Samstag, 29. Dezember 2018
Warum das mit den "guten Vorsätzen" nicht funktioniert
Wenn man im Duden Herkunftswörterbuch "Vorsatz" sucht, wird man auf "setzen" verwiesen. "Setzen" wiederum - ich zitiere hier, der Duden formuliert so geschraubt, wie ich mir das nie erlauben würde - "bedeutet als Veranlassungswort zu dem unter 'sitzen' behandelten Verb eigentlich 'sitzen machen'".
Wir haben sie also hingesetzt, unsere guten Vorsätze, und da sitzen sie jetzt rum. Wir gucken sie an. Gut sehen sie aus. Sie gucken zurück. Uns scheint: Ein wenig zu erwartungsvoll. Im Lauf der Zeit sogar ein wenig vorwurfsvoll. Wir fühlen uns unbehaglich. So hatten wir uns das nicht vorgestellt; wir wollten uns eigentlich so richtig gut fühlen in Gesellschaft unserer guten Vorsätze. Wir haben sie, so heißt das ja, gefasst, und doch entziehen sie sich uns. Halten immer denselben Abstand zu uns. Sind und bleiben vor uns. In der Zukunft, die es, wie inzwischen nicht nur Zenschüler wissen, gar nicht gibt.
Was machen wir jetzt mit den Vorsätzen, die so gut aussehen?
Ich schlage vor, sie sitzen zu lassen.
Alles verändert sich unablässig. Und alles ist mit allem verbunden. Jeder und jedes gestaltet das Ganze mit, verändert es mit jedem Schritt, jeder Handlung, jeder Geste, jedem Gedanken. Wie können wir voraussehen, was geschehen wird? Wie heute schon wissen, wie wir auf das noch gar nicht Eingetroffene antworten sollen? Wie heute beschließen, was für uns - und damit das Ganze - richtig/heilsam/wertvoll/gut ist, irgendwann, irgendwo, an einem Ort, den wir nicht kennen, in einer Zeit, die es nicht gibt?
Stattdessen können wir die Augen öffnen, die Ohren weiten; wir können innehalten, atmen, lauschen, spüren, riechen und die Wahrheit dieses Augenblicks durch unsere Sinne in uns aufnehmen. Dann wissen wir, was jetzt! getan oder auch gelassen werden muss "zum Wohle aller Wesen" (wie es im Buddhismus so schön heißt). Solch eine tiefe Einsicht in - zum Beispiel - unsere unheilsamen Verhaltensweisen kann ganz schön schockierend sein. Weil wir unmittelbar sehen und spüren, wie sie uns und allen um uns herum schaden. Nicht irgendwann und irgendwo, nicht abstrakt. Sondern jetzt! und hier! Wir können uns nicht mehr herausreden, nichts mehr aufschieben. Wir müssen handeln.
Nicht nur an Silvester. Immer aufs Neue. Jederzeit. Jetzt!
Was ich dabei schön und hilfreich finde, ist ein Wort. Ein einziges Wort, das uns im kommenden Jahr zur Seite steht, wenn wir geistig im Nebel herumwandern und den Weg nicht mehr finden. Das Wort bezeichnet eine Eigenschaft, die wir gerne hätten - eine Energie, die uns fehlt - etwas, das wir gern verkörpern würden. Das Wort bleibt unser Geheimnis, wir pflanzen es tief in unseren Herzgeist. Es wird da sein, wenn wir es brauchen, denn es ist lebendig und flexibel, passt sich jeder Herausforderung, jeder Veränderung an.
Welches ist Ihr Wort?
Ich bedanke mich mich bei meinen Leserinnen und Lesern für ihr Interesse an diesem Blog. Bleiben Sie ihm treu und teilen Sie mir Ihre Gedanken zu meinen Beiträgen mit, ich freue mich darüber. Einfach auf "Kommentare" am Ende jedes Beitrags klicken.
Wir treffen uns hier wieder im nächsten Jahr.
Sonntag, 23. Dezember 2018
Weihnachtslicht
Das Licht und vieles mehr hat mir die liebe Taija geschickt.
An Weihnachten feiert die Christenheit die Geburt Jesu. Ich habe das Fest viele Jahre in verschiedenen Praxishäusern verbracht; dort versammelte sich eine bunte Mischung aus begeistert das Haus dekorierenden Meditationsschülern, Einsamen, aus der Familie Geflüchteten und Verächtern des Christentums, die irgendwann in ihrer Kindheit mit Menschen in Konflikt kamen, die sie im Namen eines falsch verstandenen Christentums missbraucht und ausgebeutet hatten. Diese waren zumeist entsetzt, weil auch in dem vermeintlich so "buddhistischen" Haus eine geschmückte Tanne stand, Plätzchen gebacken wurden und alle insbrünstig "Stille Nacht" sangen. Ich erinnere mich an einen jungen Mann, der am ersten Weihnachtstag empört abreiste.
Aber diese Geburt geht uns alle an, sie kann stündlich, minütlich, in jedem Augenblick geschehen, in uns selbst: die Geburt des Lichts.
Ich wünsche meinen Leserinnen und Leser, dass auch in ihnen das Licht geboren wird. Was auch immer in diesem fast schon abgelaufenen Jahr geschehen ist, wieviel Dunkelheit da auch immer ist: Das Licht ist da und sucht sich den Weg ins Bewusstsein.
Aber diese Geburt geht uns alle an, sie kann stündlich, minütlich, in jedem Augenblick geschehen, in uns selbst: die Geburt des Lichts.
Ich wünsche meinen Leserinnen und Leser, dass auch in ihnen das Licht geboren wird. Was auch immer in diesem fast schon abgelaufenen Jahr geschehen ist, wieviel Dunkelheit da auch immer ist: Das Licht ist da und sucht sich den Weg ins Bewusstsein.
Also einfach still werden in diesen Tagen und dem Agni Parthene der orthodoxen Mönche lauschen.
Frohe stille leuchtende Weihnachten wünsche ich Euch allen.
Frohe stille leuchtende Weihnachten wünsche ich Euch allen.
Mittwoch, 19. Dezember 2018
Dezemberstille
Wenn es nur einmal so ganz stille wäre
von Rainer Maria Rilke
Wenn es nur einmal so ganz stille wäre.
Wenn das Zufällige und Ungefähre
verstummte und das nachbarliche Lachen,
wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,
mich nicht so sehr verhinderte am Wachen -
Dann könnte ich in einem tausendfachen
Gedanken bis an deinen Rand dich denken
und dich besitzen (nur ein Lächeln lang),
um dich an alles Leben zu verschenken
wie einen Dank.
Dienstag, 11. Dezember 2018
Wir sind ganz Ohr
... und dann kamen sie angaloppiert, zwölf Islandpferde, und die Nüstern bliesen warm auf meine Hand und die Öhrchen spielten vor und zurück, wenn ich leise schnalzte, und sie wollten meine Tasche untersuchen und überhaupt mal wissen, wer da auf einmal vor ihrer Weide stand ...
Vor ein paar Wochen im Treppenhaus bei Freunden. Zwei sind da unterschiedlicher Meinung, das tun sie kund. Sie beginnt in rasender Empörung, er fällt ihr ins Wort. Sie schweigt nicht etwa, um zu hören, was er sagt - sie steigert ihre Lautstärke. Er lässt sich das nicht bieten und steigert ebenfalls. Er hat ein Organ, das Säle füllen kann. Pech für sie. Sie hört sich nicht mehr, also holt sie alles aus ihren Lungen heraus. Er hält mit; er hat noch Steigerungsstufen. Jetzt haben beide ihre äußersten Möglichkeiten der Lautstärke erreicht, sie preschen blind und taub gleichzeitig durch ihr Gebrüll, das eine ersehnte Ziel vor Augen: den Anderen endlich zum Verstummen zu bringen und selber gehört zu werden.
Worum es ging? Keine Ahnung. Ich meine, das Wort "Waschbecken" gehört zu haben.
