Dienstag, 24. Dezember 2013

Stille Nacht

Foto: Almut Bieber www.pixelio.de

Über dem Schwarzwald zieht die Nacht auf, erste Sterne sind zu sehen. Die Geschäfte sind geschlossen, die Weihnachtsmarktbuden verriegelt. Der Schulhof mit dem großen Weihnachtsbaum ist verlassen. Ein paar Autos fahren noch rasch nach Hause; ein junges Mädchen mit einem Paket unterm Arm überquert die Straße. Die Nachbarin führt ihren Hund vors Haus; auf das Feld darf er an diesem Abend nicht, heute muss der Baum genügen. Dann schließt auch sie ihre Tür. Die Straßen sind leer. In den Häusern werden die Kerzen entzündet.

Das ist der Moment, in dem die Stille kommt.

Sie steigt aus den Gärten, sie schwebt vom Himmel, sie dehnt sich aus und wird ganz weit und groß. Jetzt und hier darf sie ungestört bei sich sein. Die Stille ist das Wunder dieser Nacht.

Eine Frau, warm eingewickelt in Mantel und Mütze, geht langsam durch die Straßen, absichtslos, ziellos. Sie ist ganz bei sich, und eben deshalb verbunden mit denen, die hinter den Fenstern im Kerzenschein sitzen. Sie geht, von Stille eingehüllt, durch das Wunder dieser Nacht, ein glücklicher Mensch.

Ich wünsche auch Ihnen das Glück, einem Wunder zu begegnen.

Freitag, 20. Dezember 2013

O Tannenbaum


Vor langer Zeit hast du dich geopfert, um Papier entstehen zu lassen, aus dem ein Buch geworden ist. Jetzt hat sich das Buch zurückverwandelt in einen Baum.

Bevor ich nun empörte E-Mails bekomme wegen meines brutalen Umgangs mit Büchern, hier mein Gedanke dazu: Das Buch ist nur die Erscheinungsform des Geistes, der den Autor und die Autorin beseelt. Und der Baum ist nur die Erscheinungsform des Geistes ...  ?

Vielleicht hat die Frage was mit Weihnachten zu tun.

Die Anleitung zum Falten des Buchbaumes finden Sie hier. Ein guter Rat zum Schluss: Nehmen Sie für Ihren Baum kein Buch von mir. Meine Bücher sind dafür nicht dick genug.

Dienstag, 10. Dezember 2013

Begegnung mit Maha Ghosananda

Foto: Cambodian Wikipedia, Samnang
Ich begegnete ihm an einem Novemberabend in Warschau im Jahr 1993. Er saß zwischen dreißig Zuhörern auf dem Boden, die Beine in Lotosposition gefaltet, ein federleichtes Lächeln in den Augen, und sagte ganz schlichte Sätze: „Wenn du Frieden schaffen willst, beginne damit in deinem Herzen. Sorge gut für dich selbst, liebe dich selbst.“

Sie machten dann eine Pause, und Maha Ghosananda winkte mich, die einzige Deutsche im Raum, herüber. Zögernd stand ich auf und ging auf ihn zu. Er lächelte und bedeutete mir, mich zu setzen. „Deutschland ist ein wichtiges Land“, sagte er. „Deutschland hat spirituelle Kraft.“ „Aber wir lieben uns nicht“, sagte ich. Er nickte und sah in sich hinein. Er schwieg. Ich schwieg. Wir saßen in unserem Kreis aus Stille, und ich dachte an mein Land, dessen Menschen sich nicht lieben können, weil die Scham über ihre Vergangenheit sie nicht loslässt.

Erst Monate später, als ich wieder in Deutschland war, recherchierte ich und fand heraus, wem ich da einen Abend lang in kleinstem Kreis gegenübergesessen hatte. Samdech Preah Maha Ghosananda, geboren in Kambodscha, war einer der brillantesten Mönchs-Gelehrten seines Landes. Er lebte im thailändischen Klosterexil, während die Roten Khmer seine gesamte Familie ermordeten. Später kehrte er in sein Land zurück und führte 1992 den ersten Friedensmarsch in Kambodscha an. Kurz nach seiner Rückkehr überreichte er jedem, den er traf, mit einer Verbeugung einen Zettel mit den Sätzen des Buddha: „Hass wird nicht durch Hass besiegt. Hass wird durch Liebe besiegt. Dies ist ein ewiges Gesetz.“

Dieser große kleine Mann, den kennenzulernen ich die Ehre hatte, starb 2007. Maha bedeutet übrigens „großer freudvoller Verkünder“.

(Mehr über Maha Ghosananda und meine Arbeit in Warschau in meinem Buch „Leuchtende Stille“, Herder Verlag, ISBN 978-3-451-30732-4)

Freitag, 22. November 2013

Eckhart Tolle: "Jetzt!"


Ein wunderbares Buch, das wahrscheinlich schon jeder kennt, der meinen Blog liest - ich stelle es trotzdem vor. Eckhart Tolle gehört keiner "Schule" an, keiner Religion, keiner wie immer gearteteten spirituellen Richtung. Dennoch hat er, wie er sagt, von etlichen Zen-Meistern gelernt: "alle waren Katzen". Wenn das kein verwandter Geist ist!

