Als das Magazin der Süddeutschen Zeitung ein Interview mit der Schauspielerin Nora Tschirner veröffentlichte, in dem sie offen über ihre Depression sprach, reizte das etliche Kommentatoren in den sozialen Medien zu einem Shitstorm. Von "unerträglich weinerlichen Prominenten" war die Rede, von Privilegierten, die "mal ordentlich arbeiten sollen". Davon, dass sich andere Leute "solche Empfindlichkeiten nicht leisten" könnten.
Diese Reaktionen zeigen, weshalb Depression so selten als Krankheit erkannt wird. Sie sind dauernd müde, essen nicht mehr, haben die Freude an allem verloren? Ihre Umgebung sagt Ihnen, jeder habe mal einen schlechten Tag, das ginge vorüber. Sie liegen am helllichten Vormittag im Bett? Sie hören: Jetzt reiß dich ein bisschen zusammen. Unternimm mal was Schönes. Wenn Sie nach zwei Monaten immer noch nicht funktionieren (und wenn Sie eine echte Depression haben, hat Ihr Abstieg in die Dunkelheit nach zwei Monaten gerade erst begonnen), gibt es richtig Ärger. Da haut der Vater mal ordentlich auf den Tisch, die Partnerin droht mit Trennung, der Partner verbringt seine Nächte woanders.
Wer glaubt einem schon eine Krankheit, die man nicht vorzeigen kann wie ein gebrochenes Bein? Die glauben Sie sich ja selber nicht. Sie schämen sich. Sie reißen sich, wie gefordert, zusammen. Sie üben für die Welt ein Lächeln ein, das Ihnen die Muskeln schmerzhaft zusammenzieht.
Ich habe gelesen, dass "Depression" das am meisten gesuchte Stichwort auf Google sei. Der Autor des Berichts fand diese Tatsache erschreckend. Mir macht sie eher Hoffnung. Ein enorm wichtiges Thema, das lange verschwiegen wurde, gerät zunehmend in den Fokus der Medien, denn immer mehr Prominente outen sich als depressiv. Da denkt man mal nach über sich selbst, da recherchiert man. Depressive sind nicht weinerlich, empfindlich oder zickig - sie sind klinisch krank.
Ich bin mit einer depressiven Mutter aufgewachsen und kann der depressionskranken Autorin Ronja von Rönne nur zustimmen: "Jeder, der Depressionen oder Angehörige mit Depressionen hat, weiß, dass es eigentlich ein Vollzeitjob ist. Es ist wahnsinnig anstrengend und kräftezehrend." Ich habe schon zwei Freundinnen in die Klinik begleitet und werde immer wieder einmal um Adressen von Therapeuten gebeten, die zumindest für ein Erstgespräch rasch zur Verfügung stehen.
Der erste und wichtigste Schritt ist, die Krankheit bei sich klar zu erkennen und zu benennen. Die Heilung beginnt mit dem Mut zur Wahrheit: Ich habe Depression.
Was hilft im akuten Fall? Der Hausarzt ist die erste Instanz. Er wird überlegen, ob ein Klinikaufenthalt sinnvoll ist, eine Medikation, vielleicht eine Psychotherapie. Seien Sie sanft mit sich selbst. Es gibt keinen Grund für Selbstvorwürfe. Sie haben nichts "falsch gemacht", nichts "versäumt". Sie sind krank, und kranke Menschen verdienen Fürsorge. Wenn die niemand anderes geben will oder kann: Sorgen Sie fürsorglich für sich selbst. Und gehen Sie sehr behutsam um mit allen Veränderungen und Erschütterungen in Ihrem Leben. Sie brauchen mehr Stabilität und Sicherheit im Alltäglichen als andere.
Schenken Sie sich schamlos egozentrisch alles, was Freude verspricht, Licht und Farbe in die Seele bringt. Lieben Sie Blumen? Her mit den Blumen! Musik? Gehen Sie ins Konzert! Feiner Tee? Kaufen Sie den besten. Spaziergänge am Fluss? Täglich! Wollen Sie mit einer Katze leben? Im Tierheim wartet man schon auf Sie.
Für andere Menschen sind diese Dinge eine hübsche Bereicherung ihres Alltags. Für Menschen, die eine Disposition zur Depression haben, sind sie lebenswichtig.
Immer. Ein Leben lang.
Sehr interessant und gut von Sträter gesprochen und berichtet. Ich kenne diese Krankheit von einigen Freunden/Bekannten - und weiß wie tief und dunkel das Loch ist... Ich habe im Leben auch schon öfter diesbezüglich gehört " soll sich zusammenreißen - hat es doch gut - oder: geht es wohl zu gut...." Ignorant der Krankheit gegenüber.
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