Samstag, 13. August 2022

Erste Male



Ich sitze gern auf Plätzen herum. Bei den Lesenden, den Plaudernden, den auf Bänken Schlafenden. Ab und an kommt eine Taube vorbei oder ein Hund.
 
Ich saß also auf dem Platz der Alten Synagoge gegenüber der Uni-Bibliothek. Dort sind um einen Baum herum mehrstufige Holzbänke gebaut. Hinter mir, also über mir, ein Paar um die fünfzig. Sie aßen Eis und blickten sich um. Schön hier, sagte sie. Hmm, sagte er. Lebendig, sagte sie. Ich drehte mich verstohlen um und fand meinen Eindruck bestätigt: Sie sahen so ratlos und ein wenig melancholisch aus, wie sie klangen. 

Jetzt kam Bewegung in die Szene. Ein junges Paar um die zwanzig stürmte über den Platz, beide warfen sich auf die Bänke hinter mir. Na, fragte die ältere Frau, wie war eure Führung? Das ist eine tolle Bibliothek! rief die junge Frau. Die haben wirklich alles, sagte der junge Mann. Also gefällt es euch? fragte der ältere Mann. Das wird ein Super-Semester, sagte die junge Frau und nahm dem Vater die Eistüte aus der Hand. 

Ja, da freue ich mich für euch, sagte die Mutter leise. Wir fahren jetzt nach Hause, sagte der Vater. Gute Fahrt, sagte der junge Mann höflich und legte der Freundin den Arm um die Schultern.



Ach, dachte ich. Da fahren sie jetzt also nach Hause, das leer sein wird ohne die Tochter. Hinter mir ging für zwei Menschen ein wichtiger Lebensabschnitt zu Ende, und gleichzeitig begann für zwei andere ein ganz wichtiger. Der wichtigste überhaupt: Endlich weg von zu Hause, endlich frei, endlich die Welt der großen Bibliothek entdecken in einem Super-Semester. Diese Freude am Neuen, diese vielen ersten Male, die auf die beiden warten würden! Ach.

Abschied und Neubeginn gleichzeitig. Ganz nah, dort über mir. Ich wurde ein wenig wehmütig. Ich überquerte den Platz und ging in die Bibliothek, die auch mich beim ersten Besuch vor vielen Jahren begeistert hatte, und holte mir etwas Neues, ein klitzekleines erstes Mal, um es mit nach Hause zu nehmen: Ein Buch, das ich noch nicht kannte. Den neuen Roman "Oh, William!" von Elizabeth Strout.


1 Kommentar:

  1. ein schöner Kommentar, mit Literaturempfehlung...danke!
    einen schönen Feiertag Gitti Haas

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