, wenn das Basilikum verwelkt ist, das Gedicht im Papierkorb landet, meine Stimme heiser ist, das Foto banal? 

Da bin nur ich und ein Käsehäufchen, ein schlappes Grün, ein zusammengeknülltes Papier.

Ich glaube, das ist die Wahrheit hinter dem Sichtbaren: das Universum spielt. Es spielt mit Farben, Klängen, mit Nacht und Tag. Es spielt mit Sonne, Regen und Wind und mischt das Ganze zu dem, was wir Wetter nennen. Es spielt mit Blumen, Bäumen, Tieren und mit uns, mischt uns immer neu zusammen, zu immer neuen Begegnungen, zu immer neuen Trennungen. Das Universum spielt nicht, um zu gewinnen. Es spielt, um zu spielen.

Und vielleicht - also, ich bin mir da fast sicher - ist das Universum traurig, wenn es niemanden hat, der mit ihm spielen will. Deshalb sollten wir uns hin und wieder ein wenig einmischen. Ganz leicht, ganz spielerisch. Nicht, um zu gewinnen. Um mitzuspielen.


Dienstag, 5. Februar 2019

Das Freudenfeuer anzünden

... für ein großes Freudenfeuer ...

"Um zu verstehen, was Freude ist, stellen wir am besten erst einmal fest, was sie nicht ist. Freude ist weder Spaß noch Vergnügen, noch ist sie Rausch und Ekstase. Spaß und Vergnügen sind von äußeren Objekten abhängig, die uns Vergnügen schenken sollen. Der Rausch wiederum trägt uns  von uns selbst und den gegebenen Umständen fort, und sein besonderes Kennzeichen ist die Ernüchterung, die uns befällt, wenn wir aus ihm erwacht sind. Wenn Spaß und Vergnügen Strohfeuer sind und der Rausch eine Stichflamme, dann könnten wir die Freude mit einer wohlig wärmenden Glut vergleichen. Um solch eine Glut herzustellen, müssen wir in unserem Herd ein solides Feuer anzünden, und das macht man am besten mit sehr gutem  Holz, das schön trocken ist und in handliche Stücke zerkleinert. Mit anderen Worten: Freude erfordert Klugheit und Geschick, sie fällt nicht so einfach vom Himmel. Wir müssen etwas tun, bevor uns die Glut wärmen kann. Wir müssen geschickte Feueranzünder werden.

Es ist ziemlich leicht, Freude zu empfinden, wenn wir ein Geschenk bekommen, verliebt sind oder Erfolg haben. Was aber geschieht, wenn Verliebtheit und Erfolg vergangen sind und das Geschenk den Neuheitswert verloren hat? Dann ist die Freude mitgegangen, als sei sie ein Anhängsel, das zu den Zuständen gehört und von ihnen mitgezogen wurde. Freude aber ist völlig unabhäng von ihrem Auslöser. Sie entsteht und vergeht in uns selbst; Freude ist eine Haltung, die wir kultivieren können.

Der neue Haarschnitt ist eine Katastrophe, der Kuchen verbrannt, draußen regnet es in Strömen, aber ... aah, der Geruch nach frischer Erde, der zum offenen Fenster hereinkommt! Wir werden immer etwas finden, das unser Freudenfeuer nähren kann: die Tasse Kaffee, wenn wir durchfroren vom Markteinkauf kommen, der Anblick des ersten Schneeglöckchens, die Katze, die ihren Kopf an unserem Bein reibt. Wenn das Schneeglöckchen verwelkt, lebt unsere Freude dennoch weiter. Wenn die Katze sich von uns abwendet, bleibt unsere Freude dennoch bei uns."

(Aus: Margrit Irgang "Wunderbare Unvollkommenheit", Herder Verlag.)