In der achten Achtsamkeitsübung des Ordens Intersein von Thich Nhat Hanh heißt es: "Wir sind entschlossen, tiefes Zuhören zu erlernen, ohne zu bewerten oder zu reagieren ..." Es ist immer gut, zu etwas entschlossen zu sein, aber mir ist diese Formulierung zu streng. Kann das tiefe Zuhören nicht lustvoll sein, ein spielerischer Zugang zur Welt, ein Glückserlebnis? Ist es nicht so, dass wir das schon längst können und nur einen kleinen Hinweis brauchen, um uns daran zu erinnern?
Im Deutschen und Englischen gibt es die schöne Redewendung "Ich bin ganz Ohr". Wenn ich ganz Ohr bin, kann ich nicht brüllen, sonst würde ich auf der Stelle ertauben. Ich kann auch nicht gleichzeitig ganz Ohr sein und das Gehörte bewerten, beurteilen, einordnen, verwerfen. Oder mir überlegen, wie ich das, was ich gerade höre, für meine Zwecke nutzen kann. Welche Vorteile es mir bringen könnte, oder welche Nachteile. Ganz Ohr zu sein heißt: dem Leben zu lauschen, während es sich unablässig entfaltet, außerhalb von mir und in mir.
Wann hören wir tief zu? Wenn unser Interesse geweckt ist. Wir wollen etwas oder jemanden wirklich kennenlernen. Wir lauschen dem Klang, den ein anderer aussendet, auch wenn er schweigt - und der harmonischen oder dissonanten Vielstimmigkeit unserer Gedanken und Gefühle, die uns etwas mitteilen möchten. Dafür müssen wir uns nicht anstrengen und kein Gelübde ablegen.
Wir wollen einfach nur wissen, was da in uns los ist. Und wer das ist, der auf einmal vor unserer Weide steht.
Freitag, 7. Dezember 2018
Dezembermorgen
Der Tag zögert noch hinter dem Horizont. Ein wenig länger ruhen, das tut ihm jetzt gut. Er hatte so viel zu tun in diesem langen grellen Sommer. Später wird er, grau und zerknittert, die Stunden hinter sich bringen, um sich früh zu verabschieden wie ein betagter Gast von einer Party, die er nur aus Pflichtbewusstsein besucht und nicht genossen hat.
Da ist schon jemand wach, wie schön. Frühaufsteher unter sich, die sich Lampenlichtzeichen senden. Auf dem Dach rumpelt es; die erste der unermüdlichen Tauben macht sich bereit, ihre Sippe zu ernähren. Noch sind die Ampeln ausgeschaltet; ein Auto fährt in Richtung Stadt, unaufgehalten direkt geradeaus. Ein kleiner Wind fingert am Rolladen herum; er scheint noch jung zu sein und verspielt, er meint das nicht ernst. Wenn er mal erwachsen ist, wird er die Blumenkübel auf der Terrasse flach legen.
Die Kirchturmuhr schlägt.
Ich setze Teewasser auf.
Freitag, 30. November 2018
Im November ...
... wurden die Schatten länger ...
... lagen im Abendlicht Juwelen auf dem Asphalt ...
... gehörte der See wieder sich selbst ...
... und die Katzen, die immer nur sich selbst gehören, waren der lebendige Beweis dafür, dass in der Ruhe wahre Größe liegt.
Verlinkt bei Jahreszeitenbriefe.
Verlinkt bei Jahreszeitenbriefe.
Sonntag, 25. November 2018
Welche Farben hat deine Dunkelheit?
Welche Farben hat deine Dunkelheit?
Das Licht ist oft nur ein Strahl, ein Faden, ein Halm. Und wir klammern uns an den Faden, den Halm, weil wir so konditioniert sind: Licht gilt als wünschenswert, als "positiv". Das Licht aber ist umgeben von einem riesigen Raum der Dunkelheit, und nur deshalb können wir es als Licht wahrnehmen. Dieser Raum der Dunkelheit ist außerhalb von dir und in dir, er ist der Grund deines Seins. Du hast viel gelesen und erlebt und gelernt, dem Raum Namen zu geben. Du nennst ihn Schmerz, Sorge, Deprimiertheit, Verzweiflung, Einsamkeit, Angst, Grauen. Bestenfalls nennst du ihn Geheimnis oder Unbewusstes. Vergiss jetzt einmal all diese Namen; sie hindern dich daran, den Raum zu entdecken. Räume sind zum Entdecken da, nicht wahr? Weil man es am Ende des Lebens bereuen wird, auf diese eine verschlossene Lebenstür gestarrt und sich nicht getraut zu haben, sie zu öffnen. Das nennt man Versäumnis, und solch ein Versäumnis, glaube mir, wird dir wirklich Schmerz bereiten.
Welche Farben also hat deine Dunkelheit?
Sag jetzt nicht, sie ist schwarz, das ist nur eine Redensart. Sobald du eine Redensart benutzt, hast du nicht hingeschaut. Ist sie also braun, dunkelgrau, anthrazitfarben? Was für ein Braun, Dunkelgrau, Anthrazit ist das? Was für eine Textur hat die Dunkelheit? Ist sie wie harter Stein (sitzt du in einer Höhle?), ist sie dick und samtig (bist du in eine Decke gewickelt?), ist sie flüssig wie Öl oder eher wie modriges Wasser? Nur Mut, schau hin. Was tut die Dunkelheit (tut sie überhaupt etwas? Wer tut etwas? Ist es dein Geist, der sich in der Dunkelheit bewegt und dir Sensationen vorgaukelt?)? Fühlst du dich umspült, überschwemmt, angenagt, gebissen, gepackt, gebeutelt, gestochen? Ist deine Dunkelheit spitz, kantig, kalt, heiß, stachlig? Oder ist sie beruhigend, einhüllend, schenkt sie Geborgenheit, Stille, beglückendes Alleinsein?
Wenn deine Dunkelheit dich eher nicht beglückt, glaubst du vielleicht, etwas tun zu müssen, um sie in Licht zu verwandeln. Das wird dir nicht gelingen, denn die Dunkelheit ist die andere Seite des Lichts, die Seite, die du bisher nicht sehen wolltest. Das mag die Dunkelheit nicht, auch sie will gewürdigt werden. Also hat sie dich am Wickel gepackt und gezwungen, sie wahrzunehmen. Na, sagt sie zu dir, wie findest du mich, wenn du mich nicht mit diesen Etiketten beklebst, die du wie alle früher benutzt hast?
Kannst du deine Dunkelheit würdigen, ihre Existenz anerkennen und sehen, dass sie es ist, die es dem Licht möglich macht, zu scheinen? Sie ist der Grund, auf dem deine Freude steht, aus dem deine Heiterkeit wächst. Schau sie dir an, mache sie dir zur Freundin. Eine Freundin schickst du nicht weg, wenn sie vor der Tür steht. Du lädst sie ein, sich zu setzen, bietest ihr einen Tee an. Und wenn sie anfängt zu sprechen, hörst du ihr zu. Überrascht stellst du fest: Sie hat etwas zu erzählen.
Sie spricht über dich.
Sonntag, 18. November 2018
Die Rosen-Tapisserien
Ein großes Treibhaus am Rand einer kleinen Ortschaft. Gärtnerei kann man es kaum nennen; es ist ein Industriegebiet, aufgestapelte Paletten in Höfen, alte Reifen, Weggeworfenes, am Wegrand allerlei Nichtmehrgebrauchtes. Das Glashaus sieht verlassen aus, unbenutzt. Ein paar Scheiben sind zerbrochen. Ich spähe durch das trübe verschmutzte Glas hinein und sehe endlose Reihen verwelkender Rosen in allen Stadien des Verblassens von Altrosa bis Braun. Rosen, die niemand gewollt hat, die keinen Käufer fanden, der sie gerne verschenkt hätte an jemanden, der sich über Rosen gefreut hätte. Rosen, die ihre Bestimmung, Freude zu bereiten, nicht leben konnten.
Aber da bin ja noch ich, zufällig hier gelandet, mit der Kamera um den Hals. Der letzte Mensch, der die Schönheit der Rosen würdigen kann. Ich brauche lange für die wenigen Aufnahmen, die ich mache. So lange wie es eben dauert, Sterbenden die letzte Ehre zu erweisen. Ich spüre Traurigkeit in mir. So viel Schönheit, die niemand wahrgenommen hat.
