Margrit Irgang
die poesie des augenblicks. the poetry of the moment.
Sonntag, 11. Mai 2025
Wann endet ein Krieg?
Freitag, 2. Mai 2025
Das verborgene Licht
Kurz nach seinem Erscheinen im Jahr 2016 habe ich dieses Buch schon einmal vorgestellt. Aber wie sehr hat sich doch die Welt verändert in dieser, geschichtlich gesehen, so kurzen Zeit. Ich finde, wir brauchen die Geschichten in "Das verborgene Licht" heute mehr denn je. Sie sind so unglaublich reich und wertvoll.
Die Weisheit von Frauen wurde im Buddhismus bis vor Kurzem ignoriert; viele Lehren und Praktiken entspringen einer männlichen Sicht. Die beiden Herausgeberinnen Zenshin Florence Caplow und Reigetsu Susan Moon haben deshalb historische Geschichten ausgegraben, in denen weise Frauen zu Wort kommen. Keine Priesterinnen oder hohen Würdenträgerinnen. Diese Frauen verkaufen vielmehr am Straßenrand Tee und Reiskuchen, erwachen beim Kochen eines Currys oder sind sogar Kurtisaninnen. Aber wehe, ein Mönch lässt sich in seiner Herablassung auf einen Disput mit ihnen ein. Mit einem Satz können sie ihm zur Erleuchtung verhelfen, und notfalls hauen sie ihm eins über den Schädel. Sie sind allesamt Außenseiterinnen, unabhängige Alleinlebende, herrlich unkonventionell und mit scharfem Blick und Verstand gesegnet.
Die Herausgeberinnen nennen diese kurzen Geschichten "Koans", und das sind sie auch. Keine Koans aus dem klassischen Kanon, sondern Alltags-Koans. Sie werden auf sehr persönliche Weise betrachtet von Lehrerinnen diverser buddhistischer Traditionen aus dem anglikanischen Raum und - dank der Verlegerin der deutschen Ausgabe, Ursula Richard - zusätzlich auch von sechzehn deutschsprachigen Lehrerinnen. Die Kommentare sind das Herzstück des Buches. Jede dieser historischen Geschichten wird als hilfreich für den ganz gewöhnlichen Alltag von Frauen dargestellt. Was nützen uns ellenlange Rezitationen? Wir möchten wissen: Was kann ich von dieser meiner Ahnin lernen für meine Arbeit im Büro, für den Frieden in meiner Familie, das Kochen und Putzen und Sorgen für andere?
Ich durfte auch eine Auslegung beitragen und habe dieses Erleuchtungs-Gedicht der knorrigen alten Chen gewählt:
Ganz oben auf den Berghängen sehe ich nur alte Holzfäller.
Jeder hat den Geist des Messers und der Axt.
Wie können sie die Bergblumen sehen,
gespiegelt im Wasser - leuchtend, rot?
Ich finde es ein wunderbares Gedicht, das unsere gegenwärtige Situation poetisch beleuchtet.
Das Buch ist ein Schatz fürs Leben, den man nie "ausliest". Auch Männer werden sehr von der Weisheit der Frauen profitieren. Die Herausgeberinnen schreiben in ihrem Vorwort: "Diese Geschichten sind als Spiegel für unser eigenes Leben und unsere eigene Praxis gedacht. Jede Geschichte ist ein Geschenk einer weiblichen Ahnin an Sie, gleichgültig, ob Sie nun ein Mann oder eine Frau sind."
Florence Caplow, Susan Moon "Das verborgene Licht. 100 Geschichten erwachter Frauen aus 2500 Jahren, betrachtet von (Zen-)Frauen heute. Aus dem Englischen (sehr gut) übersetzt von Karin Petersen. edition steinrich, ISBN 978-3-942085-48-9.
