Mittwoch, 13. Februar 2019
Spielen!
Im Herbst begegnete mir ein sehr trauriger Ball. Der Ball wartete auf ein Kind, das mit ihm spielen wollte. Ich schaute mich um, guckte in Hofeinfahrten. Kein Kind weit und breit. Ich nahm den Ball auf und warf ihn ein paar Mal in die Luft. Spielerisch. Leicht. Weil auch ein Ball nicht traurig sein sollte. Das leuchtet doch ein?
Vor ein paar Tagen, beim Abendessen nach der Chorprobe, kam das Gespräch auf das Thema Spielen. Es stellte sich heraus, dass alle Frauen um mich herum als Kinder gerne gespielt hatten. Sie zählten auf: Canasta, Rommé, Fang den Hut, Malefiz, Quizspiele. Ich, das Einzelkind, habe auch gespielt: Mensch ärgere dich nicht, gegen mich selbst. Und Murmelspiele auf dem Küchenboden, gegen mich selbst. Die Frauen riefen: Ach wie traurig! Spielen ist doch Herausforderung, Wettbewerb, Gewinnen, Verlieren! Aber meine Spielsteine, Würfel und Murmeln hatten ein Kind, mit dem sie spielen konnten. Wenn wir zusammen waren, waren wir nicht traurig.
Bis heute spiele ich, eigentlich mit allem, was ich tue. Mein Kochen und Backen ist im Grunde ein Spiel mit Kochlöffeln, Pfannenwendern, Käsereiben, Hobeln und Messern aller Art. Das Pflanzen von Erdbeeren, Tomaten und allerlei Grünzeug auf dem Balkon ist ein Spiel; mein Schreiben ist ein Spiel mit Worten, Rhythmen und Klängen; mein Singen ist ein Spiel mit meiner Stimme und der Luft, die sie zum Klingen bringt; meine Fotografie ist ein Spiel mit dem Licht.
Bis heute weiß ich nicht, was Gewinnen und Verlieren bedeutet. Meine Spiele haben alle einen höchst ungewissen Ausgang. Nie weiß ich vorher, ob das Soufflé nicht zusammenfällt, der Kuchen trocken ist. Ob Erdbeeren, Tomaten und Grünzeug aufgehen oder aus unerfindlichen Gründen in meinen Kübeln still versterben. Nie weiß ich vorher, ob der Text, die Erzählung, das Gedicht gelingen werden, ob ich die richtige Form für einen Gedanken finde, den Rhythmus, der ein Gefühl ausdrückt. Dieses eine einzigartige Gefühl, das mich zum Schreiben veranlasst hat. Ich weiß vor keiner Probe, keinem Konzert, ob meine Konzentration, mein Stimmvermögen und mein musikalisches Verständnis ausreichen, um den Chor mitzutragen. Und wenn ich auf den Auslöser drücke, weiß ich nie, ob das Foto, das ich gerade mache, das kleine Extra aufscheinen lässt, diese Winzigkeit des Unausdrückbaren, die nicht im Materiellen lebt, sondern in den Zwischenräumen. Ich habe es erspürt, deshalb habe ich das Foto gemacht. Aber werden andere es auch spüren, wenn sie das Foto auschauen?
Kann ich sagen, dass ich das Spiel am Herd verloren habe, wenn das Soufflé ein elendes Häufchen ist? Habe ich verloren, wenn das Basilikum verwelkt ist, das Gedicht im Papierkorb landet, meine Stimme heiser ist, das Foto banal?
Da bin nur ich und ein Käsehäufchen, ein schlappes Grün, ein zusammengeknülltes Papier.
Ich glaube, das ist die Wahrheit hinter dem Sichtbaren: das Universum spielt. Es spielt mit Farben, Klängen, mit Nacht und Tag. Es spielt mit Sonne, Regen und Wind und mischt das Ganze zu dem, was wir Wetter nennen. Es spielt mit Blumen, Bäumen, Tieren und mit uns, mischt uns immer neu zusammen, zu immer neuen Begegnungen, zu immer neuen Trennungen. Das Universum spielt nicht, um zu gewinnen. Es spielt, um zu spielen.
Und vielleicht - also, ich bin mir da fast sicher - ist das Universum traurig, wenn es niemanden hat, der mit ihm spielen will. Deshalb sollten wir uns hin und wieder ein wenig einmischen. Ganz leicht, ganz spielerisch. Nicht, um zu gewinnen. Um mitzuspielen.
1 Kommentar:
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Diese Sicht ist für mich passend! Diese Gewinnen - Verlieren hat mir noch nie gefallen! Ich finde Spiel an sich ist ein Vergnügen - ganz ohne diesen Wettbewerb.
AntwortenLöschenliebe Grüße und danke für den federleichten Text!
Ellen