Sonntag, 28. August 2022

Samstagnachmittag in der Stadt


 ... und überall wird fotografiert, und die Autorin kann's auch nicht lassen ...


Manchmal bringe ich mich in die Stimmung der Freundlichkeit und fahre in die Stadt, um zu schauen. Einfach nur zu schauen, was mir so begegnet. Bereit, vielleicht nicht alles zu lieben, aber alles mit meinem Blick zu würdigen. So, wie es ist. Man muss sich darauf einstimmen, so ohne Weiteres und zwischen zwei dringenden Besorgungen funktioniert das nicht.

Samstagnachmittag, es ist schwül. Ein Mann radelt rasend vorbei, aus seinem Rucksack streckt ein winziger Hund seinen Kopf, die Ohren fliegen im Fahrtwind. Zwei alte, also: sehr alte, Frauen stehen vor der Sozialstation zusammen und betrachten versunken das abgedeckte Dach des Nebenhauses. Beide Frauen in Kittelschürzen mit kleinen Mustern. Solche trug meine Mutter einst. Es muss noch Spezialgeschäfte für diese Schürzen geben; im Internet werden die beiden Frauen sie wohl nicht bestellt haben. 

Ich lande auf einem Flohmarkt und bin überrascht, wie intensiv nach modrigem Keller ein Stapel Kleidung noch unter freiem Himmel riechen kann. (Kurzes Aussetzen des würdigenden Blicks.) In einer Bücherkiste entdecke ich das Buch "Die Sonnenuhr" von Maarten t'Hart, das ich noch nicht kenne (große Würdigung des Funds). Es soll zwei Euro kosten, was mir zu viel ist, aber da beginnt es plötzlich aus Kannen zu schütten. Die junge Frau ruft mir hastig zu, "Eins fünfzig!", bevor sie eine Plastikfolie über die Kiste zerrt. Billiger wird das Buch nicht, nur nasser. Ich rette t'Hart und mich (ich sehr feucht - schwer zu würdigen) unter einen ausladenden Baum (wie kann man Bäume nicht lieben) und beginne im Stehen zu lesen. (Könnte vielleicht ein Lieblingsbuch werden.) Eine alte Frau hält einen völlig erschöpften und seit Langem zusammengebrochenen Kinderschirm hoch, der sich über ihr wölbt wie eine Glockenblume. Die blassen Restrosen am Rand des Platzes richten sich unter dem Regen auf, mir scheint, sie wachsen sichtbar zu ihrer vollen herbstlichen Größe heran. 

Die Ware der Flohmarkthändler ist unkenntlich unter Planen verschwunden. Die Frau mit dem großen Stand Kindersachen hat in Windeseile ein Partyzelt über sich aufgebaut, unter dem sich jetzt die Flohmarktbesucher schutzsuchend zwischen Teddybären und Strampelhöschen zusammendrängen. 

Ich bin auf Seite zwanzig, als die Sonne zurückkommt, als wäre sie nie weg gewesen. So eine unschuldig tuende Sonne, man kennt das. Ich glaube, das macht sie mit Absicht: Wenn sie da ist, betrachtet sie jeder als selbstverständlich, aber kaum war sie weg, freuen sich alle, dass sie wieder da ist. Sie will mal wieder gemocht werden. Ein alter, orientalisch aussehender Mann trägt einen großen, also: sehr großen, Edelstahltopf vom Platz. So einen Topf für Großfamiliengeburtstage, der in eine Küche mit Riesenherd gehört, an dem, ich sehe es schon vor mir, emsige Frauen und Männer brutzeln und rühren, und es duftet nach Kreuzkümmel, Koríander, Zimt und Nelken.

Jetzt habe ich Hunger. Der Topf ist schuld. 

Ich fahre nach Hause und koche mir eine ayurvedische Gemüse-Kokos-Suppe.



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