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Freitag, 25. April 2025
Erwachend leben
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Ich bin in jedem Sommer im Intersein-Zentrum, aber in diesem erwartet euch ein besonderes Thema. Ein Retreat, das ich noch nie gegeben habe, hier zum allerersten Mal.
Erwachend leben
19. bis 23. Juli 2025
Intersein-Zentrum, Hohenau
Wir leben in einer herausfordernden Zeit, in der die alten Lösungen und Ideen nicht mehr funktionieren. Das Wohlergehen unserer Gesellschaft und unseres Planeten hängt von der tiefgreifenden Bewusstseins-Veränderung jedes Einzelnen ab. Wir müssen unsere Verbundenheit mit dem großen Ganzen erkennen und danach handeln.
Das gelingt uns, wenn wir uns wieder mit der Quelle allen Seins verbinden, die im Lauf der Zeit viele Namen bekommen hat: der Ursprung, das Bewusstseinsfeld, das Wahre Selbst und, der Name aller Namen, Gott. Die Erfahrung dieser anderen Ebene ist keineswegs nur besonders spirituell begabten Menschen, den „Mystikern“, vorbehalten. Wir müssen auch nicht Jahre in formaler Meditation verbringen. Der sanfte Weg der Bewusstseins-Veränderung besteht darin, mitten im Alltag erwachend zu leben.
In diesem Retreat wollen wir erkunden, wie wir unser Wahres Selbst berühren können. Spirituelle Erfahrungen sind oft subtil und gehen schnell vorüber, wenn wir sie nicht erkennen und bewusst wertschätzen. Indem wir Inseln der Stille in unserem Alltag erschaffen und immer wieder in den gegenwärtigen Augenblick zurückkehren, öffnen wir den geistigen Raum, in dem sie sich zeigen können. Dann leben wir erwachend, also in innerer Freiheit und erfüllt von Mitgefühl und Freude.
Wir werden die Tage weitgehend in Stille verbringen mit Sitz- und Gehmeditation (auch im Wald), kurze Vorträge hören und uns in Rundgesprächen austauschen.
Ich würde mich sehr freuen, Dich dort zu sehen. Zur Anmeldung und allen Informationen bitte hier (klick).
Das Video zeigt euch, was für ein wunderbarer Ort euch erwartet, wenn ihr an meinem Retreat teilnehmen wollt. (Bei allen, die meine Posts direkt in ihr Postfach bekommen, wird leider das Video nicht eingebettet. Schaut es euch an, es ist so schön. Hier: https://www.youtube.com/watch?v=GmOqSEthMIo )
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Samstag, 19. April 2025
Die Paschas
Eine persische Legende. Einst herrschte ein König unumschränkt im Land und erteilte willkürliche Befehle, denen jeder zu gehorchen hatte. Niemand wagte ihm zu widersprechen, denn seine Kritiker wurden sofort gnadenlos enthauptet. Eines Tages rief er seine Wesire zu sich und sagte, er wolle von ihnen die Wahrheit hören. Wenn sie die richtige Antwort gäben, würde er ihnen das Leben lassen; die Lüge aber würde sie das Leben kosten. Die Frage war: "Wer ist größer - ich, der König, oder Gott?"
Die Wesire berieten sich bestürzt. Jeder wusste, was der König zu hören wünschte, aber damit würde er sie zwingen, eine Lüge auszusprechen und Gott zu lästern. Das war dem König völlig klar. Sie saßen also in der Falle; jede ihrer Antworten wäre ihr Todesurteil. Nach einer Weile sagte der Großwesir: "Ich nehme die Sache in die Hand."
Sie versammelten sich erneut im Thronsaal, und der König forderte den Großwesir auf, zu sprechen. "Mein König", begann der Wesir, "es ist vollkommen klar, dass Ihr der Größte seid, denn Ihr habt die Macht, uns jederzeit aus Eurem Reich zu verbannen. Während Gott diese Macht nicht hat, denn sein Reich ist überall. Wohin sollte er jemanden verbannen."