Besonders gefällt mir sein Ansatz, unseren gesammelten Schmerz als "Schmerzkörper" zu bezeichnen, als "unsichtbares Wesen mit seiner eigenen Persönlichkeit", als "psychischen Schmarotzer". Wer einmal überraschend mit der Wut eines anderen (oder der eigenen ...) konfrontiert wurde, wird bestätigen: "Alles kann ihn aktivieren, besonders dann, wenn er mit einem Schmerzmuster aus deiner Vergangenheit in Resonanz geht. Er kann sich als Verärgerung ausdrücken, als Ungeduld, finstere Stimmung, als Wunsch zu verletzen, als Wut, Depression, als Bedürfnis nach Drama in deiner Beziehung und so weiter. Greife ihn dir in dem Moment, wo er aus seinem Ruhezustand erwacht."

Dasselbe sagt das Zen: Sei auf der Hut. Beobachte genau, was in dir vorgeht, und bemerke jedes Gefühl, jeden Gedanken bereits im Entstehen, um bewusst zu bleiben und Gefühl und Gedanken nicht blind zu folgen. Haben Gefühl und Gedanke erst ein Eigenleben gewonnen, bist du ganz in ihrer Hand und verlierst jede Kontrolle.

Nachdem so viel von Schmerz die Rede war, hier noch ein "schönes" Zitat: "Sage ja zum Leben - und schau, wie das Leben plötzlich beginnt, für dich zu arbeiten anstatt gegen dich."

Eckhart Tolle "Jetzt!", aus dem Amerikanischen von Christina Bolam und Marianne Savita Nentwig, Kamphausen Verlag

Montag, 18. November 2013

Der philosophische Kater über: Interesse


"Was macht sie da? Schreibt sie was? Was schreibt sie denn? Schreibt sie über mich? Oh, der Bleistift ist hübsch. Der rollt so schön übern Schreibtisch.

Menschen glauben immer, wir Katzen seien neugierig. Nein, nein. Wir sind interessiert! Warum sollten wir neugierig sein? Ist nicht alles immer wieder anders, also neu? Ich spiele immer mit demselben Faden, klappere immer wieder mit dem Schlüsselbund, der so einladend an der Tür baumelt, und immer wieder schimpft sie deswegen mit mir. Aber jedes Mal ist ein neues Mal. Die Menschen grübeln dauernd über Vergangenes nach und leben so selten in der Gegenwart. Und wenn sie mal auftauchen aus ihren Grübeleien, sind sie gierig nach Neuem, anstatt einfach das anzuschauen, was schon immer da war. Der Faden. Der Schlüsselbund. Ihre Finger, die über die Tasten hüpfen. Oh, jetzt ist der Bleistift vom Schreibtisch gefallen!

Ich finde das Leben wahnsinnig interessant."

Samstag, 9. November 2013

Das Wort zum Samstag


Dein heilender Einfluss ist nicht von deinem Tun abhängig, sondern von deinem Sein. Wer dir begegnet, wird von deiner Gegenwärtigkeit und von dem Frieden berührt, den du ausstrahlst, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht. Wenn du völlig gegenwärtig bist, hast du nicht mehr das Bedürfnis, auf das unbewusste Verhalten anderer zu reagieren, du verleihst ihm keine Realität mehr. Daran zerbricht der Kreislauf von Aktion und Reaktion. Tiere, Bäume und Blumen werden deinen Frieden spüren und ihn erwidern. 

Du lehrst durch dein Sein. Du wirst zum "Licht der Welt". Du befreist die Welt von Unbewusstheit.

Wer du bist, ist die wesentliche Lehre. Durch dein Sein verwandelst du die Welt mehr als durch dein Reden und durch dein Tun.

Eckhart Tolle

Samstag, 2. November 2013

Die Noch-nicht-Rose


Noch einmal hat mein Rosenstrauch eine Knospe ausgetrieben. Eine pralle, fest gefüllte, aufbruchsbereite Kapsel. Drinnen die komplett ausgebildete Möglichkeit einer Rosenblüte. Es brauchte gar nicht viel, um die Blüte zum Blühen zu bringen: Ein wenig Licht, ein wenig Wärme, Schneelosigkeit, Nachtfrostabwesenheit.

Wird sie es schaffen, die Knospe, zur letzten Rose des Jahres zu werden?

Ich habe noch ein paar Knospen in mir, zum Platzen gefüllt mit komplett ausgeformten Möglichkeiten. Es brauchte gar nicht viel, um die Knospen zum Blühen zu bringen ...

