Samstag, 25. November 2023

Catwalk

 

Sie steht an der Bordsteinkante, die rechte Vorderpfote erhoben, zögernd. Auf der anderen Straßenseite liegt ihr Zuhause oder der geheime Mäusefundplatz, jedenfalls will sie dort hin. Behutsam macht sie einen Schritt auf die Straße und weicht sofort zurück. Der Verkehrsstrom auf der Hauptstraße in meinem Vorort strömt ununterbrochen, da findet auch eine Katze keine Lücke. Klugerweise hat sie sich am Zebrastreifen vor der Bushaltestelle postiert, wo ein Fußgänger halbwegs sicher sein kann, nicht sofort über den Haufen gefahren zu werden. Ich bleibe stehen.

Katze scheint zu überlegen, ob sie sich unter die Kategorie Fußgänger einordnen darf. Ich will sie nicht zu einem Ja ermuntern, das dürfte übel ausgehen. Kein Autofahrer guckt nach unten, auch Menschen werden hier elegant umfahren, vornerum und hintenrum, vor allem Mopeds und Radler sind da sehr routiniert. Von links donnert ein Lkw heran, von rechts der abendliche Strom der Pendler aus der Stadt. Katze, sage ich, das wuppen wir gemeinsam.

Ich trete ruhig und langsam auf den Zebrastreifen, Katze eng an meinem linken Bein, und strecke dem heranrasenden Audi gebieterisch den Arm entgegen: Junge, hier geht eine kleine Katze, die du ohne meine Begleitung, da gehe ich jede Wette ein, glatt übersehen hättest. Stell dir vor, was das für Scherereien gegeben hätte, totes Tier, muss man beiseiteschaffen, lästige Zeitverschwendung, zu Hause wartet die Frau mit dem Abendessen, du darfst mir dankbar sein. Hinter der Scheibe tippt sich der Audifahrer an die Stirn. Katze springt mit einem Satz auf den Gehsteig und ich bin sicher, ich höre sie aufatmen.

Vor der Bushaltestelle gegenüber applaudiert eine alte Frau.


Sonntag, 19. November 2023

Voces 8 "This is My Song"


Aus Finlandia von Jean Sibelius.

Voces 8, meine Lieblings-Formation.

Wie schön doch der neblige feuchte November sein kann, wenn Sibelius sich seiner annimmt. Yes, this is my song today. 


Sonntag, 12. November 2023

Zirkusvorstellung in unserem Geist

 

Wenn du dich so fühlst, wie der aussieht, dann dies hier mal lesen ...

 

"In einem meiner ersten sesshin saß neben mir eine vollschlanke Dame in den Fünfzigern. Sie hatte - obwohl wir angewiesen waren, neutrale und ungemusterte Kleidung zu tragen - getigerte Leggins an und einen türkisfarbenen Pullover, und sie schnaufte. In der Mittagspause pflegte sie zu duschen und erschien zur nächsten Sitzperiode eingehüllt in den Duft von Duschgel. Ich hatte nie zuvor bemerkt, wie heftig Duschgel riecht. Ich begann einen einwöchigen Kampf mit der Dame. Am ersten Tag war ich noch großzügig. Wir haben alle viel zu lernen, dachte ich. Am zweiten Tag fragte ich mich, warum sie hier niemand auf die unpassende Kleidung aufmerksam machte. Am dritten Tag kochte ich: Wenn sie noch nicht mal ordentlich atmen kann, dachte ich, soll sie zu Hause bleiben! Am vierten Tag war mir klar, dass die Assistenten dieses Lehrers unfähig waren, ein sesshin zu leiten.

Ich bin sitzen geblieben, und darüber bin ich noch heute froh. Dieser Müll hat nichts zu tun mit unserer wahren Natur. Wir sind nicht unsere Urteile, unsere Wut, unser Unverständnis. Schauen wir uns einfach diesen ganzen Zirkus an mit seinen Clowns und Elefanten, dem Löwen, der durch den Reifen springt, der gefährlichen Nummer am Trapez. Wir sitzen in der ersten Reihe (auf dem mit Kapok gestopften Kissen), und die Vorstellung ist hervorragend, die beste Zirkusnummer unseres Lebens. Und was das Tollste ist: Wir selbst sind alle Artisten in einer Person, und die Löwen und der Dompteur dazu. Können Sie sehen, wie komisch das ist? Können Sie darüber lachen?

Eines Tages werden Sie das tun."


Auszug aus: Margrit Irgang "Wunderbare Unvollkommenheit" (erste Auflage unter dem Titel "Zen-Buch der Lebenskunst"). Leider nur noch antiquarisch erhältlich.


Montag, 6. November 2023

Novemberwald

 

Zum ersten Mal seit Monaten wieder in "meinem" Wald. Sehnsucht nach seiner Stille, der Ruhe, der würzigen Luft. Was wird es zu sehen geben? Wie hat er sich verändert? 

Aah, die Pilze tragen in diesem Jahr dunkelgraue Hüte mit einem interessanten Muster. Nein, das ist keine Beflockung, das nennt man im Textilgewerbe "Ausbrenner". Der Oberstoff ist stellenweise weggenommen, der Untergrund scheint hindurch. (Solch einen Stoff im Laden zu finden - hoffnungslos. So was können nur Pilze.)



 

Und zwei meiner Lieblingsfarben hängen zusammen am Strauch. Der Gedanke, sie seien womöglich vom Sommer übriggeblieben, stellt sich gar nicht: Die gehören hier her, die wohnen hier im Wald, die setzen Akzente und werden vom Grün und Braun dringend gebraucht. (Der Wald ist eben eine Gemeinschaft, da ist keiner verzichtbar.)

 


Die gefällten Stämme tragen klassische Rüschen, immer schön in Kontrastfarbe; man beachte jedoch die subtilen Farbverläufe von Hell nach Dunkel. Die Kleinen können das mit dem Sich-Wellen am Rand noch nicht so gut, aber das kommt noch. Ein paar Regenwochen, und es rüscht sich all over.


 

Diese Familie zeigt stolz ihren Stammbaum vor. Alle aus einer Wurzel gekommen, das zählt hier noch, das wird von niemandem belächelt wie in der Menschenwelt. Und wie sie vor Gesundheit strotzen. (Kann man die essen? Wird jemand in wenigen Stunden ein Messer aus dem Körbchen holen und sie ratzfatz absäbeln? Tröstet es mich zu wissen, dass die ganze Familie dann gemeinsam in der Pfanne landet? Wirklich, in diesem Organismus Wald, der so ganz bei sich ist, so absolut autonom funktioniert, muss man über solche Fragen nachdenken.)



Und jetzt das Highlight der Novemberwald-Ausstellung, Abteilung Textil: Der allerfeinste brüchige Spitzenstoff in den zahllosen Nuancen von Herbstnebel. So etwas wird andernorts in Museen ausgestellt, hinter Glas und Lichtschranken, und die Kuratoren müssen Unsummen zahlen, um solche Spitze zu erwerben.

Und ich kriege das alles kostenlos in meinem Wald.