Aber später, zu Hause, sehe ich, dass es keinen Grund zur Traurigkeit gibt. Die Rosen sind auf den Bildern in einen anderen Zustand übergegangen, haben die Materie gewechselt. Sie sind zu Tapisserien geworden, zu verblichenen Kostbarkeiten aus französischen Schlössern, die nur einmal im Jahr gezeigt werden dürfen, weil sie im Licht und in der Luft zu Staub zerfallen würden.
Jetzt, hier, im Web, sind sie unsterblich, die Rosen-Tapisserien.
Sonntag, 11. November 2018
Liebesbrief
Love Letters
Every day, priests minutely examine the Law
And endlessly chant complicated sutras.
Before doing that, though, they should learn
How to read the love letters sent by the wind
and rain, the snow and moon.
Ikkyu
Buddhist priest, 1334 - 1481
***
Liebesbriefe
Jeden Tag studieren die Priester akribisch die Lehre
und rezitieren endlos komplizierte Sutras.
Zuvor sollten sie jedoch lernen
die Liebesbriefe zu lesen, geschickt
von Wind und Regen, Schnee und Mond.
Ikkyu
Buddhistischer Priester, 1334 - 1481
Mittwoch, 7. November 2018
Frau Irgang kocht: Kürbis-Grünkohl-Bowl
Allmählich kriecht winterliche Kälte in die Abende, Frau Irgang heizt und stellt sich wieder an den Herd. Freundin zum Thema Kochen: "Ich koche doch nicht für mich allein, das lohnt sich nicht." Bekannte: "Ich hole mir was beim Vietnamesen an der Ecke." Kollegin: "Ich mach mir ein Brot, Zeit zum Kochen habe ich nicht."
Aber wie gesagt, Frau Irgang kocht. Und probiert, weil sie nicht dauernd dasselbe essen will, gern neue Gerichte aus. Dies hier fand ich kürzlich sehr fein. Es ist ein leicht abgewandeltes Rezept aus dem Buch der Ärztin Susan Blum "Autiommunerkrankungen erfolgreich behandeln", Mosaik Verlag, in dem sich auch andere gute Speise-Ideen finden.
Und so geht's:
Einen halben kleinen Butternuss-Kürbis (Hokkaido ist auch fein) würfeln; schälen ist nicht nötig. Auf einem Backblech verteilen, mit Olivenöl beträufeln, mit Mohnsamen bestreuen und mit Salz und Pfeffer würzen. Ca. 20 Minuten bei 190 Grad garen. Wenn eine Gabel hineingeht, ist er fertig.
Währenddessen eine Tasse Quinoa oder Vollreis zum Kochen bringen.
Eine Gemüsezwiebel in feine Ringe schneiden und in Öl langsam dünsten und bräunen, bis sie süß ist. Herusfischen. Gewaschenen und kleingeschnittenen Grünkohl - Menge nach Wunsch - in dieselbe Pfanne tun, andünsten, bis er zusammenfällt und weich wird (geht sehr schnell). Inzwischen sind hoffentlich Quinoa und Kürbis fertig. Quinoa in eine Schale schöpen, darauf ein Löffelchen Zwiebel, Kürbis und Grünkohl darüber und mit einer Sauce begießen, die ich schon vorher gemacht habe, nämlich so:
2 - 3 EL Tahin mit Zitronensaft, Salz, geriebenem Ingwer und Honig nach Wunsch verrühren. Mit heißem Wasser zu gießfähiger Konsistenz verrühren. Als Abschluss über die Sauce in der Bowl geröstete Walnüsse oder andere Nüsse streuen.
Susan Blum fügt gewürfelte Avocado hinzu, mir war die aber zu kalt auf dem herrlich wärmenden Gericht.
Möge es schmecken!
Samstag, 3. November 2018
Lieblingsbaum der Woche
Der steht hier vor dem Feuerwehr-Gerätehaus.
Wie gut, dass sie ihn nicht versehentlich gelöscht haben.
Ein sonniges Wochenende allerseits!
Verlinkt beim Naturdonnerstag von Ghislana
Mittwoch, 31. Oktober 2018
Oh Oktober
Oh Oktober, du älterer Herr; die Art deines Auftritts im Jahr ist immer ungewiss, schwankend, abhängig von deiner Tagesform, wie es bei älteren Herren eben so ist. An einem Tag rennen sie zwanzig Kilometer, am nächsten liegen sie mit Rückenschmerz im Bett. Aber du hast dieses Jahr alle Kraft zusammengerafft und einen strahlenden Auftritt hingelegt. Wir wurden sorglos und heiter, holten noch einmal die Sandalen aus dem Schrank, spannten die Sonnenschirme auf und verspeisten letzte Eisbecher im Freien. Und erst, als du keine Kraft mehr hattest, sonnig und fröhlich zu sein, und Regen und Sturm erlaubtest, uns in die Häuser zu treiben, fiel uns wieder ein, dass du ja gar nicht der September bist. Und wir erinnerten uns wieder an den älteren Herrn, dem Blätterfall, Regenböen und erster Nachtfrost zustehen, ob uns das gefällt oder nicht.
Du warst ein Vorbild für uns. Das wollen wir älteren Damen und Herren uns merken: Das Sonnige, Leuchtende muss nicht zu Ende sein, nur weil es so im Kalender steht.
Donnerstag, 25. Oktober 2018
Diese leise sanfte Kraft
Ich gehe durch die Stadt, Stein rechts, Stein links, Stein unter mir, und überall lugt durch das Grau etwas zart Lebendiges. Etwas, das sich unbeirrt seinen Weg ins Licht bahnt und, dort angekommen, sofort zu blühen und zu wachsen beginnt. Diese leise sanfte Kraft unter dem Harten und Starren.
Vor ein paar Wochen fuhr ich meinen gewohnten Weg vom Biomarkt nach Hause, durch altvertraute Straßen. Alles bekannt, nichts Neues, nichts, was Begeisterung auslösen würde. Alltag eben. Am Zebrastreifen vor der Bushaltestelle musste ich anhalten, ein Mann überquerte die Fahrbahn, und auf einmal sah ich, was das für ein wunderbarer Mensch ist: Dieses Gesicht, in das sich das Leben eingeschrieben hat; diese Hände, die fest und zuverlässig die Einkaufstasche packten und ihren Inhalt sicher nach Hause bringen würden; dieser ganz und gar aus der Mode gekommene Anorak, der vielleicht von Körper zu Körper weitergereicht worden war, von jemandem einst in eine Kleidersammlung gegeben wurde, von einem anderen dort herausgefischt und der jetzt dort, genau vor mir, an einem Körper hing, der wie für den Anorak geschaffen war und mit diesem Körper den Zebrastreifen querte. Genau vor mir, die ich diesen großartigen Augenblick der Anoraküberquerung aus der ersten Reihe heraus miterleben durfte. Ich fuhr wieder an, und in den Scheiben der Autos, die mir entgegenkamen, spiegelte sich der Himmel, an dem ein paar Wölkchen lungerten, genau die richtige Anzahl pudriger Wölkchen, die einem blauen Himmel gut tut, aus einem offenen Fenster wehte "Brothers in Arms" von Dire Straits, ich parkte vor meinem Haus und konnte vor lauter Glück nicht aussteigen. Meine Füße hätten die Fülle einfach nicht tragen können.
Diese leise sanfte Kraft unter dem Harten und Starren.
Diese leise sanfte Kraft unter dem Harten und Starren.
Sonntag, 14. Oktober 2018
Gräsergedicht, an die Hauswand geschrieben
"Können wir ein Gedicht über das Innehalten, die Absichtslosigkeit, das einfache Sein schreiben?
Können wir etwas dazu malen?
Alles, was wir tun, ist ein Akt des Dichtens oder eine Malerei, sofern wir es mit Achtsamkeit tun.
Salatpflanzen ist Dichten. Der Besuch im Einkaufszentrum kann eine Malerei sein."
Thich Nhat Hanh
... und dann gibt es ja immer auch Gräser und Sonne, die ein Gedicht an eine Hauswand schreiben.
Muss man nur lesen können.
Muss man nur lesen können.