Dienstag, 29. Oktober 2013

Cloud Gate Dance Theatre of Taiwan: "Songs of the Wanderers"


Am rechten Bühnenrand steht ein Mönch und meditiert. Er wird dort eineinhalb Stunden bewegungslos stehenbleiben, während langsam goldener Reis auf ihn hernieder rieselt. Reis auch auf dem Bühnenboden. Männer und Frauen waten durch die Körner, gestützt auf riesige knotige Äste, an deren Enden Glöckchen hängen. Der Reis wird zum Fluss, der Fluss wird zur Zeit, ständig sich verändernd und doch immer gleich. Einmal geht ein tropischer Regenschauer aus Reis hernieder, es prasselt, die Tropfen springen, die Menschen tanzen im Regen. Um die Füße des Mönchs sammelt sich langsam der Reis wie in einer Sanduhr. Die Zeit rieselt weiter, doch der Mönch ist jenseits von ihr. Er verweilt am Ort des Nicht-Denkens und Nicht-Reagierens.

Entfesselte Bravorufe, stehende Ovationen. Auf der Bühne verbeugt sich der taiwanesische Choreograf Lin Hwai-Min, ein kleiner, ganz großer Künstler.


Er war auf den Spuren des Buddha nach Bodhgaya gereist und saß, wie einst Prinz Siddhartha, bevor er der Buddha wurde, unter einem Bodhi-Baum. "I opened my eyes and sunlight, emanating from somewhere near the top of the stupa and filtering through the branches, fell directly onto my forehead. My heart filled with joy and I felt a quietude that I had never experienced." Zurück in Taipeh, meditierte er täglich mit den Mitgliedern seiner Tanzkompanie und schuf das Stück "Songs of the Wanderers", "ein Stück darüber, wie man Askese praktiziert, über die Sanftheit des Flusses und die Suche nach Frieden".

Ich durfte Lin Hwai-Min und seine wunderbare Kompanie erleben, im Europäischen Zentrum der Künste in Hellerau bei Dresden. Eines meiner großen Theater-Erlebnisse.

Die DVD der Produktion gibt es zum Beispiel bei amazon.

Montag, 7. Oktober 2013

Was ist Stille?


Als ich Stipendiatin in der Villa Massimo in Rom war, kam das Ensemble Modern zu einem Konzert in die Villa. Unter anderem war ein Stück von John Cage mit dem Titel 4'33" angekündigt. Der Pianist setzte sich an den Flügel und legte die Hände auf die Oberschenkel, vom Scheitel bis zur Schuhspitze Konzentration. Im Saal wurde es allmählich still, das Rascheln der Programmhefte versiegte, ein letzter Huster war zu hören. Wir warteten. Der Pianist saß am Flügel.

Wir warteten.

Der Pianist saß am Flügel.

Erste Unruhe entstand. Ein paar Füße scharrten. Die Programmhefte knisterten wieder. Jemand flüsterte. Der Pianist saß am Flügel, voll und ganz konzentriert. Er saß vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden lang. Dann stand er auf, verbeugte sich vor dem verblüfften Publikum und ging ab.

John Cage, der sich intensiv mit Zen befasst hat, begab sich einst in ein schalltotes Studio, um herauszufinden, was Stille ist. Dort machte er die Erfahrung, dass es Stille im Sinn der Abwesenheit von Geräuschen nicht gibt: In dem schalltoten Raum war John Cage mit den Klängen konfrontiert, die sein eigener Körper unaufhörlich produzierte. Er hörte seinen Magen kollern, sein Blut in den Ohren rauschen. John Cage kam zu dem Schluss: "Stille sind all jene Klänge, die wir nicht beabsichtigen."

Um seinen Zuhörern das Erlebnis der Stille zugänglich zu machen, komponierte er das Stück 4'33'', in dem der Pianist keinen einzigen Ton spielt. Die Zuhörer aber hören nicht nichts, sondern ziemlich viel. Sie hören ihr Herz schlagen, das Blut kreisen, den Darm kullern. Was also hören die Zuhörer, wenn sie diesem Stück lauschen? Geräusche? Klänge? Sich selbst? Nein, sagt John Cage: Sie hören die Stille, denn "Stille ist der Zustand der Absichtslosigkeit".

Stille ist nicht die Abwesenheit von Geräusch, sondern die Abwesenheit einer persönlichen Absicht. Stille ist deshalb nicht dasselbe wie Pause, denn in der Pause warte ich auf eine Fortsetzung des soeben Gehörten. Stille ist für John Cage ein geistiger Zustand: der Zustand des Nicht-Wissens, des Nicht-Verlangens, des Verweilens im Augenblick. In dem Moment, in dem unser Geist nicht mit Planen, Hoffen, Wünschen und Ängstigen befasst ist, ist Stille anwesend - unabhängig von jedem äußeren Geräusch.

(Mein Seminar zum Thema Stille im Waldhof Freiburg Ende Oktober ist ausgebucht; wir haben eine Warteliste. Ich weise deshalb jetzt schon auf mein Seminar im Kloster Heiligkreuztal vom 15. - 17. November hin. Hier gibt es mehr Informationen.

Montag, 30. September 2013

Sei dir selbst eine Lampe!


"Als Buddha Shakyamuni starb, baten seine Mönche ihn um ein letztes Wort, um einen Hinweis, wo sie nach seinem Tod die Lehre finden könnten. Buddha Shakyamuni soll geantwortet haben: 'Seid euch selbst eine Lampe.'

