Mittwoch, 29. März 2023

Straßen im Frühling

 

Vor dem Szene-Café sitzen sie auf dem Boden in der Sonne, die Rücken an der Hauswand, aufgereiht wie Tauben auf dem Dach. Mit nickenden pickenden Köpfen hacken sie in ihre Laptops. Zwischen sich Teller und Becher mit Proviant aus dem Café, das Gesundes, Veganes, Frisches anbietet. Studentenleben 2023.

Sie haben sich aus der Winterwolle geschält und zeigen Farbe. Eine junge Frau mit Haaren wie eine Feuersbrunst, baumelnde orientalische Ohrringe. Ein junger Mann im bodenlangen schwarzen Ledermantel, eine rote Lederkappe auf dem Kopf. An der Hauswand sitzen ein langer violetter Tüllrock, ein Poncho, eine Haremshose. Ich muss öfter durch diese Straße gehen, hier verkehren die Individualisten. Nur wenige Schritte weiter, vor der Uni-Bibliothek, wieder das einheitliche Grau-Blau der Jeans-Fraktion.

An der Haltestelle der Straßenbahn steht ein junger Mann und umklammert einen Topf mit Katzengras, den er auf einer dieser Schaumstoff-Verpackungen abgestellt hat, in denen man Fast Food transportiert. Ich glaube, er liebt seine Katze mehr als sich selbst. Aber vielleicht kann die Frittierbox mit Ketchup und Mayo auch ein Ausdruck von Selbstliebe sein. 

(So wie die herrlichen Mandeln mit Vollmilch-Schokolade oder Himbeer- und Limonen-Überzug, die es in diesem kleinen Laden gibt, den ich jetzt, gerade jetzt, betrete.)

Der Obdachlose, der sonst immer seinen Recorder laut aufgedreht hat und die Passanten bevorzugt mit der Oper Carmen beschallt, ist offenbar zum Mittagessen gegangen. Statt seiner Person hat er neben dem einladend geöffneten Hut in einem Bilderrahmen ein Foto von sich hingesetzt. Ich verstehe das Geschäftskonzept: Du musst deine Kunden bei der Stange halten, sonst lassen sie ihr Geld bei der Konkurrenz.

Gedanken über Menschen in den Straßen im Frühling, die ich sehe, aber deshalb noch lange nicht kenne ...


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