Montag, 8. Oktober 2018
Sommers Ende
Sommers Ende
Und wieder den Sommer nicht bestanden.
Schneller als wir wuchs das Korn.
Zur Feier des Juli starb das Gras
den Himmel lobte die Lerche.
Die Nacht schlug uns mit Duft und Sternen.
Wir schliefen nie. Wir schliefen immer.
Es war die Rose die sich entfaltete
es war die Kapsel des Mohns die brach.
Wieder vor der Wärme geflohen
Schatten aufgestellt
und in der hohen Stille des Mittags
die Ewigkeit unverändert überlebt.
Margrit Irgang
(Dieses und weitere 11 Gedichte in: Margrit Irgang "Leuchtende Stille", Herder Verlag)
Montag, 1. Oktober 2018
Auf Wiedersehen, September
Ich hätte nichts dagegen, dich wiederzusehen, genau so, wie du warst. Du bist ja immer ein Monat zwischen Noch und Schon, zwischen Sommer und Herbst. Das Noch war diesmal größer. Du hattest Sommerwärme und Farben zwischen Aprikose, Kürbisorange, Ocker, Waldgrün und Sattblau im Angebot. Die Straßenstände bogen sich unter dem Angebot, die Bauern wussten kaum, wohin mit der Überfülle, und ich kam von jeder Fotowanderung beladen mit Säcken voller Äpfel, Trauben, Pfirsiche, Kürbisse und Walnüsse nach Hause.
Dann brachtest du die ersten Bodenfröste (schon!!!) und einen Gewittersturm, der die Zwetschgen vom Baum fegte, was uns nicht erfreute, aber okay, wir haben es dir nachgesehen. Du bist eben nicht der Juli; du musst der Zweibeinige sein, der du bist, mit einem Bein im Noch, mit dem anderen im Schon.
Dann brachtest du die ersten Bodenfröste (schon!!!) und einen Gewittersturm, der die Zwetschgen vom Baum fegte, was uns nicht erfreute, aber okay, wir haben es dir nachgesehen. Du bist eben nicht der Juli; du musst der Zweibeinige sein, der du bist, mit einem Bein im Noch, mit dem anderen im Schon.
Wie gesagt: jederzeit gerne wieder, September.
Samstag, 29. September 2018
Bei der Feenkönigin
Sie wohnt tief unten; dort berät sie sich mit ihren Wassergeistern.
Es geht um vieles. Um das Wasser, die Bäume, die Vögel, die Luft.
Es geht um die Menschen.
Wie man ihnen beibringen kann, dass Schönheit fragil ist und geschützt werden muss.
Dass das Blau des Sees, das Grün des Waldes, die Klarheit des Himmels nicht selbstverständlich sind.
Es geht um die Endlichkeit alles Seienden, mit dem die Menschen sich nicht befassen wollen.
Weil sie dann zugeben müssten, dass auch sie selbst endlich sind.
So ernst und schwerwiegend sind die Gespräche tief unten.
Manchmal, am sehr frühen Morgen, steigt der Schleier der Feenkönigin aus dem See.
Dann ist sie ganz nah an der Menschenwelt, fast sichtbar. (Wenn man nur sehen könnte.)
Ein feines Klingen liegt über dem Wasser.
Ein Bläschen steigt auf, nur eins. (Viele Blasen = Fisch.)
Sie zeigt sich nie.
Aber sie ist da.
Solange sie da ist, könnte noch alles gut werden.
Verlinkt beim Naturdonnerstag.
Dienstag, 25. September 2018
Schmerz. Verlust. Enttäuschung.
"Normalerweise haben wir das Gefühl, dass unser Leben glattgehen soll, und wenn wir beginnen, uns deprimiert, einsam oder unzulänglich zu fühlen, glauben wir, einen Fehler gemacht oder das gute Gefühl verloren zu haben. Aber wenn wir unerwünschten Gefühlen begegnen, ist das ein wichtiger Moment auf dem spirituellen Weg. Genau dann kann Transformation stattfinden.
Solange wir darin gefangen sind, ständig Sicherheit und Glück zu suchen, anstatt den Geschmack, den Geruch und die Qualität genau dessen, was gerade geschieht, zu ehren - solange wir ständig vor dem Unbehagen davonrennen, sind wir in einem Zyklus von Unglücklichsein und Enttäuschung gefangen und fühlen uns immer schwächer.
Es ist ermutigend zu sehen, dass innere Stärke uns in eben dem Moment zur Verfügung steht, in dem wir das Gefühl haben, am Boden zu liegen; dann, wenn die Umstände am schlimmsten sind. Anstatt uns zu fragen: "Wie kann ich Sicherheit und Glück finden?", könnten wir fragen: "Kann ich das Zentrum meines Schmerzes berühren? Kann ich sitzen mit dem Leiden, sowohl deinem wie auch meinem, ohne zu versuchen, es loszuwerden? Kann ich dem Schmerz des Verlusts oder der Schmach - Enttäuschung in jeder Form - wach und präsent begegnen und ihm erlauben, mich zu öffnen?" Das ist der Trick.
Hilfreich ist auch, den Fokus zu verändern und zu sehen, wie wir Widerstände aufbauen. In diesen Momenten können wir beobachten, wie wir uns zurückziehen und selbstzentriert werden. Wir werden trocken, sauer, ängstlich; wir grummeln oder verhärten uns aus Angst vor weiterem Schmerz. Auf altvertraute Weise errichten wir automatisch ein Schutzschild, und unsere Selbstbezogenheit verstärkt sich.
Aber genau in diesem Moment könnten wir etwas anders tun. Mit Hilfe unserer Praxis können wir die Mauern sehen, die wir um unser Herz und unser ganzes Wesen herum aufgerichtet haben. Wir können erfahren, wie wir uns verstecken, einlullen, wie wir einfrieren. Wenn wir unsere Widerstände zutiefst erfahren und ihnen unsere ganze Aufmerksamkeit geben, beginnen sie erstaunlicherweise sich aufzulösen.
Lasst euch von euren Schwierigkeiten transfomieren. Es wird geschehen. Nach meiner Erfahrung brauchen wir nur ein wenig Unterstützung, um zu lernen, nicht davonzulaufen."
Pema Chödrön,
amerikanische Nonne in der tibetischen Shambhala-Tradition
Montag, 17. September 2018
Wahrnehmen
Das althochdeutsche Wort "Wahr" bedeutet "Aufmerksamkeit, Acht, Obhut". Was ich wahrnehme, nehme ich also in die Obhut meines Blicks. Ich schaue es nicht einfach an mit einem Blick, der von der Oberfläche abprallen würde. Ich umfasse es mit Wärme. Mein Blick ist zärtlich, gewaltlos, er will das Wahrgenommene nicht ändern, es nicht nach den Vorstellungen meines Egos manipulieren. Meine Wahrnehmung will nichts von dem, was sie umfängt; es muss ihr nichts geben, sie nicht bestätigen. Das Foto oben habe ich gemacht, als ich durch ein ganz gewöhnliches Neubauviertel in meiner Nähe gegangen bin. Reihenhäuschen, Vorgärten, Autos am Straßenrand. Und dann nahm ich die Blüte wahr, die vor einem Garagentor hing.
Chögyam Trungpa sagt: "Die Kunst der meditativen Erfahrung kann man authentische Kunst nennen. Solche Kunst wird nicht für Ausstellungen gemacht. Sie ist vielmehr der beständig wachsende Prozess, in dem wir die Umgebung unseres Lebens wertzuschätzen beginnen, was immer diese auch sei - sie muss überhaupt nicht gut, schön oder angenehm sein. Diese Definition von Kunst ist es, die Einzigartigkeit der alltäglichen Erfahrung zu sehen."
In jedem meiner Seminare gehe ich mit meinen Teilnehmern ins Freie für eine Gehmeditation. Im Lauf der Jahrzehnte meiner Arbeit habe ich dabei Schnee, Regen, Gewitter, Stürme, Frühlingswärme und Sommerhitze erlebt. Nichts stört uns, wir gehen. Und nehmen wahr, was uns begegnet. Bleiben stehen, wenn wir Resonanz spüren zu einem Baum, einem Zweig, einer Mauer. Halten inne, atmen. Wir benennen nicht, was wir sehen, wir denken nicht darüber nach, wir machen uns leer von allem, was wir vielleicht über es wussten oder gerne wissen würden. Wir nehmen es in die Obhut unseres Blicks, wo es sich entfalten und seine Tiefe zeigen kann.