Es hat sie immer gegeben und wird sie immer geben, die Könige, Kaiser, Paschas und Präsidenten dieser Welt, die unumschränkte Macht zu haben glauben und sie nicht haben. Auch sie sind der größeren Macht unterworfen, die im Lauf der Jahrtausende viele Namen bekommen hat und doch keinen Namen braucht, denn sie ist. Sie wirkt. Sie war immer und wird immer sein.
Wir vergessen sie nur zu leicht, denn die weltlichen Könige schreien so laut, dass unsere Ohren taub geworden sind.
Die Christenheit feiert an diesem Wochenende das Fest einer Auferstehung. Etwas, das scheinbar gestorben war, erhebt sich erneut. Das Osterfest ist ein Symbol für die zyklische Veränderung des Lebens und schenkt die Gewissheit, dass alles, wirklich alles, sich wandeln muss, weil dies das Wesen alles Lebendigen ist.
Wir sind nicht Verbannte, sondern für immer Aufgehobene.
Ich wünsche euch die Freude am Lebendigsein, den Mut, sie auszudrücken, und das Vertrauen in die uralten Gesetze der Natur.
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Sonntag, 13. April 2025
Der Bücherdieb
Hier wär`s legal
Bei uns gibt es Sozialkaufhäuser, die eine fabelhafte Auswahl an Büchern haben. Jedes Buch ein Euro, mittwochs siebzig Cent. Vor einem Monat habe ich einen Karton Bücher gespendet, Romane von guten Autoren, die es schaffen, gleichzeitig klug und unterhaltsam zu schreiben. Raritäten also. Ich freue mich zu sehen, dass nur zwei meiner Bücher keinen Käufer gefunden haben. In einem von ihnen blättert gerade ein Mann, den ich hier noch nie gesehen habe. Ausgebeulte Hose, unförmiges Cord-Jackett, aber ein tadelloser Haarschnitt. Pensionierter Lehrer, gescheiterter Philosoph, Künstler? Er stellt das Buch zurück und greift nach dem zweiten meiner Bücher.
Hinten bei den Haushaltsgeräten gibt es eine kleine Explosion, so was kommt öfter vor. Die gespendeten Geräte werden zur Probe angeschlossen und erweisen sich als reparaturbedürftig. Als ich mich wieder umwende, sehe ich eine Hand mit meinem Buch in der Tasche des Cord-Jacketts verschwinden. Sehe jetzt auch, wovon diese Hose so ausgebeult ist. Der Mann besorgt sich seinen Lesestoff fürs Wochenende, offenbar ein Vielleser. Jetzt schlendert er zum Ausgang, betont unauffällig. Es fehlt nur, dass er zu pfeifen anfängt. Ein Anfänger. Muss im hohen Alter noch eine nie geübte Tätigkeit erlernen, sie liegt ihm nicht, das sieht man ihm an.
An der Kasse vorbei, an der unübersehbar ein Schild hängt mit der Aufschrift "Jeder Diebstahl wird zur Anzeige gebracht". Ich beginne zu grübeln. Wo ist die Anzeige, fern, nah, um die Ecke? Und wie bringt man den Diebstahl dorthin?
Die Antennen von Herrn Schreck sollten jetzt vibrieren, aber Herr Schreck packt gerade an der Kasse den Einkauf einer Kundin ein. Jetzt müsste also ich. Genau sein. Streng. Steht deutlich an der Kasse: Jeder Diebstahl wird zur Anzeige gebracht! Vier Taschenbücher, heute ist Freitag, macht vier Euro. Haben Sie gerade nicht dabei? Dann hätten wir eine andere Zahl für Sie. 110.
