Güte
Naomi Shihab Nye
Bevor du weißt, was Güte wirklich ist,
musst du Dinge verlieren,
musst spüren, wie die Zukunft sich auflöst
in einem Moment,
wie Salz in einer schwachen Brühe.
Was du in deiner Hand gehalten,
gezählt und sorgsam bewahrt hast,
muss gehen, sodass du weißt,
wie verdorrt die Landschaft sein kann
zwischen den Regionen der Güte.
Wie du fährst und fährst und meinst,
der Bus wird nie anhalten,
die Passagiere essen Mais und Huhn
und werden für immer aus dem Fenster starren.
Bevor du den sanften Ernst der Güte erlernst,
musst du reisen, wo der Indigene im weißen Poncho
tot am Straßenrand liegt.
Du musst erkennen, dass dies du sein könntest,
dass auch er jemand war,
der durch die Nacht reiste mit Plänen
und nichts als seinem Atem, der ihn am Leben hielt.
Bevor du Güte erkennst als den tiefsten inneren Grund,
musst du den Kummer erkennen als den anderen tiefsten Grund.
Du musst aufwachen mit Kummer.
Du musst zu ihm sprechen, bis deine Stimme
den Faden allen Kummers erfasst
und du siehst, wie groß der Stoff ist.
Dann macht nur noch Güte Sinn,
nur noch Güte schnürt deine Schuhe
und schickt dich hinaus in den Tag, um Brot anzustaunen,
nur Güte, die ihren Kopf aus der Menge der Welt hebt
und sagt, ich bin es, die du gesucht hast,
und dann mit dir überallhin geht,
wie ein Schatten oder ein Freund.
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Margrit Irgang