Ist das nicht eine wunderbare Alltagsübung für Menschen, die wenig Geduld und Zeit haben für das lange Sitzen auf dem Kissen? Plant doch einfach zwanzig Minuten mehr ein für den Gang zum Bus oder den Supermarkt, verlangsamt Euren Schritt und haltet inne, wenn etwas Euren Blick fängt. Farbe, Form, das Spiel des Lichts. Vielleicht hängt da ein ganz gewöhnlicher Gartenschlauch, und ich sehe ihn zum ersten Mal, mit allen Sinnen.
Die Poesie des Augenblicks.
Montag, 10. September 2018
Das Licht. Die Stille. Die Schönheit.
Eine Kirche. Zufällig gefunden auf einem meiner täglichen Foto-Spaziergänge. Sie ist offen, ich gehe hinein. Die Kirche ist unspektakulär, keine bunten Glasfenster, keine großartigen Jesus-Skulpturen. Eine Kirche für den Kleinstadt-Alltag, für Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen. Immer dieselben alten Menschen werden sonntags das Mittelschiff schütter besetzen; an Heiligabend wird es brechend voll sein, da gehört ein Kirchgang einfach dazu. Wie das so ist mit der Religion heute.
Auf dem schmucklosen Altar steht ein Blumenstrauß, daneben liegt aufgeschlagen die Bibel. Es ist ein trüber Tag, eigentlich kein Tag zum Fotografieren. Zwischen den dicken Mauern ist es still, ich bin die einzige Besucherin. Während ich auf den Altar zugehe, fällt jäh von oben durch eins der trüb verschmutzten Fenster ein Sonnenstrahl auf die Blumen und die Bibel. Nur dort hin. Auf die Blumen. Auf die Bibel.
Ich sehe nicht: "Religion". Nicht: "Christentum". Nicht: "Kirche". Ich sehe das, woraus Religion und Kirche einst entstanden sind, vor all den Dogmen, Fehlinterpretationen, Kriegen.
Ich sehe nicht: "Religion". Nicht: "Christentum". Nicht: "Kirche". Ich sehe das, woraus Religion und Kirche einst entstanden sind, vor all den Dogmen, Fehlinterpretationen, Kriegen.
Das Licht. Die Stille. Die Schönheit.
Dienstag, 4. September 2018
Das Singen der Dinge
Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.
Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.
Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.
Rainer Maria Rilke
Ich empfinde das genauso ...
Donnerstag, 30. August 2018
Adieu, August
Du hast dich noch nicht ganz von der Wärme verabschiedet, aber erste Kälte hattest du auch dabei. Dazu ein wenig Regen und den ersten Morgennebel. Du hast Früchte reifen und verfaulen und verdurstende Kastanien von den Bäumen fallen lassen. Es war viel Ende in dir - und ein wenig Anfang. Und doch warst du bei aller Bewegtheit tief und still, ein Monat, der sich ausruht. Deine Tage schienen sich mit sich wohlzufühlen; sie schlenderten behaglich vom Morgen in den Abend hinein, ließen sich nieder auf Terrassen und in Gartenwirtschaften und wichen nur ungern der Nacht. Beim zögerlichen Abschiednehmen zogen sie einen langen Schweif an Sommerwärme hinter sich her, der noch lange über den Gärten und Feldern hing.
Danke, August, für deine Gelassenheit.
Sonntag, 26. August 2018
Kastanien, Sommer 2018
Sie sind verdurstet vom Baum gefallen, der sie nicht mehr halten konnte. Kastanien-Frühchen, noch ganz weich, ganz zart. Blind, die Augen noch nicht ausgebildet.
Donnerstag, 23. August 2018
Frei sein
Wo ich lebe, ist viel Himmel. In diesen weiten Himmel steigen morgens jetzt wieder die Ballons. Ich sitze beim Frühstück auf der Terrasse, sie fliegen direkt über meinen Kopf, ich sehe sie über mir kleiner und kleiner werden. Und auf einmal steigt das schmerzhafte Gefühl des Gefangenseins aus Jugendtagen auf, der brennende Wunsch, frei zu sein. Steigt auf in mir, scheinbar out of the blue, wie der Ballon aus dem Feld hinter meinem Haus.
Denn ich bin ja frei. Spirituell ohnehin, aber auch konkret. Frei, ein Flugzeug oder einen Zug zu besteigen, frei, morgen früh beispielsweise lieber ein Marmeladenbrot zu essen als Porridge, frei, niemanden um irgendeine Erlaubnis bitten zu müssen.
Gefühle dieser Art kommen nie aus dem Nichts. Sie waren irgendwann einmal die Antwort auf eine reale Situation. Damals waren sie angemessen, eine Botschaft unseres Herzens: Hier stimmt etwas nicht, hier muss etwas geändert werden. Aber dann wurden wir unaufmerksam. Vielleicht wollten oder konnten wir das zu Ändernde nicht ändern; das Gefühl blieb uns erhalten, es hängte sich an weitere, ähnliche Anlässe, und dann haben wir es sorgsam gepflegt, mit Aufmerksamkeit gefüttert, haben darüber nachgegrübelt und es, oft ohne es zu wollen oder auch nur zu bemerken, eingeladen, sich in unserem Geist und Herzen niederzulassen. Und mit jedem dieser Momente ist das Gefühl ein wenig stärker geworden und hat sich in uns breit gemacht, bis wir den Eindruck hatten, dieses Gefühl gehöre zu unserer Identität, ja wir seien geradezu das Gefühl. Ohne diese Angst, diesen Schmerz, diese Befürchtung kommen wir uns irgendwie unvollständig vor.
Der Buddhismus nennt das eine Gewohnheits-Energie. Solche mit Aufmerksamkeit genährten Energien übernehmen irgendwann das Kommando, und wir sind ihnen ausgeliefert.
Freiheit sieht anders aus.
Deshalb frage ich mich bei jedem aufsteigenden Gefühl: Worauf bezieht es sich? Ist es eine Antwort auf eine in diesem Moment bestehende Situation, um die ich mich kümmern muss, oder ist es eine Energie, die aus der Vergangenheit stammt und jetzt und hier überhaupt nicht relevant ist? Körper, Herz und Geist erinnern sich noch, das Gefühl hat sich tief eingegraben, aber das Ereignis, auf das es sich bezieht, besteht schon lange nicht mehr.
Ich sehe dem Ballon nach, der hoch oben ins Blau eintaucht, halte einen Moment inne vor dem nächsten Schluck Tee und beschließe, auf keinen Fall jemals in einen solch winzigen Korb unter einer solch riesigen Plastikhülle zu steigen. Viel zu teuer, und dann, habe ich gehört, ist es dort oben auch im Hochsommer so kalt, dass die Fahrgäste gebeten werden, Wintermäntel anzuziehen.
Denn ich bin ja frei. Spirituell ohnehin, aber auch konkret. Frei, ein Flugzeug oder einen Zug zu besteigen, frei, morgen früh beispielsweise lieber ein Marmeladenbrot zu essen als Porridge, frei, niemanden um irgendeine Erlaubnis bitten zu müssen.
Gefühle dieser Art kommen nie aus dem Nichts. Sie waren irgendwann einmal die Antwort auf eine reale Situation. Damals waren sie angemessen, eine Botschaft unseres Herzens: Hier stimmt etwas nicht, hier muss etwas geändert werden. Aber dann wurden wir unaufmerksam. Vielleicht wollten oder konnten wir das zu Ändernde nicht ändern; das Gefühl blieb uns erhalten, es hängte sich an weitere, ähnliche Anlässe, und dann haben wir es sorgsam gepflegt, mit Aufmerksamkeit gefüttert, haben darüber nachgegrübelt und es, oft ohne es zu wollen oder auch nur zu bemerken, eingeladen, sich in unserem Geist und Herzen niederzulassen. Und mit jedem dieser Momente ist das Gefühl ein wenig stärker geworden und hat sich in uns breit gemacht, bis wir den Eindruck hatten, dieses Gefühl gehöre zu unserer Identität, ja wir seien geradezu das Gefühl. Ohne diese Angst, diesen Schmerz, diese Befürchtung kommen wir uns irgendwie unvollständig vor.