Der Mann beschleunigt seinen Schritt, läuft die Verandastufen hinunter, schwingt sich auf ein klappriges Rad und radelt davon. Ein freiberuflicher Philosoph, dessen Philosophie so unverständlich ist, dass sie niemanden interessiert? Ein Bildhauer, der seit zehn Jahren nichts verkauft hat? Man muss die Bücherliebhaber lieben. Kein Tablet, kein Tolino. Papier. Bücherliebhaber sind aus der Zeit gefallen, kommen nicht mehr mit. Werden auch nicht mehr in sie hineinfinden, die Zeit ist immer schneller als sie auf ihren klapprigen Rädern. Ich wüsste gern, was er außer meinem Buch geklaut hat. Vielleicht hätte ich ihn beraten sollen, auch ein Diebstahl muss sich lohnen.
Ich fühle mich sehr beschwingt.
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Mittwoch, 2. April 2025
Der Duft von Pflaumenblüten
Huangbo
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Freitag, 28. März 2025
Das Café Moment
Ein Buch ist ja eine luftige Angelegenheit. Die Buchstaben sind nur Chiffren für den Gehalt, und der lebt im Kopf der Leserin, des Lesers. Mit dieser meiner luftigen Existenz - Hilde Domin sagte, wir Schriftsteller würden unter Akrobaten und Vögeln leben - hadere ich gelegentlich. Und dann stehe ich in Basel vor einem Café, das meinem Buchtitel "Die Kostbarkeit des Augenblicks" buchstäblich (!) Raum gibt. Ein lichter, ästhetisch-schlichter Raum der Stille inmitten der großen Stadt, denn in diesem Café gibt es keine Musik, kein Handyklingeln und kein Geplauder: Hier wird flüsternd bestellt und danach geschwiegen.
Es gibt eine große Tee-Auswahl, guten Kaffee und Kleinigkeiten zu essen. Im Hinterzimmer eine Bibliothek. Man darf in diesem Café lesen und verweilen; ich verbrachte zwei Stunden bei einem Cappuccino und einem Glas heißer Schokolade. Hier weiß man, wie kostbar die Gegenwart ist. Weil es die einzige Zeit ist, die es gibt.
Zwischen Kaffee und Schokolade saß ich zwanzig Minuten im kleinen und absolut stillen Zendo. Der Wirbel der Stadt fiel von mir ab, und die Bilder der Ausstellung "Nordlichter" in der Fondation Beyeler, in der ich mich vorher durch Menschenmengen geradezu gekämpft hatte, zogen sich zurück in eine Ecke meines Geistes, zur späteren Betrachtung.
Der Begriff "Achtsamkeit" wird inzwischen inflationär und missverständlich gebraucht. Es gibt Bücher, die behaupten, mit Achtsamkeit könne man den idealen Partner oder Job finden und sogar den Krebs besiegen. "Sati" aber will nichts erreichen. In Pali bedeutet es das unmittelbare Verweilen im gegenwärtigen Augenblick, die hellwache Präsenz ohne Grübeln über die Vergangenheit und ohne Hoffnungen oder Befürchtungen, die eine Zukunft vorwegnehmen, die nicht da ist und so vielleicht nie kommen wird. Auch wenn der Begriff aus dem buddhistischen Kontext kommt, hat Achtsamkeit nicht zwingend mit Religion oder irgendeiner bestimmten spirituellen Schule zu tun, sondern kann eine Lebenshaltung sein. Dieser Blog und alle meine Bücher sind in diesem Geist geschrieben.
Wer in wacher Präsenz lebt, sieht, dass nichts unwichtig ist, denn alles ist mit allem verbunden. Das Café Moment wurde von Menschen erschaffen, die das verstanden haben. Die Einrichtung, das Lichtkonzept, die Farbgestaltung und die Zusammenstellung der Speisekarte bilden eine Einheit, und diese Einheit beginnt in der Stille zu wirken.
Ein wunderbarer, heilsamer Ort. Wenn ihr in Basel seid: Besucht das Café Moment in der Bäumleingasse 4.
Die Website findet ihr hier (klick).
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