Sonntag, 22. September 2024

Das Leben einer Schriftstellerin

 

Hin und wieder wird mir eine Art ehrenamtlicher Tätigkeit angeboten (übrigens habe ich bereits eine) mit den Worten: "Du hast doch Zeit, du kannst das machen." Im Erdgeschoss meines Hauses wohnte vor Jahren eine Frau (hauptberufliche Hausfrau), die verlangte, ich solle den gesamten Hausputz, der von den Mietern abwechselnd geleistet wird, übernehmen: "Ich habe keine Zeit dafür, aber Sie haben ja nichts zu tun." Nachdem ihr Mann, mein Stiefvater, gestorben war, verlangte meine Mutter von mir, zurückzukehren in meinen Heimatort (13.000 Einwohner), um mit ihr zu leben. Ich wohnte seit Jahren in München, hatte bereits ein paar Bücher veröffentlicht und meinen ersten Literaturpreis erhalten und bekam von ihr wöchentlich Ausschnitte aus der örtlichen Zeitung, in denen Autowerkstätten und kleine Handwerksbetriebe eine "Stenotypistin" suchten: "Hier findest du Arbeit. In München hast du ja keine und gehst vor die Hunde."
 
Ich kenne Schriftsteller-Kollegen und -Kolleginnen, die sich einen Büroraum gemietet haben, weil sie mit einem Büro endlich ernst genommen werden: Sie haben für alle sichtbar "Arbeit".
 
Ja, was tut eine Schriftstellerin bloß den ganzen Tag. Guckt aus dem Fenster, kaut am Bleistift? Macht sich einen Kaffee, surft im Internet? Manchmal sieht man sie - um zwei Uhr nachmittags! - über die Felder gehen. Mit der Kamera. Was hat Fotografieren mit Schreiben zu tun? (Sehr viel. Inzwischen gibt es sogar zwei Foto-Text-Bücher.) 
 
Also bitte: Wann arbeitet die denn!
 
Wäre ich Musikerin, würde man wenigstens was hören von mir. Wäre ich Malerin, würde ich vielleicht in farbbeklecksten Hosen herumlaufen. Aber die Stille, in der eine Autorin lebt, weckt Misstrauen. Wir sind wie die Katzen, die sich lautlos durch die Welt bewegen und in ihrer scheinbaren Gleichgültigkeit alles bemerken, was um sie herum geschieht. Denen traut man auch nicht über den Weg.
 
Ich habe mal meine vierzehn Bücher samt Übersetzungen aufgebaut, aber in jeweils nur der ersten Auflage. Nicht fotografierbar: Dutzende Künstlerische Features aus dreißig Jahren, zwischen dreißig und neunzig Minuten lang. Essays, Artikel, Rezensionen, Kolumnen, Übersetzungen. 
 
Das Leben einer Schriftstellerin: Jeden Tag am Schreibtisch sitzen, ab sieben, spätestens acht Uhr. Und ich meine: JEDEN Tag. Der Sonntag ist der beste Arbeitstag. Schön ruhig und niemand klingelt, um mir einen Sack Kartoffeln oder eine Mitgliedschaft bei Wem-auch-immer zu verkaufen.
 
Würde ich den Beruf noch einmal wählen? Ja, das würde ich. Für eine Person, die Stille, das Alleinsein und die Feinheiten der Sprache über alles liebt, ist es der ideale Beruf. 

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