Der Buddhismus nennt das eine Gewohnheits-Energie. Solche mit Aufmerksamkeit genährten Energien übernehmen irgendwann das Kommando, und wir sind ihnen ausgeliefert.
Freiheit sieht anders aus.
Deshalb frage ich mich bei jedem aufsteigenden Gefühl: Worauf bezieht es sich? Ist es eine Antwort auf eine in diesem Moment bestehende Situation, um die ich mich kümmern muss, oder ist es eine Energie, die aus der Vergangenheit stammt und jetzt und hier überhaupt nicht relevant ist? Körper, Herz und Geist erinnern sich noch, das Gefühl hat sich tief eingegraben, aber das Ereignis, auf das es sich bezieht, besteht schon lange nicht mehr.
Ich sehe dem Ballon nach, der hoch oben ins Blau eintaucht, halte einen Moment inne vor dem nächsten Schluck Tee und beschließe, auf keinen Fall jemals in einen solch winzigen Korb unter einer solch riesigen Plastikhülle zu steigen. Viel zu teuer, und dann, habe ich gehört, ist es dort oben auch im Hochsommer so kalt, dass die Fahrgäste gebeten werden, Wintermäntel anzuziehen.
Donnerstag, 9. August 2018
Nichts geschieht
Die Welt hält Siesta.
Die Enten lagern im Schilf, Köpfe im Gefieder. Alle Vögel halten Mittagsschlaf. Ein kleiner Käfer sitzt auf meinem großen Zeh; dort gefällt es ihm wohl, dort bleibt er erst mal. Kein Mensch ist weit und breit zu sehen. In der heißen Stille des Hochsommermittags am Waldteich geschieht nichts. Muss nichts geschehen. Soll nichts geschehen. Die Welt ruht sich aus von den Kämpfen, Empörungen, Aufregungen, die ihr von den Menschen zugemutet werden. Auch eine Welt wird ja irgendwann müde.
Der Wirbel hat sich gelegt.
Die Gegenwart leuchtet.
Verlinkt beim Naturdonnerstag
Die Enten lagern im Schilf, Köpfe im Gefieder. Alle Vögel halten Mittagsschlaf. Ein kleiner Käfer sitzt auf meinem großen Zeh; dort gefällt es ihm wohl, dort bleibt er erst mal. Kein Mensch ist weit und breit zu sehen. In der heißen Stille des Hochsommermittags am Waldteich geschieht nichts. Muss nichts geschehen. Soll nichts geschehen. Die Welt ruht sich aus von den Kämpfen, Empörungen, Aufregungen, die ihr von den Menschen zugemutet werden. Auch eine Welt wird ja irgendwann müde.
Der Wirbel hat sich gelegt.
Die Gegenwart leuchtet.
Verlinkt beim Naturdonnerstag
Samstag, 4. August 2018
Kurze Buddhas, lange Buddhas
Seht Ihr, wie da einer meditiert seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten im Wurzelwerk der Mauer von Burg Landeck? Die geschlossenen Augen, die vorspringende Nase, die Pausbacken? Ich habe mich vor ihm verneigt und durfte ihn fotografieren.
Ein langes Ding ist der lange Leib des Buddha.
Ein kurzes Ding ist der kurze Leib des Buddha.
Zenrin Kushu
"Manche Buddhas sind kurz, andere lang, manche Schüler sind Anfänger, andere weit fortgeschritten, aber jeder ist genau so, wie er ist, 'richtig'. Wenn er dagegen begierig darauf aus ist, sich zu verbessern, fällt er in den verhängnisvollen Kreislauf des Egoismus. Für den westlichen Geist mag die Anerkenntnis schwierig sein, dass sich der Mensch eher durch Wachsen als durch Selbst-Verbesserung entwickelt und dass weder der Körper noch der Geist dadurch wächst, dass er sich selbst streckt. So wie aus dem Samenkorn der Baum wird, so wird aus dem kurzen Buddha der lange Buddha. Das ist keine Frage des Sich-Besserns, denn der Baum ist kein verbessertes Samenkorn, und selbst die Tatsache, dass aus vielen Samenkörnern nie Bäume werden, ist in vollkommenem Einklang mit der Natur. Aus Samenkörnern werden Pflanzen, aus Pflanzen werden Samenkörner. Hier geht es nicht um höher oder niedriger, besser oder schlechter, denn in jedem Augenblick seines Wirkens hat der Prozess als solcher die Fülle seines Sinns.
Eine Philosophie des Nicht-Wollens weckt immer die Frage nach dem Ansporn. Wenn nämlich die Menschen, so wie sie sind, schon ganz richtig oder schon Buddhas sind - legt diese Selbstzufriedenheit dann nicht den kreativen Antrieb lahm? Die Antwort lautet: Handlungen, die einem äußeren Ansporn entstammen, haben nichts wirklich Kreatives an sich, denn das sind keine freien oder kreativen Taten, sondern konditionierte Reaktionen. Wahres Schöpferischsein ist immer zweckfrei, ohne Motiv darüber hinaus. Aus diesem Grund sagt man, ein echter Künstler bilde die Natur gemäß ihrer selbst ab und verstehe den wahren Sinn des Ideals einer 'Kunst um der Kunst willen'. Oder, wie Kojisei in seiner Saikontan geschrieben hat:
'Wenn deine wahre Natur die schöpferische Kraft der Natur selbst hat, dann siehst du, wohin du auch gehst, (alle Dinge als) Fische springen und Gänse fliegen.'"
Aus: Alan Watts "Leben ist jetzt", aus dem Amerikanischen von Bernardin Schellenberger, Herder Spektrum, ISBN 3-451-04622-9
Dienstag, 31. Juli 2018
Goodbye, Juli
Goodbye, Juli. Ich kann nicht gut Auf Wiedersehen sagen; wenn du wiederkommst, wirst du ein anderer sein. Diesmal warst du so heiß und farbig, so summend und leuchtend, wie ich mir einen Juli wünsche. Genau so hätte ich gern auch den August und den September. Die Welt soll weiterhin heiß und bunt und leuchtend sein. Kannst du das bitte dem August und dem September mitteilen? Sie sollen einfach alles von dir übernehmen, ich brauche nichts Neues von ihnen, ich bin wirklich bescheiden: Ich will nur das, was jetzt gerade da ist.
Aber natürlich will der August kein Juli sein und der September schon gar nicht. Sie werden ihr eigenes Ding machen, werden archaische Gewitter über den Berg schicken, die hoffentlich nicht wieder meine Telefonbuchse aus der Wand sprengen. Sie werden masslose Regengüsse über uns schütten (zu spät für Kartoffeln, Getreide und Flussfische, Juli, ich muss zugeben: die Bauern verfluchen dich, und zu Recht). August und September werden einen Temperatursturz inszenieren und ich werde mich wieder in Wolle wickeln müssen und trotzdem frieren, weil Temperaturen unter 20 Grad für mich arktisch sind. So wird es sein.
Also danke, Juli, für alles.
Freitag, 27. Juli 2018
Montag, 23. Juli 2018
Meditation mit der Kamera: Miksang
Miksang ist tibetisch und bedeutet "das gute Auge". Eine Schule des Sehens, die von Chögyam Trungpa ins Leben gerufen wurde. Fotografie ist für mich die Zen-Kunst schlechthin (nein, Trungpa war kein Zenmeister, aber seine Shambhala-Schule ist nur ein anderer Weg zum Erwachen, das immer in diesem Augenblick geschieht). Ein Augenblick, ein Klick. Ein Foto ist immer nur JETZT! Im nächsten Moment wäre es ein anderes Foto, wird es ein anderes Foto sein.