Ein Künstler des Lebens also zündet sein Lämpchen an, schultert sein (inzwischen sehr leichtes) Bündel und wandert durch seine Tage, unbekümmert um das Wetter oder die Meinung anderer Menschen über ihn. Sein Licht mag bescheiden sein, vielleicht ist es nur der Schein einer funzeligen Taschenlampe. Na und, sagt der Künstler des Lebens, man muss dankbar sein für alles, was man hat. Immerhin reicht der Schein noch aus zu sehen, wohin ich meine Füße setze. So ein Boden kann nämlich tückisch sein, voller Wurzelwerk, unter Laub verborgen; voller unvermuteter Risse im scheinbar festen Asphalt. Und jenseits des Lämpchenscheins kann es sehr dunkel sein, jeder von uns weiß das: sehr, sehr dunkel. Deshalb haben wir volles Verständnis dafür, dass Goethe auf seinem Sterbebett 'mehr Licht' verlangte. Wir sind vielleicht nicht fähig, den 'Faust' zu schreiben, aber wir praktizieren Zen und wissen: Wir können lange darauf warten, dass die Welt oder ein anderer Mensch uns leuchtet. Das einzig verlässliche Licht ist in uns selbst.

Deshalb ist ein Künstler des Lebens ein freier Mensch."

Aus: Margrit Irgang "Wunderbare Unvollkommenheit", Herder Verlag, ISBN 978-3-451-06281-0, € 9,95

Samstag, 21. September 2013

Sue Hubbell, die Bienen und die Traurigkeit

 

Sue Hubbell ist dreiundvierzig, als ihre Ehe zerbricht. Erst kurz zuvor ist das Akademikerpaar aufs Land gezogen; jetzt bleibt sie zurück auf ihrer Farm in Missouri, allein mit einem Hund, einem Kater und dreihundert Bienenstöcken.  "Ich habe gelernt, dass ein Baum Platz zum Wachsen braucht, dass im Januar unten am Bach Kojoten singen, dass ich nur dann einen Nagel in eine Eiche schlagen darf, wenn sie belaubt ist, dass Bienen mehr vom Honigmachen verstehen als ich, dass Liebe zu Traurigkeit werden kann und dass es mehr Fragen als Antworten gibt."

Drei Jahre braucht sie, um die Trennung zu überwinden. Es gelingt ihr erst, als sie bereit ist, mit wachen Sinnen wahrzunehmen, was sie umgibt: Der einbeinige Sumpffrosch in der Scheune, dem sie eigenhändig Fliegen fängt; die braungoldene Spinne, die sich in der Ecke über dem Ofen häutet. Ihren Lebensunterhalt verdient Sue Hubbell mit dem Verkauf von Honig. Im Herbst deckt sie die Scheune neu, fällt Bäume, und im Winter liegt sie zu den Klängen von Albinonis C-Dur-Konzert unter dem schrottreifen Chevy-Pickup und schmiert die Kolben.

Sue Hubbell hat ein wunderbares, stilles und völlig unspektakuläres Buch geschrieben darüber, wie man die Traurigkeit heilt, indem man sich in den großen Kreislauf der Natur einfügt. Leider ist das Buch vergriffen, aber man bekommt es im Internet noch bei diversen Antiquariaten. Erschienen ist "Ein Jahr in den Ozark Mountains" im Verlag SchirmerGraf, den es auch nicht mehr gibt.

Montag, 16. September 2013

Meine "Ermutigung zum Eigensinn" jetzt in der 2. Auflage


Was ist der Sinn meines Lebens? Wie kann ich ihn finden? Das Althochdeutsche sinnen beruht auf der indogermanischen Wurzel von "gehen, reisen, fahren", was wiederum bedeutet "eine Richtung nehmen, eine Fährte suchen" (Duden Herkunftswörterbuch). Wie wunderbar klar doch die deutsche Sprache ist! Sie sagt unmissverständlich: Den Sinn des Lebens kann dir niemand geben, du musst ihn selbst erwandern, selbst "erfahren".

Deshalb sind die Wanderer auf dem eigenen Weg "Eigensinnige": Sie geben sich mit Antworten, die für andere gut funktionieren, nicht zufrieden, und sehen oft Probleme, wo andere Menschen sich wohlfühlen, Eigensinnige sind weder in der Wirtschaft noch in der Politik und schon gar nicht in Religionen gern gesehen. Wanderer auf dem eigenen Weg setzen sich nicht geistig in Überzeugungen zur Ruhe. Sie wissen: Beim Gehen verändert sich jede Landschaft. Sie wandern mit offenen Sinnen und wollen selbst sehen, hören und riechen.

Für all diese geduldigen, mutigen und oft einsamen Wanderer durchs Leben habe ich diesen kleinen Reiseführer geschrieben: über symbolische Abgründe und Gipfelbesteigungen, die Öde der Alltagswüste, das gelegentliche Sichverirren im Labyrinth - und die Frage, wie man da wieder herausfindet.

