Donnerstag, 25. August 2016

Mondbetrachtung


Vor zwanzig Jahren, als Plum Village noch keine feine Meditationshalle hatte, keine warmen Duschen und, sagen wir mal, auf mönchische Art reduziertes Essen, lebte Thay (Thich Nhat Hanh) in seiner Hütte im Upper Hamlet und lud - wenn wir das Glück hatten, gerade an Vollmond dort zu sein - uns alle auf die Wiese vor seiner Hütte ein, um den Mond zu betrachten. Mondbetrachtung, lernte ich, ist in Vietnam eine weit verbreitete Ehrung des Mondes, und die Vietnamesen, die nach meiner Erfahrung sonst sehr plauderfreudig sind, verfolgen den Mondaufgang in andächtigem Schweigen. In unserem Fall wurde jemand, der gerade seine Flöte dabei hatte, gebeten, den Mondaufgang mit der Flöte zu begleiten.

Als der Mond im August voll wurde, war ich krank, und weil in solchen Momenten nichts "zu tun" ist (außer, dem Immunsystem Ruhe zu gönnen, damit es seiner Arbeit nachgehen kann) und auch wunderbarerweise nie Langeweile aufkommt (Augen und Ohren sind auf Spar-Modus geschaltet, und die Winzigkeiten, die sie verkraften können, sind hochinteressant und ganz und gar außergewöhnlich), widmete ich mich auf meinem Balkon der Mondbetrachtung.

Sonntag, 21. August 2016

Ich bin angekommen. Ich bin zu Hause. I have arrived. I am home.


Ich möchte mit Euch und Ihnen meine allereinfachste Art der Meditation teilen, die ich überall und jederzeit durchführen kann. Weder brauche ich ein Kissen dafür noch einen besonderen Ort, nicht einmal die von mir so geliebte (äußere) Stille ist Bedingung. Ich brauche mich nur an einen Satz zu erinnern, den Thich Nhât Hanh uns gegeben hat (mein Lieblingssatz von ihm): Ich bin angekommen, ich bin zu Hause.

Dieser Satz führt uns sofort und geraden Wegs in die Wahrheit: die Wahrheit dessen, was wir tatsächlich sind. Wer schon eine Zeitlang meditiert, weiß natürlich: Mein wahres Wesen ist weder dieser Körper noch dieser ständig denkende Geist; beide sind nur Erscheinungen, die sich aus der Essenz des wahren Seins heraus manifestieren und wieder auflösen, in die Essenz hinein. Was aber sind wir dann? Wir sind eben dieser Urgrund aus Stille und Ruhe, in dem sich alle Phänomene des Lebens ereignen. Wir sind der Raum, in dem sie sich zeigen; wir sind der Himmel, den die Wolken durchziehen. Und dieser Urgrund ist immer da, wir haben nur nicht gelernt, ihn wahrzunehmen, weil wir zu sehr mit den Phänomenen befasst waren, die sich unablässig manifestieren - den Gedanken, Gefühlen, körperlichen Empfindungen, und im Äußeren den Menschen, Tieren und allem, was an Schönem und Schrecklichem uns umgibt.

Auf diese grundlegende Wahrheit weist der Satz von Thich Nhât Hanh hin. Am Anfang wird er meist verstanden als eine hilfreiche Übung zum Ruhigwerden, zum Zu-Sich-Kommen, um, wie es das Zen sagt, "Geist und Körper wieder zusammenzubringen". Das ist völlig in Ordnung, das ist im Alltag wichtig und ohnehin die Vorbedingung für alles Tiefere, das folgen wird. Aber wirklich verstehen werden wir diese Anweisung erst, wenn wir schon ein wenig weiter sind auf der Reise des Erwachens. Ich bin angekommen. Ich bin schon da, ich bin immer schon da gewesen, in meinem wahren Wesen. Wie könnte ich mein wahres Wesen verfehlen? Ich brauche es nicht zu suchen, ich brauche mich nur zu erinnern: Ich bin zu Hause. Ich war seit jeher zu Hause, immer und überall.

Dieser Satz erschafft eine große innere Stille und Ruhe in mir. Manchmal gehe ich durch die Fußgängerzone (wer mich kennt, weiß, dass ich nur im äußersten Notfall in die Stadt fahre), neben mir rennen Menschen mit prallen Einkaufstüten, die Straßenbahn schrillt, weil wieder ein Hund auf dem Gleis ist, unter dem Gewölbe der Sparkasse, wo die Akustik so sagenhaft ist, steht wieder eine dieser anscheinend in Massen durch die Welt reisenden Panflötentruppen in buntgewebten Umhängen und spielt das unvermeidliche "El Condor Pasa", und ich, die gerade eben den doch sehr heftigen Impuls hatte, auf der Stelle nach Hause zu fliehen, weiß wieder: Ich bin zu Hause. Ein Moment des Innehaltens, ein Atemzug, und mein Geist ist heimgekehrt an den Ort, an dem er zur Ruhe kommt, weil er dort schon immer in Ruhe weilte.

An manchen Orten fällt mir das Erinnern leicht (Blumenwiese, Seeufer), an manchen gar nicht leicht (neulich im vollgestopften Großraumabteil des ICE ...). Aber ich bin mir nach all den Jahrzehnten im Zen bewusst: Mein wahres Zuhause ist nur einen Atemzug "entfernt". Es ist bei mir, wohin ich auch gehe. Du brauchst dich nur daran zu erinnern, sagt der Satz von Thich Nhât Hanh. Dann suchst du nicht mehr im Äußeren nach Erfüllung, wenn auch vielleicht nur für diesen einen Moment. Und dann kommt vielleicht ein weiterer dieser Momente, und so wird das Erinnern ganz leicht und sanft in den Geist eingepflanzt wie ein Same:

Ich bin angekommen. Ich bin zu Hause.