Können wir einfach nur wahrnehmen, was ist, ohne Vorstellungen, Ideen, ohne Suche nach einem bestimmten Erlebnis? Können wir die Schönheit der Welt, wie sie sich in diesem Moment zeigt, würdigen, ohne sie verändern zu wollen nach unseren Vorstellungen? Können wir jeden Wunsch nach "kreativer Gestaltung" (in diesem Zusammenhang also: Manipulation) vergessen? Wenn unsere Wahrnehmung rein ist, nicht von Gedanken und Gefühlen getrübt, ohne Absichten, Wünsche, Abneigungen - dann sehen wir. Das, was uns bisher entgangen ist: das Kleine, Entlegene. Den Schnipsel Papier im Rinnstein, das Glitzern des Regens auf dem Pflaster, das zufällig auf ein Autodach gewehte Blatt, gelb auf schwarz. Und wir kommen in diesem unwiederbringlichen Augenblick vorbei, nehmen die Schönheit wahr und - klick.
Absichtslosigkeit ist der Schlüssel zur Meditation und zur Miksang-Fotografie. Wie gelingt ein solches Sehen? Der Zenmeister John Daido Loori, selbst Fotograf, sagte es trocken und prägnant: "Get out of the way." Dein Ego ist im Weg, vergiss es. Werde zum Auge, ganz und gar.
Ergänzung: Bitte lest auch die Kommentare, dort ist ein interessantes Gespräch im Gang. Und weil das vielleicht nicht jeder tut, hier ein Zitat des großen Fotografen Minor White, der mich beim Fotografieren leitet: "Spirit always stands still long enough for the photographer It has chosen."
Mittwoch, 18. Juli 2018
Summertime, and the livin' is easy
Früher Morgen. Nur ich und Blässhuhn-Mama. Blässhuhn-Mann besorgt Insektenfrühstück. Blässhuhn-Kinder schlafen im Schilf.
Summertime, and the livin' is easy
Fish are jumpin' and the cotton is high
Oh, your daddy's rich and your ma is good-lookin'
So hush, little baby, don't you cry.
Ach nee, da fliegt ja noch einer.
One of these mornings you're gonna rise up singing
And you'll spread your wings and you'll take to the sky
But till that morning there ain't nothin' can harm you
With daddy and mammy standin' by.
An Hochsommertagen wie diesem ist das Leben noch einmal so leicht, wie es war, als wir glaubten, dass wir unverletzbar sind.
Genießt Euren Sommer!
Samstag, 14. Juli 2018
Die Eremitin und der Mönch
Die Verwandten der alten Frau
Einmal begegnete ein Mönch auf Pilgerschaft einer alten Frau, die allein in einer Hütte lebte. Der Mönch fragte: "Hast du irgendwelche Verwandten?" Sie sagte: "Ja." Der Mönch fragte: "Wo sind sie?" Sie antwortete: "Die Berge, die Flüsse und die ganze Erde, die Pflanzen und Bäume, sie alle sind meine Verwandten."
China, 9. Jahrhundert
***
Ein Mönch trifft auf eine Frau, die alleine im Wald lebt. Welch eine unerhörte Lebensform im 9. Jahrhundert. Selbst heute noch nicht selbstverständlich. Eine Frau, die alleine lebt, ruft bei gewissen Menschen Misstrauen hervor. Männer sind genetisch dafür ausgerüstet, heroisch und einsam auf die Jagd zu gehen und die widerborstige Natur mit ihren Löwen, Hirschen und all dem Grünzeug ihrem Willen zu unterwerfen. Frauen dagegen, ans Häusliche gewöhnt, brauchen Nähe und Wärme in Form von Herd und Mensch. Die Frage des jungen Mönches (er ist mit Sicherheit jung) trieft vor Misstrauen. Jemand muss sich doch kümmern um die arme Alte, muss ihr einen Tee kochen, Feuerholz sammeln. (Er wird dieser Jemand nicht sein, er ist auf Pilgerschaft, um erleuchtet zu werden). Nun muss er die Alte bei ihrer Sippe abgeben, damit er in dem Gefühl, eine gute Tat getan zu haben, weiterziehen kann.
Dumm nur, dass er nicht sieht, wie sehr sie bereits inmitten ihrer Verwandten lebt. Sie sagt nicht: Die Berge, die Flüsse, die Pflanzen sind meine Freunde. Nein, sie sind ihre Familie. Die Familie ist, wie jede gute Familie, fürsorglich. Sie versorgt ihre Großmutter mit allem, was sie braucht: mit Luft, Licht, Nahrung und Wärme. Diese Eremitin hat erkannt, dass sie nicht getrennt ist vom großen Ganzen; sie lebt im beständigen respektvollen Austausch mit allem, was ist, in einem unablässigen Geben und Nehmen, das sich nie erschöpft. Im Kreislauf des Wachsens und Sterbens. Und sie weiß natürlich, dass auch sie ein absterbender Baum ist, der bald in den großen Kreislauf des Vergehens eingehen wird. Ein Baum, der irgendwann zu Humus zerfallen wird, aus dem ein neues Bäumchen wächst.
Leider ist uns die Antwort des Mönchs nicht überliefert. Ich nehme an, er rannnte bis an sein Lebensende der Erleuchtung hinterher und merkte nicht, dass er schon immer mitten in ihr war.
Die Geschichte ist aus diesem schönen Buch, auf das ich gern noch einmal hinweise: Florence Caplow, Susan Moon (Hg.) "Das verborgene Licht. 100 Geschichten erwachter Frauen aus 2500 Jahren, betrachtet von (Zen-)Frauen heute. edition steinrich.
Hier mehr darüber.
Sonntag, 8. Juli 2018
"Annehmen" und "loslassen"
Gestern habe ich einen Satz des von mir geschätzten Adyashanti gelesen: "Wenn du dich in deiner eigenen Schwäche, deiner eigenen Fehlbarkeit annimmst, tust du das gleichzeitig für jeden anderen." Er sagt nicht, wie man das machen soll: annehmen. Denn er weiß natürlich, dass es, spirituell gesehen, niemanden gibt, der etwas annehmen kann. Aber manchmal verlangt der Kontext eben, die spirituelle Ebene zu verlassen und sich auf die psychologische zu begeben. Das hat etwas sehr Liebevolles.
Meine Hortensie zeigt zur Zeit alle möglichen Stadien ihrer Hortensienhaftigkeit gleichzeitig: voll ausgewachsene Blüten, ein paar winzige Knospen, die vielleicht sogar noch aufgehen werden, und dann schon die ersten verwelkten Dolden. So ungefähr sieht es auch mit meinen Möglichkeiten aus: Manches blüht, manches könnte noch entstehen, vieles ist bereits am Sterben. Einiges ist mir widerfahren, anderes habe ich selbst erschaffen. So ist es.
"Annehmen" heißt nicht, dass wir uns zum Akzeptieren des Unvermeidlichen zwingen, mit Wut oder Trauer im Herzen, weil wir es doch so gern anders hätten. "Annehmen" heißt: Sein lassen. Die Dinge und Umstände in ihrem Sosein klar wahrnehmen und würdigen. Dasselbe gilt für das in buddhistischen Kreisen so beliebte "loslassen". Wenn wir überhaupt etwas loslassen, dann unsere Vorstellungen davon, wie die Dinge zu sein haben. Wir können weder etwas annehmen noch etwas loslassen, aber wenn wir keinen Widerstand in uns mehr haben, sehen wir mit großer Klarheit das ganze Bild: das Blühende, das Knospende, das Sterbende. Vielleicht wollen wir dann Schritte unternehmen, um etwas - in uns, um uns herum - zu verändern. Vielleicht aber auch nicht.
Es könnte sein, dass wir die Schönheit in dem Bild erkennen. Es ist lebendig. Es hat Licht und Schatten. Viele Farben, viele Nicht-Farben.
Es ist schön, weil es ein Ausdruck des Seins in diesem unwiederbringlichen Augenblick ist.
Samstag, 30. Juni 2018
Du darfst mit Engeln rechnen
Ein Sommernachmittag in den Gärten von Kloster St. Lioba. Bienen, Hummeln, Schmetterlinge.
Und ganz oben links - sieht man's? -, da sind doch Flügelchen am Fenster. Das schauen wir uns mal genauer an:
Man sollte wirklich immer darauf gefasst sein, einem Engel zu begegnen.
