Sonntag, 31. Juli 2022

Die Internet-Kundin

 

"Atmen, Lächeln, Innehalten" - die Plum-Village-Praxisanweisung für alle Lebenslagen

 

Mein Handy war irreparabel kaputt, ich brauchte ein neues. Das Modell, das ich mir ausgesucht hatte, war in Freiburg ausverkauft beziehungsweise hundert Euro teurer als im Internet. Also bestellte ich. Ein superschneller Versand; schon am nächsten Tag sollte es geliefert werden. Mit DPD. Mich beschlich ein ungutes Gefühl. Die wenigen Auftritte von DPD in meinem Leben als Internet-Kundin waren eher suboptimal gewesen. Aber jeder Augenblick ist neu, nicht wahr, und kann unerwartete Freuden bereithalten. Ich freute mich also sehr und verfolgte mit Hilfe des Links, den man mir geschickt hatte, auf dem Plan das Lieferfahrzeug, das "noch vier Stopps" von mir entfernt war; die Lieferung war zwischen 10.44 und 11.10 Uhr angekündigt. Ich dachte, da setze ich mich doch jetzt schon mal vor die Tür; es ist ein schöner warmer Tag, warum also nicht die sichere Variante wählen. Ich ging die Treppe hinunter und sah schon im Sichtfenster meines Briefkastens die bekannte rot-weiße Karte: "Unser Zusteller hat Sie leider nicht angetroffen. Wir werden einen erneuten Zustellversuch machen."

Ich ging zurück nach oben und rief die Live-Verfolgung erneut auf. Das Fahrzeug befand sich auf einmal in einem ganz anderen Ortsteil. Die Nachricht für mich auf der Website lautete jetzt: "Wir werden einen erneuten Zustellversuch machen. Bitte geben Sie uns die Abstellgenehmigung." Ich wohne an einer lebhaften Durchgangsstraße und hatte nicht vor, ein mehrere hundert Euro teures Gerät irgendwann und ohne Voranmeldung vor die Tür stellen zu lassen. Also hängte ich einen Zettel an meine Klingel: "DPD, bitte klingeln!" Ich fand, es sei eine Situation, in der ich mir was Feines kochen sollte; ich machte Buchweizen-Crêpes mit Champignons. Gelegentlich warf ich einen Blick auf die Life-Verfolgung, unter der plötzlich die Nachricht auftauchte: "Der zweite Zustellversuch an Sie war leider erfolglos."

Auf der Karte aus dem Briefkasten war eine Telefonnummer, an die ich mich wenden sollte. Dort erzählte mir eine sympathische Automatinnen-Stimme, mein Paket befinde sich in der Paketauslieferung. Erst nachdem ich aufgelegt hatte, sah ich, dass der Anruf kostenpflichtig gewesen war. Ich kannte die Paketauslieferung; sie ist vier Kilometer von mir entfernt im Industriegebiet und weckte ungute Erinnerungen. Dennoch, ich wollte jetzt unbedingt mein Handy haben. Widerstände dieser Art können mich ziemlich munter machen. Ich setzte mich ins Auto und fuhr ins Industriegebiet.

Es war inzwischen Freitag um halb vier, und als ich ankam, beschlossen gerade sämtliche DPD-Fahrer des gesamten Umlands ihre Arbeitswoche mit Grillwürstchen und Bier. Es wimmelte von roten Poloshirts; die jungen, sehr jungen Männer starrten mich an. Ich weiß nicht, wo andere Frauen ihre Pakete von DPD abholen, jedenfalls fühlte ich mich wie ein Alien. Kurz fragte ich mich, welcher unter ihnen wohl meiner war, also der perfide Kerl, der mir die Karte eingeworfen hatte. Wahrscheinlich hockte er irgendwo am Zaun und feixte. 