Margrit Irgang "Geh, wo kein Pfad ist, und hinterlasse eine Spur. Ermutigung zum Eigensinn", ISBN 978-3-451-06111-0, Herder Verlag, 8,95 €

Mittwoch, 11. September 2013

Die Geschichte von der Teeschale


Der Abt eines japanischen Zen-Klosters fand seine Frau eines Tages weinend in der Teeküche vor. "Warum weinst du?" fragte er sie. "Ich weine, weil alle Dinge so vergänglich sind", schluchzte sie.

Der Abt runzelte die Stirn. "Du musst härter werden", sagte er belehrend. "An die Vergänglichkeit müssen wir uns alle gewöhnen."

"Ich bin froh, dass du es so siehst", sagte die Frau und zog aus ihrem Kimonoärmel ein paar Scherben. "Deine Lieblings-Teeschale ist nämlich soeben in die Vergänglichkeit eingegangen."

Aus: Margrit Irgang "Dieser Augenblick. Achtsam leben im Geist des Zen",  Herder Verlag, ISBN 978-3-451-06385-5

(Meine Teeschale ist eine Winter-Teeschale des wunderbaren Keramikers Aisaku Suzuki aus Breisach. Hier geht es zu seinem Atelier.)

Sonntag, 8. September 2013

Kat-Zen

"Dauernd lesen die Menschen Bücher über Zen. Sie hier schreibt sogar Bücher über Zen. Was die Menschen für ein Geschrei machen um so eine einfache Sache!

Man braucht ein Kissen und lässt sich ganz entspannt darauf nieder, die Augen halb geschlossen. Man atmet gleichmäßig, das Fell am Unterbauch hebt und senkt sich dabei und streichelt zart die Eingeweide. Dann kommt von ganz allein ein feines Schnurren aus der Kehle, das sich sehr hübsch und angenehm anhört. Und obwohl man bei der Übung aussieht, als schlafe man, ist man doch hoch aufmerksam und präsent. Jederzeit bereit, eine Maus zu fangen.

Ist doch ganz einfach, oder?" 


Samstag, 31. August 2013

"Die einfachen und die guten Dinge"


Soeben erschienen: das Themenheft der "einfach leben"-Reihe "Die einfachen und die guten Dinge". Darin finden sich so unterschiedliche Autoren und Gesprächspartnerinnen wie u. a. eine Köchin (Sarah Wiener), ein Psychotherapeut (Wolfgang Schmidbauer), ein ehemaliger Senator und Bürgermeister (Henning Scherf), ein Design-Professor (Axel Kufus), ein evangelischer Theologe (Friedrich Schorlemmer), ein katholischer Mönch (Anselm Grün). Das ist doch mal echte Vielfalt.

Eine Schriftstellerin ist auch dabei. Mein Beitrag trägt den Titel "Eine Tasse Tee". Ich umkreise darin den Gedanken: "Alles, was wirklich gut werden soll, braucht ja unsere liebevolle Zuwendung und Achtsamkeit - ein Manuskript, eine Freundschaft und eben eine Tasse Tee."

"Die einfachen und die guten Dinge", Herder Verlag, ISBN 978-3-451-00550-3, € 7,90

Donnerstag, 29. August 2013

Tim Parks erlernt die Kunst, stillzusitzen

Tim Parks, erfolgreicher Autor und Hochschullehrer, leidet unter unerklärlichen Schmerzen im Unterbauch. Prostatabeschwerden, sagt ein Urologe und empfiehlt die sofortige Operation. Parks ist bereit, seinen ungehorsamen Körper den Experten zu überlassen in der Hoffnung, diese würden ihn rasch wieder in funktionsfähigen Zustand versetzen. Weitere Untersuchungen ergeben allerdings, dass Parks völlig gesund ist. Auf einer Indienreise sucht er einen ayurvedischen Arzt auf, der ihm empfiehlt, erst einmal das „Gerangel“ in seinem Kopf zu lösen. Parks ist durch und durch Skeptiker und hat für alles, was nach Esoterik riecht, nur Verachtung übrig. Dennoch sitzt er ein paar Monate später mit schmerzhaft verknoteten Beinen auf einem Meditationskissen, um mit Hilfe der Vipassana-Methode seinen Körper kennenzulernen und seinen Geist zu beruhigen.

Tim Parks landete – wie der italienische Journalist Terzano Terzani vor ihm - bei dem Vipassana-Lehrer John Coleman, einem ehemaligen CIA-Agenten, der so pragmatisch und skurril war, dass sich Männer wie Terzani und Parks auf die von ihm angebotene Methode einzulassen wagten. Sie funktionierte bei beiden. Während Tim Parks noch zäh an seinen Widerständen gegen den Meditations-Humbug festhält, beruhigt sich sein Bauch, und das Gerangel in seinem Kopf weicht einer nie gekannten Stille.