Dienstag, 26. Juni 2018
Sehen
"Der Zweck des Anschauens ist es, zu überleben, etwas zu bewältigen, zu manipulieren.
Vom ersten Tag an wird uns beigebracht, das zu tun.
Wenn ich aber sehe, bin ich auf einmal nur noch Auge.
Ich vergesse dieses Ich, ich bin von ihm befreit
und versenke mich in die Wirklichkeit, die mir begegnet."
Frederick Franck
Donnerstag, 21. Juni 2018
Die Sonne wendet sich
Der längste Tag, die kürzeste Nacht. Eine Feier des Lichts - heller wird es nicht mehr in diesem Jahr. Die Sommersonnenwende wurde schon bei den Kelten, Germanen und Slawen mit zahlreichen Ritualen gefeiert, die alle mit Feuer und Blüten zu tun hatten. Leider hat sich bei uns für die Sonnwendfeiern der 24. Juni als Johannistag etabliert, der (angebliche) Geburtstag von Johannes dem Täufer. Wir ahnen, dass die Kirche hier die Hand im Spiel hatte. Aber am 24. Juni steht die Sonne eben nicht mehr im höchsten Punkt, sie ist schon am Niedersinken; über diese Symbolik kann man auch mal nachdenken.
Die Sommersonnenwende zeigt uns, dass Höhepunkte ihrem Wesen nach kurz sind und gefeiert werden wollen. Denn jedem Aufstieg folgt der Abstieg, auch wenn wir das ungern wahrhaben wollen. Andererseits, auch das lehrt die Sommersonnenwende, ist die Zeit der größten Fülle die Erntezeit, wenn die Feldfrüchte reif sind - und das ist im Herbst, wenn die Tage sehr viel kürzer sind, die Nächte länger und der Winter vor der Tür steht. Das Licht allein ist eben nicht alles, zur Reife braucht es auch die Dunkelheit.
Die Blüten haben an diesem Tag die größte Kraft. Seit jeher haben weise Frauen am Tag der Sommersonnenwende ihre Blüten und Kräuter gesammelt, als Kraftvorrat für den langen Winter. Ich habe von solch weisen Frauen, die es nach wie vor gibt (zum Beispiel in den Küchen guter Zenhäuser), die Blütenküche gelernt, und so gibt es heute einen Salat mit Blüten aus meinem eigenen Bio-Balkon-Anbau. Leider fehlt meine Lieblingsblüte, die Nachtkerze mit ihrer samtenen Süße, und auch das liebliche Gänseblümchen. Ich werde sie im nächsten Jahr fragen, ob sie sich auf meinem Balkon wohlfühlen würden.
Ich verlinke dies beim Naturdonnerstag von Jahreszeitenbriefe
Donnerstag, 14. Juni 2018
Julius Bissier "Aber die Stille ist größer als der Sturm"
Eine große Ausstellung in Freiburg über einen meiner Lieblings-Künstler:
"Julius Bissier und Ostasien"
19. Mai bis 23. September 2018 im Augustinermuseum Freiburg
Für Julius Bissier (1893 - 1965) waren Kunst und Kultur Japans und Chinas seit den 1930er Jahren zunehmend wichtig. Er befasste sich mit Kalligrafie und Keramik, vereinfachte seine Formen immer mehr, experimentierte mit zartesten Tuschen und Tempera, um Transparenz und Vielschichtigkeit zu erreichen. Die Ausstellung zeigt seine Werke zusammen mit japanischen Holzschnitten und Kalligrafien, und die Verwandtschaft zwischen ihnen ist offensichtlich. Hier beginnen Kunstwerke ein Gespräch miteinander, über Länder und Zeiten hinweg. Ich liebe die Einfachheit und Klarheit seiner Arbeit, den unbedingten Ernst des Künstlers und die Stille in seinen Bildern. Seit zwanzig Jahren hängt bei mir einer seiner Drucke; ein Bild, das nie aufgehört hat, zu mir zu sprechen.
Aus dem Tagebuch von Julius Bissier, 2. Juli 1947:
"Und ich? Was habe ich mein Leben lang getan? Nichts, nichts als das unscheinbare Ideal der Stille versucht zu verwirklichen in Bildern und Blättern, in Zeichenblättern, die niemanden beißen. Die Größe des Dings, die Größe der Stille, des Unkämpferischen, des A-Dramatischen - das ist alles. Und manche regen sich über einen dargestellten Tuschefleck, Tuschelinie, Tuscheform mehr auf als über das Bombardement Hamburgs. Oh Welt! Aber die Stille ist größer als der Sturm."
Mittwoch, 6. Juni 2018
Thich Nhat Hanh: "Zurückkehren zur Insel des Selbst"
Thays Hütte im Upper Hamlet in Plum Village |
"Der Buddha hat gesagt: 'Kehrt auf der Insel in eurem Inneren ein. Dieses wahre Zuhause kann euch niemand wegnehmen.' Es gibt Tage, an denen einfach alles schief geht. Wenn etwas schief geht, geben wir uns mehr Mühe, und trotz oder gerade wegen unserer Bemühungen geht es weiterhin schief. Am besten hört man dann auf, sich abzumühen und kehrt bei sich selbst ein, um sich zu erholen. Man kann sich nicht einfach auf seine Begabung verlassen und weitermachen. Man muss einkehren und sich wieder aufbauen, um mehr Festigkeit, Freiheit, Frieden und Ruhe zu gewinnen, ehe man sich von neuem an die Aufgabe macht.
Vor vielen Jahren hatte ich eine Einsiedelei in einem Wald, der etwa zwei Autostunden von Paris entfernt lag. Eines Morgens verließ ich meine Klause, um im Wald spazieren zu gehen. Ich verbrachte den ganzen Tag dort, übte Sitzmeditation und schrieb Gedichte. Am Morgen war wunderschönes Wetter, aber am späten Nachmittag merkte ich, dass Wolken aufzogen und der Wind auffrischte. Also machte ich mich auf den Heimweg. Als ich bei meiner Klause eintraf, herrschte dort ein wildes Durcheinander. Am Morgen hatte ich nämlich alle Fenster und Türen geöffnet, damit der Sonnenschein hineinkommen und alles austrocknen konnte. Der Wind hatte alles Papier vom Schreibtisch geweht und überall verteilt. In der Einsiedelei war es kalt und ungemütlich. Als Erstes machte ich Fenster und Türen zu. Dann zündete ich ein Feuer an. Als die Glut entfacht war, hörte ich den Wind pfeifen, und es ging mir schon viel besser. Als Drittes sammelte ich die verstreuten Blätter ein, legte sie auf den Tisch und beschwerte sie mit einem Stein. Das dauerte etwa zwanzig Minuten. Schließlich ließ ich mich neben dem Holzofen nieder und fühlte mich pudelwohl, und die Einsiedelei wurde warm und gemütlich.
Wenn Sie feststellen, dass es Ihnen schlecht geht, weil Ihre Augenfenster offen sind, weil Ihre Ohrenfenster offen sind, weil der Wind hineinbläst und Ihnen Schlimmes zugestoßen ist, was bei Ihnen zu einem Chaos in den Gefühlen, dem Körper und den Wahrnehmungen geführt hat, dann sollten Sie sich nicht zu sehr abmühen. Kehren Sie in Ihre Einsiedelei in Ihrem Inneren ein. Schließen Sie die Türen, machen Sie den Ofen an und machen Sie es sich gemütlich. Das verstehe ich unter 'Zufluchtnehmen zur Insel des Selbst'. Wenn Sie nicht in sich selbst einkehren, dann verlieren Sie sich. Sie zerstören sich selbst und die Menschen um Sie, auch wenn Sie es gut meinen und helfen wollen. Darum ist die Praxis des Einkehrens auf der Insel des Selbst so wichtig. Dieses wahre Zuhause kann Ihnen niemand nehmen."
Thich Nhat Hanh
(Aus: Thich Nhat Hanh "Versöhnung beginnt im Herzen", aus dem Amerikanischen von Renate FitzRoy und Thomas Schmidt, Herder Verlag, ISBN 3451-28825-7)
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