Donnerstag, 22. März 2018

"The Sound of Silence"



Weil es ein schönes Lied ist ...
weil mein Chor es gerade probt, für unser Sommerkonzert ...
weil es zeigt, was Kunst ist: aus bekannten Versatzstücken etwas aufregend Neues, Ungewöhnliches, Eigenes zu machen ...

"The Sound of Silence" by Paul Simon, in der Fassung der wunderbaren Gruppe Voces8

Have a wonderful weekend!


Mittwoch, 7. März 2018

Die Belehrer

Lehrer Lämpel. Quelle: Wikipedia

Ich weiß nicht, ob Ihnen das auch so geht - aber ich werde zunehmend belehrt. Vielleicht liegt das ja an mir und ich lade aus irgendeinem Grund dazu ein. Wie auch immer, ich ziehe die Belehrer an. Ich gehe zur Änderungsschneiderin, um einen (dicken schwarzen) Strickrock aus dem Secondhandladen kürzen zu lassen. Sie kneift die Augen zusammen und entscheidet: "Der Rock ist durchsichtig. So können Sie nicht herumlaufen!"

Ich habe nicht die passenden Briefmarken für meinen etwas schwereren Brief und bitte den Mann in der Postagentur, den Brief zu frankieren und gleich in seinen Ausgangskorb zu werfen. Er dreht ihn um. "Da ist kein Absender drauf!" ruft er und gibt mir den Brief zurück. "Briefe ohne Absender nehme ich grundsätzlich nicht entgegen!" Der Brief muss weg, und ich fahre jetzt nicht zehn Kilometer zum nächsten Postamt. Zähneknirschend nehme ich den Kugelschreiber in die Hand.

Mir wurde in meinem Haus schon gezeigt, wie ich zu putzen habe, wie "man richtig lüftet", sogar, wie "man richtig spült", weil der verstopfte Abfluss des Nachbarn unter mir als meine Schuld geortet wurde. 

Auf der Online-Ausgabe der Zeitschrift DIE ZEIT gibt es eine Rubrik "Kontoauszug", in der Menschen erzählen, was sie wofür im Monat ausgeben. Ich lese das gern, aber leider kann ich es nicht lassen, auch die Leser-Kommentare dazu zu lesen. Das ist, als würde man mit dem Zahn immer wieder an das schmerzende Loch gehen, um zu gucken, ob das Problem noch da ist. Im Fall der ZEIT ist es zuverlässig da. Ein junger Autor, der einigermaßen von seiner Arbeit leben kann, wurde belehrt: "Junge, du machst da was falsch." Dann wurde ihm dargelegt, was er schreiben solle, um endlich Kohle zu machen. Eine Waldorf-Erzieherin erzählte, sie baue sich mit einer Freundin einen alten Bus aus, die Einzelteile seien nicht ganz billig. Außerdem erwähnte sie, ihre Gesichtscreme hole sie im Bioladen. Ein Mann fiel über sie her, dass sie mit Mitte Dreißig keinen Bus mehr auszubauen, sondern Kinder zu kriegen habe. Ein anderer regte sich auf, wie man nur im Bioladen eine Creme kaufen könne, die bekäme man bei Aldi für 1,90 EUR.

Den Schlüssel zu diesem Geschehen liefert eine Geschichte. Vor etlichen Jahren kaufte ich mir ein winziges, gebrauchtes, ziemlich altes Auto. Nichts Großartiges, aber mir gefiel es. Als ich es einer Freundin zeigte mit den Worten "Ist der nicht hübsch?", sagte sie: "Was soll ich denn mit so einem kleinen Auto?" Die Freundin wollte gar kein Auto kaufen, sie hatte längst ein viel besseres.

Worum geht es in all diesen Fällen? Um das eigene Ich, das alles, was geschieht, automatisch auf sich selbst bezieht. Wenn ich durch mein begrenztes Ich auf die Welt schaue, sehe ich ein Auto oder einen Rock oder einen Brief nicht mehr als das, was sie sind: das Auto, der Rock, der Brief eines anderen. Ich frage mich sofort, ob ich das auch kaufen/tragen/tun würde. Und das, was ich tun würde, ist natürlich das einzig Richtige. Also hat der Andere, den ich inzwischen nicht mehr als einen von mir Verschiedenen in seinem eigenen Sosein sehen kann, unrecht. Das teile ich dem Anderen gern zu seinem eigenen Besten mit.

Das alles geschieht jeden Tag, überall, in uns allen. Ein subtiler Vorgang im Geist, der sich im Bruchteil einer Sekunde ereignet, aufrichtige Begegnungen unmöglich macht und Menschen traurig. Was hilft? Dies zu wissen. Damit zu rechnen. Und den feinen Moment zu erwischen, in dem das Ich anfängt, die Wahrnehmung zu kommentieren. Innezuhalten. Und zurückzukehren zu der Anderen, die nichts weiter will, als ihren Brief abzuschicken, ihren Rock kürzen zu lassen. Und ihren Wunsch zu erfüllen.


Donnerstag, 1. März 2018

Rebecca Solnit "Aus der nahen Ferne"


Ich schätze die Bücher von Rebecca Solnit sehr; sie schreibt Essays, die Wissen vermitteln und gleichzeitig die Welt poetisch erkunden. In diesem, meinem Lieblingsbuch von ihr, erntet sie die Früchte des Aprikosenbaums im Garten ihrer Mutter, die an Demenz erkrankt ist und sich um den Garten nicht mehr kümmern kann. Die Früchte liegen in ihrem Schlafzimmer, ein riesiger, allmählich faulender Haufen; sie kocht Marmelade, isst, verschenkt, wirft weg, und der Haufen Aprikosen wird zum Sinnbild von Trauer und Verlust. Assoziationen stellen sich ein: Ihre schwierige Mutter-Beziehung, ihre Krebserkrankung, ein Aufenthalt in Island. Dazwischen kluge und präzise Gedanken zu Kunst, Literatur, Buddhismus, Frauenbewegung und die Protestbewegung gegen politische Willkür. Das Ganze wird zusammengehalten von der Arbeit, die Aprikosen einer sinnvollen Verwendung zuzuführen.

Und, für mich wichtig: Rebecca Solnit schreibt eine wunderbar bildhafte, ruhige, unaufgeregte Sprache. Ich nehme das Buch immer wieder einmal in die Hand. Es hat für mich bis jetzt nichts von seiner Frische verloren.

Rebecca Solnit "Aus der nahen Ferne", aus dem Amerikanischen von Julia Franck, Hoffmann und Campe Verlag