Allmählich zerbröselt der Widerstand von Tim Parks; sein Selbstbild wird im Verlauf der Schulung völlig auseinandergenommen. Er erkennt seine Eitelkeiten, die Egozentrik, die Gier nach Ruhm, aber auch seine nie wahrgenommene Herzensweite, die er früher vermutlich als Schwäche bezeichnet hätte. Das ist mit großer Ehrlichkeit und herrlichem Humor beschrieben. Ich empfehle das Buch gerne allen, die immer noch meinen, Meditation sei Gehirnwäsche und der Lehrer ein Guru, der einem das kritische Denken verbietet. (Nun ja, wir haben alle unsere Lieblings-Ausreden, wenn uns was Neues über den Weg läuft, von dem wir ahnen, dass es unser Leben umkrempeln würde, falls wir uns darauf einlassen ...)

Sonntag, 25. August 2013

Der Birnenrhythmus


Weil mein Leben seinen Rhythmus verloren hatte, Termine winkten, Redakteure drängten, weil also mein Leben sich nicht mehr wie Leben anfühlte, bin ich dorthin gefahren, wo Segelboote lautlos vorübergleiten, Burgen und Schlösser "stolz und kühn" an Berghängen kleben und die Ähren auf den Feldern in der Mittagshitze knistern.

Eine Woche lang großer, runder, herrlicher Sommer.

Jetzt weiß ich wieder, dass die Birnen von alleine reifen und wissen, wann es an der Zeit ist, vom Baum zu fallen. Deshalb hüten sich die Bauern, die Birnbäume zu schütteln; sie würden nur unreife Birnen ernten.

So will ich jetzt wieder arbeiten: im Birnenrhythmus.

Donnerstag, 15. August 2013

Auf dem Weg zum Postamt, an einem Sommermorgen ...

 

... ein Päckchen und einen Brief unterm Arm. Der Weg führt am Bach entlang (ich lebe privilegiert!). Das Wasser schickt frische Kühle herauf, Geißblatt duftet, eine Entenfamilie treibt vorbei. Und dann sehe ich sie: die Libellen. Riesige neongrüne und petrolfarbene. Flügelgeflirre. Leuchtender Tanz. Die Sonnenreflexe auf dem Wasser, die heiße Luft, der tiefblaue Himmel.

Der Schriftsteller Wilhelm Genazino sagt: "In den Dingen ist Magie. In den Dichtern ist Magie-Erwartung."

Genau so ist es. Aber Sie müssen keine Dichterin, kein Dichter sein, um die Magie in der Welt zu bemerken. Vielleicht ist es ja gerade umgekehrt: In dem Moment, in dem Sie den Tanz der Welt, der uns immer umgibt, wahrnehmen, sind Sie zum Dichter geworden.

Sie dürfen jederzeit erwarten, dass eine Libelle angeflogen kommt. Auch auf dem Weg zum Postamt an einem gewöhnlichen Donnerstag.


Und wenn die nette Nachbarin zu den Libellen geht, wird das Foto noch besser! (Copyright: Anne-Mareike Hanf)

Mittwoch, 7. August 2013

"Mit dem Bösen leben" von Stephen Batchelor


Was ist das "Böse"? Ist es Teil unserer "Erbsünde"? Oder einfach nur das "unerlöste Gute", wie manche Esoteriker behaupten? Sehr populär ist auch die Anschauung vom "Widersacher", der uns in Versuchung führt, um uns in seine Gewalt zu bringen.

Nicht nur das Christentum hat das Böse in Gestalt des Satan vom Guten in Gestalt von Christus abgespalten, dasselbe Gegensatzpaar finden wir mit Mara und Buddha im Buddhismus. Wie also nähern wir uns dem Bösen? Der englische Dharma-Lehrer Stephen Batchelor ist bekannt für seine unorthodoxe Anschauung des Buddhismus (was ihm bei den knochenharten Traditionalisten viel Ärger einbringt). Ich möchte hier nur einen Kerngedanken aus diesem ausgezeichneten Buch vorstellen: "Jedes Mal, wenn etwas Bedingtes und Vergängliches in den Status von etwas Notwendigem und Bleibendem erhoben wird, wird ein Teufel geschaffen." 

Mich erinnert das an den Vorwand der "Alternativlosigkeit", mit dem uns von Politikern in letzter Zeit unzumutbare Entscheidungen präsentiert werden. Damit wird uns suggeriert, es gäbe nur eine mögliche Anschauung der Situation (nämlich die der Entscheidungsträger); die Situation selbst erscheint in diesem Denken unveränderlich und wird deshalb nicht diskutiert. Der Buddha hingegen lehrte, dass alles bedingt ist, nämlich abhängig von der Existenz von etwas anderem. Batchelor nun sagt, Mara oder das Böse entstehe  immer dort, wo diese fließende, sich ständig verändernde Qualität des Lebens ignoriert und zu einem Konzept, einem Gesetz, einer Religion oder einer ewigen Wahrheit verengt wird. Mara vergiftet somit den orthodoxen Buddhismus ebenso wie der Teufel eine in Dogmen erstarrte Kirche.

