Sonntag, 19. April 2020

Allein und doch nicht einsam


Ich gehöre zu denen, die das Alleinsein nie lernen mussten. Schon als Kind floh ich, wenn Besuch da war, in eine stille Ecke, um mich mit meinen verzauberten Schwestern zu unterhalten, die für andere nichts weiter waren als die Stöckelschuhe meiner Mutter. Mit fünf Jahren wurde das "arme Einzelkind" in den Kindergarten gebracht. Um es kurz zu machen: Es war eine Katastrophe. Die anderen Kinder tobten und bewarfen einander mit Bauklötzen. Ich hätte gern von meinen verzauberten Schwestern erzählt, aber niemand wollte es hören. Der Versuch, das Kind mit der Anwesenheit anderer Kinder zu erfreuen, wurde nie wiederholt.

Meine Lieblings-Schriftsteller lieben alle das Alleinsein. Wahrscheinlich sind sie deshalb auch meine Lieblings-Schriftsteller.


"Ein Wochenende ohne Reden, sogleich in tiefes sicheres Bücherlesen versunken, und dann Schlaf: klar, durchsichtig: und der ganze Garten grüne Tunnels, Wälle von Grün: und dann erwachen in den heißen stillen Tag, und nie ein Mensch zu sehen, nie eine Störung." VIRGINIA WOOLF

"Zweieinhalb Tage war ich allein, und schon bin ich, wenn auch nicht verwandelt, so doch auf dem Wege. Das Alleinsein hat eine Kraft über mich, die nie versagt. Mein Inneres löst sich und ist bereit, Tieferes hervorzulassen. Eine kleine Ordnung meines Inneren fängt an, sich herzustellen, und nichts brauche ich mehr." FRANZ KAFKA


"In-sich-Gehen und stundenlang niemandem begegnen - das muss man erreichen können. Einsam sein, wie man als Kind einsam war, als die Erwachsenen umhergingen, mit Dingen verflochten, die wichtig und groß schienen, weil die Großen so geschäftig aussahen und weil man von ihrem Tun nichts begriff." RAINER MARIA RILKE

"Der Wind lief durch die sich beugenden braunen Gräser und rührte die Wipfel der grünen Bäume. Ich blickte auf die dunkle Masse der Wälder jenseits der Brennerei, auf jene Hügel im Süden von uns, und es wurde mir klar, dass ich unter Menschen einsam bin, wenn ich aber allein bin, so bin ich nicht mehr einsam." THOMAS MERTON


"Diese Freude, allein zu sein: Was ist das? Ich fühle mich so fröhlich, ruhig und friedlich - das ganze Haus scheint aufzuatmen. Das Mittagessen ist fertig. Ich habe ein gebratenes Ei, Aprikosen und Sahne, Käsesticks und schwarzen Kaffee. Wie köstlich! Der Kater bekommt einen Löffel Rahm - dann versteckt er sich unter den Sofafransen und streckt ein Pfötchen aus nach meinem Finger. Es ist niemand im Haus - und doch - woher kommt das Flüstern? Winzige Goldflecken auf den Treppenstufen - winzige Fußspuren ..." KATHERINE MANSFIELD

Dies ist ein kurzer Auszug aus meinem Feature "Allein und doch nicht einsam" für SWR 2, das leider nicht mehr in der Mediathek steht.

Vielleicht gerade jetzt wichtig: Ein schönes Buch über die Stille: hier (klick)
Mehr über Introvertierte und Hochsensible: hier (klick)

3 Kommentare:

  1. All-ein sein....ich liebe es auch. Herzliche Grüße, Taija

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    1. Danke für Deinen Frühlingsgruß! Er hat einen kleinen Gefährten bekommen: einen japanischen Kranich. Hab es gut.

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