Montag, 7. März 2022

Stabil bleiben


Ich war mal wieder im Wald. Der ist jetzt, so zwischen den Zeiten des Nicht-Mehr und Noch-Nicht, sehr licht. Am Wegrand stapeln sich die gefällten Stämme, anscheinend ist im Winter so einiges abgestorben. Auf den Stämmen stehen Namen wie "Kuhner", und während ich mir überlege, was Herr Kuhner wohl mit seinen Stämmen vorhat, rumpeln robuste private Fahrzeuge mit Anhängern vorbei, auf denen weitere Stämme aufgetürmt sind. Es ist Samstagnachmittag, man holt sein Holz ab, es ist alles normal und so wie immer im Wald Anfang März.



Viel anderes als Holz in allen Stadien des Lebendigen und Toten gibt es diesmal nicht zu sehen, aber auf den Stämmen, die keine Namen tragen, ist richtig was los. Efeu! Moos! Lärm herrscht, das passt zur Weltlage. Irgendwo in den Tiefen des Waldes sind die Holzfäller unüberhörbar am Werk. Es liegt viel Zersplittertes herum, da wurde wohl dilettantisch was herausgesägt und der Rest stehengelassen, kann man nicht brauchen so was, war aber doch auch mal ein Baum. Wie traurig ist das denn. Ich gehe inzwischen über Holzboden, hier hat ein Baum-Massaker stattgefunden, und weil ich nun mal in Bildern denke und gerade ziemlich viele ratlose Mails bekomme, in denen ich gefragt werde, wie es mir geht mit der Situation und wie man damit umgehen solle, bleibe ich stehen und denke: So vielleicht nicht.



Wir werden in den Nachrichten mit Bildern und Berichten überschüttet. In den sozialen Netzwerken wird aufgeregt alles geteilt, was einem gerade so unterkommt, ein spektakuläres Video, ein Zitat, raus damit. Persönliche Freunde versuchen, uns in ihre Emotionen zu verwickeln, in die Angst, die Wut, den Pessimismus, und werden gereizt, wenn wir uns nicht hineinziehen lassen. Wir müssen jetzt ganz klar und stabil bleiben, um nicht von Emotionen überschwemmt zu werden oder uns abzuschließen und in Gleichgültigkeit zu verfallen. Ich muss nicht jeden aktuellen Film aus dem Kriegsgebiet sehen, habe mich vorerst aus meinen sozialen Netzwerken ausgeklinkt, beantworte keine Mails mehr, die in aggressivem Ton verfasst sind, und praktiziere das, was ich in meinen Retreats anbiete: Immer wieder innehalten und dreimal bewusst atmen.



Ich kehre zurück zu mir selbst, wie es in der Plum-Village-Intersein-Schule heißt. Nämlich zu meinem wahren Selbst, der Stille am Grund des Universums, die mich nährt mit ihrer Energie und Intelligenz. Ich kehre viele Male am Tag dorthin zurück, im Wald, in der Küche, im Bad, in der Fußgängerzone - auf dem Strom meines Atems, dem ich bewusst folge, sodass kein Gedanke sich einmischen und die Verbindung stören kann. Und immer wieder einmal steigt dann eine so unbändige Freude in mir auf, eine Freude am schieren Da-Sein, am reinen Sein. Ich wünsche mir sehr, dass ihr alle diese Freude empfinden könnt.

Und dass ihr gerade jetzt stabil bleibt und nicht zersplittert werdet. Und kraftvoll da sein könnt, wenn ihr gebraucht werdet. Wofür auch immer.


6 Kommentare:

  1. Danke für den schönen Text, liebe Margrit. Klar und stabil zu bleiben, sich nicht zu zersplittern. Wie schwer in diesen Zeiten und wie wichtig! Danke, dass du daran erinnerst wie das gehen kann. Wie der innere Frieden wieder zu finden ist. Das ist sehr hilfreich. Liebe Grüße, Karin

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  2. Danke, das tat gut, dies heute morgen zu lesen!
    Und auch das Retreat wirkt noch wohltuend nach.
    Herzliche Grüße,
    Helga

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