Sonntag, 14. August 2016

Was ist Achtsamkeit?


Vor etlichen Jahren hatte ich das Privileg, meine Mutter in den letzten sieben Stunden ihres Lebens begleiten zu dürfen. Sie lag auf der Intensivstation, konnte nicht mehr sprechen und tauchte nur ab und an aus dem Dämmerzustand auf, in den die Schmerzmittel sie versetzt hatten. Ich saß an ihrem Bett und nahm jede ihrer Regungen wahr, um ihr geben zu können, was sie brauchte. Sie hatte Durst, sie wollte ein Taschentuch, sie wollte, dass ich meine Hand auf ihre lege. Ich wusste all dies mit unfehlbarer Sicherheit, weil ich mich in ihr Sein eingefädelt hatte; sie und ich waren nicht mehr getrennt, sondern ein Wesen, das miteinander atmete, fühlte und empfand. Es war ein Ausnahmezustand, ein Zustand des Nicht-Getrenntseins, den ich in der Meditation auf dem Kissen zuvor manchmal empfunden hatte, aber nie sieben Stunden lang! Etwas in mir wusste, dass diese Erfahrung ein Geschenk war. Eine Stunde, nachdem meine Mutter gestorben war, stiegen auf einmal schmerzhafte Erlebnisse aus meiner Kindheit in mir auf, und ich bemerkte, dass ich aus der Verbundenheit zurückgefallen war in die Begrenztheit meines Ichs. Es fühlte sich schrecklich an, als hätte ich die Freiheit verloren und wäre zurück in meinen Körper gepresst worden, in eine viel zu enge Haut.

Wo war mein "Ich" in diesen sieben Stunden, während meine Hände Durst stillten, Schweiß abwischten, streichelten? Es gab nur völliges Präsentsein in jedem Augenblick, es gab höchste Achtsamkeit auf alles, was geschah und benötigt wurde. Aber es gab kein Ich, das sich bewusst war, achtsam zu sein.

Wir alle kennen das Gefühl der Trennung zwischen "mir" und "dem anderen" und "der Welt". Diese Trennung ist so schmerzhaft, dass wir Verbundenheit herstellen möchten, indem wir Mitgefühl und Liebe entwickeln, Aufmerksamkeit und Freundlichkeit, Gelassenheit und Geduld. Irgendwann habe ich, ganz nebenbei und in einer alltäglichen Situation, begriffen, dass mein vermeintlich so wertvolles Bemühen im Grunde ein Ausdruck meines Widerstands gegen das Leben ist. Bemühen muss ich mich nur, wenn ich mich nicht völlig und ohne Wenn und Aber einlasse auf das, was das Leben mir in diesem Moment präsentiert.

In den Grenzsituationen unseres Lebens können wir etwas Erstaunliches entdecken: All diese Qualitäten, um die wir uns so bemüht haben, stehen uns mühelos zur Verfügung, denn sie ruhen seit jeher in uns, in unserer wahren Natur. Wenn wir anwesend sein dürfen, während ein Kind geboren wird oder auch nur eine kleine Katze, oder wenn wir jemanden in den Tod begleiten dürfen, fällt auf einmal jeder Widerstand gegen das Leben von uns ab. Hier und jetzt, in diesem Moment, geschieht etwas ganz Großes, etwas, das unsere Meinung und unser Urteil nicht braucht, das unsere Gedanken nicht erfassen und unsere Worte nicht wiedergeben können. Wir wissen einfach, was jetzt von uns benötigt wird: eine Handlung, ein Wort, eine Geste oder schlicht unsere stille Anwesenheit. Wir wissen es, immer. Weil da reines Achtsamsein ist und kein Ego, das die Situation zu seinen Gunsten manipulieren will.

Achtsamkeit ist viel mehr als eine Methode - sie ist eine Qualität und ein Ausdruck unserer wahren Natur. Wenn wir ganz und gar präsent sind im Augenblick und uns nicht in Gedanken und Gefühlen verlieren, wird sie sich äußern. Spontan, mühelos und anmutig, zum "Wohle aller Wesen".

(Aus meinem Artikel "Wer ist es, der achtsam ist", in Buddhismus aktuell 1/2016
 

Freitag, 5. August 2016

Wunder. Miracles.


"Miracles are all around us; we just have to open our eyes and see. The more we open to the reality of our own divinity, the more we start to perceive life as a miraculous event. And though the miracles of our everyday lives may pass unnoticed by the self-obsessed mind, they are there nonetheless. It seems to me that a very intimate aspect of awakening is becoming aware of the daily miracle we move through, the miracle called life."

Adyashanti

"Wunder sind überall um uns herum; wir brauchen nur unsere Augen zu öffnen und sie zu sehen. Je mehr wir uns der Wirklichkeit unserer eigenen Göttlichkeit öffnen, umso mehr beginnen wir das Leben als ein wundersames Ereignis wahrzunehmen. Und auch wenn die Wunder unseres täglichen Lebens vielleicht am von sich selbst besessenen Geist unbemerkt vorübergehen, sind sie dennoch da. Mir scheint, ein sehr intimer Aspekt des Erwachens ist es, sich des täglichen Wunders bewusst zu werden, in dem wir uns bewegen - das Wunder namens Leben."

Adyashanti