Sonntag, 16. Oktober 2022

Eine Geschichte aus unserer Zeit

  

 Diese Behauptung stammt erkennbar aus einer längst vergangenen Zeit

 

Ich habe eine Geschichte gehört, die so vieles von dem ausdrückt, was uns gerade bedrückt. Eine Freundin von mir hat an einem Yoga-Retreat im Ausland teilgenommen. Gegen Ende der Woche stellte sich heraus, dass eine Teilnehmerin, die dauernd hustete, Covid hatte. Zwei andere hatten sich bereits angesteckt, darunter meine Freundin. Fieber, Schüttelfrost, Gliederschmerzen, das ganze Programm. Aber der Albtraum begann erst, denn die Abreise stand bevor.

Der Leiter des Retreats sagte, er könne die Verantwortung nicht übernehmen, die drei nach Hause fliegen zu lassen, und ordnete Quarantäne im Hotel an. Das verbot der Hotel-Besitzer verständlicherweise vehement. Die drei Infizierten riefen das Krankenhaus an und baten um Aufnahme, was empört abgelehnt wurde. Sie entbanden den Leiter von der Verantwortung und flogen in der bereits vorab gebuchten Maschine nach Deutschland. Dort kamen sie erst nach Mitternacht an, es gingen keine Züge mehr in die diversen Heimatstädte, sodass sie die ebenfalls vorab gebuchten Zimmer in einem Hotel bezogen. Am nächsten Morgen stiegen sie in ihre Züge (Schüttelfrost, Fieber, Gliederschmerzen) und fuhren nach Hause. Und fühlten sich nicht nur körperlich elend.

Eine einzige Person, die erste Infizierte, die sich anfangs weigerte, sich testen zu lassen, hat das ganze Gebilde wie ein Mikado-Haus zusammenfallen lassen. Die eine, auf die es angekommen wäre.

Wir möchten wieder wenigstens zeitweise ins Leben zurückkehren, im Chor singen, Yoga machen, Sport treiben. Endlich wieder mit Menschen zusammensein, nicht nur auf Monitore starren. Aber Menschen sind gefährlich. Diese Geschichte zeigt das Dilemma, in dem wir sind: Wir blenden die Möglichkeit aus, dass uns etwas heimsuchen könnte. Wer will sich ständig vor Menschen schützen und ihnen unter Vorbehalt begegnen. Wir wollen vertrauen und wir müssen vertrauen, sonst ist das Leben nicht lebenswert.

Aber weil wir vertrauen, haben wir keinen Plan B - und ich sehe auch nicht, wie ein solcher in dieser Situation hätte aussehen können. Fast alle Beteiligten haben sich bemüht, sich verantwortungsvoll zu verhalten. Wo, außer unter einer Brücke, hätten die drei unterkommen können, bis sie irgendwann - nach Tagen oder, wenn sie Pech gehabt hätten, Wochen - wieder negativ gewesen wären? Und doch: In Flugzeug und Zug, im Speisesaal und Hotel saßen andere Menschen nebenan. Vertrauensvolle Menschen, die gerade wieder ins Leben zurückgekehrt waren.

Es gibt keine einfachen Lösungen. Zur Zeit weniger denn je. Es gibt nur die Verantwortung jedes Einzelnen. Deine. Und meine.

 

4 Kommentare:

  1. Da der Verlauf der Infektion einer Grippe , manchmal auch "nur" einer Verkühlung ähnelt, wird wohl die einzige Lösung sein, es so zu handhaben wie wir es früher getan haben.Diese Panik und Angst in den Köpfen der Menschen wird sonst NIE mehr vergehen.Der Großteil der Länder hat die Pandemie für beendet erklärt.

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  2. Wie könnte ein Plan B aussehen? Ich sehe das alte Muster: wenn uns Gewalt angetan wird, hier durch das Coronavirus, fügen wir uns noch weitere Gewalt zu, denn die stressige Heimfahrt schädigt den ruhebedürftigen Körper zusätzlich. Die drei Patientinnen hätten sich vor Ort ein Apartment mieten können, kontaktlos über das Internet. Dort hätten sie sich gegenseitig helfen können. Vielleicht ein wenig Yoga zusammen geübt und dabei ihre Körper besser kennen gelernt, als dies in einem Yoga-Retreat mit vielen Menschen möglich ist. Welche Übungen kann ich noch ausführen, wenn ich krank bin? Erfinden sie gemeinsam neue schonende Asanas für Corona-Kranke? Bilden die Drei nur eine Zweckgemeinschaft oder werden sie Freundinnen? So gut ich ihre Flucht ins heimische Nest nachvollziehen kann, so haben sie doch auch eine Chance verpasst.
    Hoffentlich haben sie die Infektion trotzdem alle gut überstanden!
    Simon

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  3. Vielen Dank, Simon, für Deine Gedanken. In Grenzsituationen reagieren wir, scheint mir, mit den vor Urzeiten einprogrammierten Verhaltensweisen. Auch kranke Tiere wollen nichts weiter als schnell zurück in den Bau. Danke der Nachfrage, ich hörte, allen geht es gut! Herzlich Margrit

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