In uns selbst äußert sich Mara, sobald wir an ein vom Ganzen abgetrenntes Ich zu glauben beginnen mit all den Folgen, die wir so gut kennen: unseren Ängsten, Zwängen und Konditionierungen und unserer Mitleidlosigkeit mit uns selbst und anderen. Letztendlich - und darauf kommt es Batchelor an - ist es Mara, der mit seiner Verführung zum Festhalten am Sicheren und Gewohnten unser Erwachen unmöglich macht.

Stephen Batchelor "Mit dem Bösen leben", aus dem Englischen von Renate Seifarth, ISBN 978-3-942085-19-9. Das Buch ist erschienen in der edition steinrich

(Um es noch einmal zu sagen: Ich bekomme von niemandem eine Provision für meine ganz persönlichen freiwilligen Buch-Empfehlungen.)

Mittwoch, 31. Juli 2013

"Leuchtende Stille" erscheint heute

 Aus meinem Vorwort:

"James Joyce sagte einst über seinen Entschluss, Schriftsteller zu werden: 'Ich gehe zum millionsten Mal der Wirklichkeit der Erfahrung entgegen.' Ich bin mit diesem Journal der Wirklichkeit der Erfahrung entgegengegangen, und man sieht schon an der Formulierung: am Erreichen irgendeines Ziels bin ich nicht interessiert. Hin und wieder stelle ich eine Frage, ohne eine Antwort darauf zu erwarten. Ich frage, als würde ich eine Glocke anschlagen. Wenn ich tief genug lausche, geschieht etwas in meinem Geist. Auch das hat mich das Zen gelehrt.

Was also bleibt von meiner jahrzehntelangen Zen-Praxis? Vielleicht die Erkenntnis, dass ein Tempel kein spitzes Dach haben und eine Kirche kein Kreuz tragen muss, weil ein heiliger Ort durch unseren Blick entsteht, überall, zu jeder Zeit. Vielleicht bleibt ein Duft. Eine Abendwolke, die von der untergehenden Sonne einen kleinen rosa Bauch geschenkt bekommen hat. Ein Lied an einem Sommerabend, gesungen von einer unbekannten Frau hinter den Büschen im Nachbargarten.

Es bleibt das Staunen über die unzerstörbare Anwesenheit der Magie."

Margrit Irgang "Leuchtende Stille. Auf der Suche nach dem achtsamen Leben", Halbleinen mit Lesebändchen, Herder Verlag, 210 Seiten, ISBN 978-3-451-307324, 16,99 €

Samstag, 27. Juli 2013

Druckfrisch: Mein neues Buch


Das ist mein Verlag. (Bitte die drei Worte im Giebel beachten.) Ich war eingeladen zu Kaffee und Keksen (den ebenfalls angebotenen Sekt habe ich dankend abgelehnt) und durfte, wie an Weihnachten, was auspacken:


Das druckfrische Exemplar meines Buches - und 1000 Flyers! (Möchte jemand vielleicht ein paar Flyers ...?)

Aus dem Pressetext: "Margrit Irgang geht in diesem Buch auf die Suche nach einer eigenen, nicht von Dogmen bestimmten Spiritualität. Sie entdeckt Gemeinsamkeiten zwischen Quantenphysik und Buddhismus, erzählt von bewegenden Begegnungen mit polnischen Juden in Warschau, schreibt über Alltagsmomente und den Jahreslauf in der Natur."

Auch zwölf meiner Gedichte, für die ich vor einigen Jahren den Marburger Förderpreis für Literatur bekam, haben hier ihre Heimat gefunden. Meine Lektorin Ariane Hug hat sich liebevoll um die Gestaltung des Buches gekümmert. Mal reinschauen?


"Leuchtende Stille" ist mein elftes Buch. Sie finden es ab 31. Juli in der Buchhandlung Ihres Vertrauens.

Samstag, 20. Juli 2013

Der philosophische Kater über: Genaues Hinschauen


"Menschen sind seltsam. In Deutschland erzählen die Eltern den Kindern, im Mond sei ein Mann. Die deutschen Kinder gucken hin, und schon sehen sie den Mann. Von einem Kater mit Migrationshintergrund habe ich erfahren, dass den vietnamesischen Kindern gesagt wird, es sei ein Hase im Mond. Die vietnamesischen Kinder gucken hin und sehen den Hasen. 

Ich finde es nicht gut, dass Menschenkinder in frühem Alter der kollektiven Blickmanipulation unterworfen werden. Man muss genau hinschauen, sage ich als Kater, und das Gesehene genau benennen. Maus ist Maus, nicht wahr? Mond ist Mond. Irgendwann werden aus solchen Kindern Leute, die in ihrer Katze einen Hund sehen und sie an die Leine legen.

Wir Katzen wären ziemlich beleidigt, würde irgendjemand eine Katze im Mond sehen. Wir wollen da nicht hin. Seien wir doch ehrlich: Die Menschen fliegen nur deshalb auf den Mond, weil es ihnen auf der Erde zu langweilig ist. Achtzig Jahre lang morgens Sonnenaufgang, abends Sonnenuntergang, dazwischen Regen, Wind und Schnee - das halten die gar nicht durch. Das interessiert die zu wenig. Während selbst eine Wohnungskatze jeden Augenblick spannend findet. Allein die Staubmäuse, die unter jedem Regal liegen! Ganz zu schweigen von Teppichfransen, Lampenkabeln, offenen Schranktüren!

