Freitag, 21. Februar 2020

Entscheidung zur Leichtigkeit


Die Praxis der Achtsamkeit führt zu schwereloser Leichtigkeit.

Also wirklich, Leichtigkeit ...? Wir sind doch ernsthaft Praktizierende, wir geben uns Mühe mit dem Achtsamsein, wir sind von dieser Praxis voll überzeugt, wir belehren auch gern andere darüber, die zu unserem Leidwesen so schrecklich unachtsam sind. Da hat schon wieder einer seinen Müll nicht ordentlich getrennt, schon wieder hat sich einer in der Kassenschlange vorgedrängelt, die Nachbarn essen immer noch nicht vegetarisch, es ist deprimierend.

Nein, wir sind nicht leichtfertig, wir werden mit der Unachtsamkeit um uns herum nicht leicht fertig. Wir leiden darunter, wir wissen, wie die Welt zu funktionieren hat, warum wissen das nicht alle. Wir sind schon gar nicht leichtsinnig, wir sinnen über die Welt in ernsthafter, tiefer Weise nach. Wir sind keine Leichtgewichte, wir stehen jeden Morgen um sechs Uhr auf und sitzen auf dem Kissen, selbst wenn wir krank sind. Ja, wir nehmen diese Praxis ungeheuer ernst.

Leichtigkeit hat in Deutschland kein gutes Image.

Wir schätzen sie nicht. Wir wissen gar nicht, wie sie sich anfühlen würde und wie wir sie herstellen könnten: eine Leichtigkeit, die auf tiefen Ernst gegründet ist und die Probleme in der Welt nicht leugnet. Eine Leichtigkeit, die uns erst fähig macht zum Handeln, die es uns erlaubt, unsere Stimme zu erheben gegen den Hass, die Ungerechtigkeit, den Rassismus.

Eine solche Leichtigkeit entsteht, wenn wir erkannt haben, dass wir nie getrennt waren von der Natur, den Mitmenschen, dem gesamten Kosmos. Wenn wir unsere unauflösbare Verbundenheit erkennen, begreifen wir, dass auch wir zum Hass, zur Ungerechtigkeit, zum Rassismus beigetragen haben, mit flüchtigen Gedanken, mit kleinen alltäglichen Handlungen, oder eher: mit dem, was wir unterlassen haben. Nicht mit Absicht, nein, natürlich nicht. Einfach aus Unachtsamkeit, aus Unwissenheit. Weil wir keine Ahnung hatten, wie viel von uns selbst abhängt: Von unserer Klarheit, unserer genauen Wahrnehmung. Von unserer Entschlossenheit, nur noch Heilsames in die Welt zu tragen.

Wenn wir das begriffen haben, wird das Leben leicht. Wir müssen keine kleinen Entscheidungen mehr treffen. Wir müssen nicht in jeder Situation des Alltags aufs Neue grübeln: Soll ich mich wirklich einmischen? Soll ich wirklich widersprechen, protestieren? Soll ich mich wirklich dafür entscheiden, Freude und Freundlichkeit zu verbreiten, Blumen zu verschenken, aufmunternde Karten zu verschicken?

Darüber muss ich in Zukunft nicht mehr nachdenken, und das spart viel Energie. Die eine grundsätzliche Entscheidung ist getroffen: Ich will das Heilsame in der Welt stärken. Diese Entscheidung hat die Eigenschaft, in erstaunlicher Schnelligkeit von uns Besitz zu ergreifen. Sie nimmt uns in Beschlag, sie ist nicht mehr rückgängig zu machen. Sie erweist sich als organisch: Wir brauchen sie nicht zu nähren, sie arbeitet von selbst.

Unser verbissener Ernst und unsere Selbstgerechtigkeit haben das Ego genährt. Bei jeder kleinen Entscheidung fragte das Ego sofort: Und was habe ich davon? So ist es groß und stark geworden, eine Wand zwischen uns und der Welt. Aber jetzt wird das Ego ausgelüftet. Die Leichtigkeit hat in der Wand Fenster weit geöffnet, und dieses Ding, das sich so aufgeblasen hatte, fällt erstaunlich schnell in sich zusammen. Da war nur Luft drin. Ach so.

Leichtigkeit heißt: Mein Ego steht nicht mehr Weg.

 

1 Kommentar:

  1. Danke für den besonderen Text, ja es gibt das spirituelle Ego und es kommt in den "schönsten" Kleidern daher. Wenn man beginnt sich "auf den Weg" zu machen erkennt man die Täuschungen besser. Es gibt wohl keinen anderen Weg, als den der Selbsterkenntnis...mühsam aber ehrlich.
    Einen schönen Sonntag Gitti

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