Einer der Rotbehemdeten, etwas älter als die meisten und irgendwie kompetent wirkend, kam auf mich zu und fragte, ob er mir helfen könne. (Ein Mensch! Ein richtiger Mensch!) Er nahm meine Benachrichtigungskarte und verschwand in der Halle. Wenige Minuten später kam er zurück und bedauerte. Er könne mir mein Paket nicht geben, das sei zwar da drin, aber für ihn unerreichbar. Es sei bereits terminiert für den morgigen Transport zum Pick-up-Store. Dort könne ich es aber nicht am selben Tag abholen, erst am nächsten, also am Sonntag, äh, am Montag. Ich fragte, wo der Pick-up-Store sei. Er nannte einen Ort, der acht Kilometer von mir entfernt ist. Irgendwie sank gerade meine Laune auf einen Tiefpunkt. Ich sagte zu ihm, ich sei die ganze Zeit zu Hause gewesen, aber der Zusteller habe nicht geklingelt. Er grinste und sagte fröhlich: "Ach, das kommt öfter vor."

Der nächste Tag, wie gesagt, war Samstag. Ich war inzwischen sehr entschlossen, mein Handy noch vor dem Wochenende in Empfang zu nehmen. Ich rief im Pick-up-Store an und fragte, wann das Fahrzeug eintreffen würde. Kurz vor Ladenschluss, sagte man mir. Es sei aber nicht sicher, ob das Paket dabei sei. Da müsse man manchmal noch ein paar Tage warten.

Um zwölf Uhr fuhr ich in den acht Kilometer entfernten Ort. Ich war entschlossen, mich bis zum Eintreffen des Fahrzeugs vor die Tür zu setzen und dem Zusteller das Paket aus den Händen zu winden. Falls er es dabeihatte. Der Store erwies sich als einer dieser Wir-haben-alles-Läden, die man auf Dörfern findet. Ein unübersichtliches Gewirr aus Haushaltswaren, Spielzeug und Geschenken. Ich irrte über zwei Ebenen, zwischen Töpfen und Plüschelefanten hindurch und landete an einem Lotto-Stand. Es stellte sich heraus, dass dies der angepriesene DPD-Pick-up-Store war, dass der Zusteller bereits dagewesen war und ein einziges Paketchen hinterlegt hatte.

Mein Handy.

Zu Hause machte ich mir einen Kaffee und kam zu dem Schluss, dass ich wohl zu alt bin, um in dieser digitalen Welt ohne Kundendienst mein Leben halbwegs stressfrei zu verbringen. Über die geschlossene Bankfiliale an meinem Ort und die Dramen, die das bei Menschen hervorruft, die kein Auto haben, schreibe ich demnächst auch mal einen Post.


6 Kommentare:

  1. Liebe Margrit, eine Geschichte aus dem Leben. Amüsant zu lesen, weniger zu erleben. Ich habe gelesen, dieser Paketdienst wird nur Menschen mit zu niedrigem Blutdruck empfohlen.
    Hast du, während du in der Geschichte drin stecktest geschafft, ALI zu praktizieren? Sei herzlich gegrüßt

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    1. Ha, ALI ist mir durchaus zweimal entglitten. Man könnte diesen Paketdienst als Prüfinstanz nach einem Retreat einsetzen. Da zeigt sich, wie gut die Praxis ist. (Mäßig, in meinem Fall.) Liebe Grüße.

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    2. Nur zweimal, das finde ich richtig fortgeschritten ;). Bestimmt als sie dich zweimal nicht angetroffen haben.

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    3. Ja, die Nicht-Ali-Zustände hatten in ihrer bemerkenswerten Tiefe und Dauer wirklich Fortgeschrittenen-Qualität …

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  2. ich habe eine bessere Erfahrung gemacht..ich bestelle manchmal beim Bioweinbauern aus dem Burgenland 1 Karton Rotwein...DPD Zusteller kennen sogar meinen Eingang zum Abstellraum(Keller) er trägt mir den Karton bis zum Regal vorerst läutet er bei mir (Unterschrift). wenn ich unten ankomme ist bereits alles erledigt. Er bekommt natürlich Trinkgeld!!

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  3. liebe Grüße Gitti Haas

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