Ich sage: Ein paar Minuten lang einfach nur schauen. Und staunen: Was da alles los ist! Aber kaum sehen die Menschen mal richtig hin, kommen sie gleich mit dem Wischlappen."

Dienstag, 2. Juli 2013

Pico Iyer? Unbedingt lesen!


"The traveler quickly learns that uncertainty is his home and impermanence his most loyal companion." Pico Iyer spricht immer auf zwei Ebenen, der äußeren und der inneren. Wenn er in die entlegensten Weltregionen fährt, bereist er zugleich immer "the foreign places inside ourselves". Über seiner Prosa liegt ein magisches Licht. Er gehört zu den wenigen Autoren, die gleichzeitig genau denken und mit allen Sinnen wahrnehmen können, und seine Sprache ist so geschmeidig und schlank, dass sie ihm mühelos folgt. Er schreibt über den eisgekühlten Mangosaft an einem Morgen in den Bergen von Bhutan und über die Winternacht in Island, in der er, der sich als Journalist begreift, zum erstenmal Gedichte schreibt, "as if, in this penetrating emptiness, you are thrown down and down some inner well."

Mein liebstes Buch von ihm ist der autobiografische Roman "The Lady and the Monk", in dem er, in Oxford geborener Sohn eines indischen Professoren-Paares und aufgewachsen in den USA, von seinem Jahr in Kyoto als junger Mann erzählt, wo er sich in eine verheiratete Japanerin verliebt. Dies ist ein erhellendes Buch über die japanische Mentalität, und wem es bei der Beschreibung biertrinkender junger Amerikaner (und asiatischer Mönche) in Zen-Klöstern graust, beginnt vielleicht westliche Praxiszentren zu schätzen.

Über den Dalai Lama, mit dem sein Vater befreundet war, hat er auch ein Buch geschrieben; nur dieses und sein erstes Buch sind ins Deutsche übersetzt. Welcher deutsche Verlag kümmert sich endlich um Pico Iyer?

Hier ist seine schöne Webseite mit vielen Texten aus der New York Times, der Washington Post und Magazinen wie Tricycle und Mindful.

Montag, 1. Juli 2013

Der philosophische Kater über: Meditation




Hier sitzen manchmal welche auf kleinen Kissen. Die Beine so komisch verdreht. Sie nennen es Meditation. Ablenkungsmanöver! Mich täuschen die nicht, ich sehe doch: Sie warten auf die Maus!

Soll ich ihnen sagen, dass ihre Maus nie kommen wird? Die ruckeln da rum. Husten. Blinzeln. Das tun sie, weil sie den Kopf voller Gedanken haben. Die Maus ist längst weg, das merken die gar nicht. Man jagt die Maus, oder man grübelt. Beides gleichzeitig geht nicht. Wir Katzen sind vom Schnurrhaar bis zur Schwanzspitze geballte Aufmerksamkeit. Einmal nicht aufgepasst, wupps, schon ist sie weg. Du weißt nie, wann sie kommt. Wo sie hin will. Wie sie reagiert. Deshalb sage ich: Seid wach! Seid leidenschaftlich geduldig!

Ob die das jemals lernen?

Sonntag, 30. Juni 2013

Die Kunst des letzten Augenblicks


Es war Frühling, als der Haiku-Dichter Minteisengan 1844 den Tod nahen fühlte. Er fand das Bild für sein Sterbegedicht beim Blick in den Garten: Fallt, Pflaumenblüten, / fallt – und lasst zurück / die Erinnerung an euren Duft. Wer so stirbt, begreift sich als Teil der Natur; sein eigenes Kommen und Gehen ist nicht wichtiger als das Fallen der Blüten und das Schmelzen des Schnees. Yoel Hoffmann, Professor für asiatische Philosophie an der Universität Haifa, hat Sterbegedichte von Zen-Mönchen und Haiku-Dichtern gesammelt; in einem kundigen Vorwort erzählt er von der japanischen Tradition des Sterbegedichts, die sich bis ins Jahr 712 zurückführen lässt. Diese Gedichte – sensibel übersetzt von Munish B. Schiekel - sind voller Leichtigkeit und geistiger Freiheit. Er scheint auf / so leicht, wie er verblasst; / der Leuchtkäfer schreibt die Dichterin Chine. Und wer möchte nicht einst sterben können wie Bainen, der seinen Lieben zuruft: In meine Welt ist jetzt / der Frühling gekommen: / Lebt wohl! 

(Da nicht jeder die Zeitschrift "Buddhismus aktuell" liest, hier noch einmal meine Rezension aus der Ausgabe 2/2013)

Gilt für alle Rezensionen hier: Ich stelle Bücher und Autoren vor, weil ich sie gut und wichtig finde. Ich bin nicht Mitglied in irgendeinem Partnerprogramm irgendeines Online-Händlers und bekomme keine Vergütungen für meine Empfehlungen.