Samstag, 24. Mai 2014

Die Klause der Eremitin


Hier möchte ich leben. In dieser Stille, diesem Alleinsein (wieder kein Mensch da, wie gut!). Der sattwarme Nachmittag, der Bergwind, die vor mir ins Tal rollenden Wiesen. Die Pfingstrosen sind hier noch Knospen; alles blüht später auf, ist dann aber, wenn es endlich blüht, kraftvoller, farbiger, größer. Ein kinderhandgroßer Schmetterling taumelt vorbei. Irgendwo auf den endlosen Wiesen muss eine Schafherde sein, ein sanftes Mäh klingt herauf. Vielleicht sind Lämmchen dabei. Will ich denn nicht die Lämmchen sehen? Ja. Nein. Ich bleibe sitzen, mit dem Rücken an der warmen Hausmauer. Meine Eremitage, die Kapelle, die kaum jemand kennt. Der Ort, an dem mein Geist zu Hause ist, weil er hier ungestört bei sich sein darf. Der Ort, den mein Geist aufsucht, wenn es unten im Tal in meinem alltäglichen Leben zu mühsam wird, zu laut, zu unruhig. Dann schließe ich die Augen und sitze hier oben, in der Gesellschaft der Schmetterlinge und Hummeln, und von fern klingt ein sanftes Mäh herauf.

Warum gibt es eigentlich so wenige Eremitinnen? So wenige Frauen, die das Alleinsein suchen und die Stille preisen. Die Eremitinnen, die ich mir vorstelle, wären Einsiedlerinnen ohne Religion; ihr Gebet brauchte keinen Adressaten, weil es eine Lebenshaltung wäre: Das Feiern des Augenblicks und dessen, was er schenkt (Pfingstrosen! Hummeln! Finken!).

Jetzt höre ich sie wieder, diese summende, flüsternde Stille, die sich erst entfaltet, wenn die Natur ganz bei sich ist. Ich störe sie nicht; ich bin nur eine Eremitin auf der Bank an der Hauswand, in ein Gebet versunken, das niemandem gilt.

3 Kommentare:

  1. Mein gymnasium wurde (in den 1950-er Jahre) geleitet von Augustiner Mönche. Sie stellten hinter ihren Namen die Buchstaben OESA (Ordo Eremitorum Sancti Augustini).
    Später benutzten sie die 'modernisierte' Abkürzung OSA. Sie sahen sich also offenbar nicht mehr als Eremiten, Sie entfernten damit das Herz aus ihre Klostergemeenschaft, habe ich immer gedacht. Das finde zurück in deinem schönen, stillen Beitrag.

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    1. Ich lese gerade wieder die Tagebücher von Thomas Merton, der in seinem Trappisten-Kloster dasselbe beklagte: "A style of life in which I have no interest - a form of monasticism in which solitude, contemplation, etc. are treated as irrelevant and all that matters is a lively and interesting choral service, well-organized work, a booming community, etc."

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  2. So kenne ich in den Niederlanden ein Trappisten-Kloster, wo der Abt und einige Mönche viele Jahre Zazen übten und vielen Zen-Meister aus dem Ausland einläden um Zen zu unterrichten. Sie sahen dies als Erneuerung ihres spirituellen Lebens. Die Mehrheit der Kloster-Brüder aber stimmte damit nicht ein, und Zazen blieb damit im Kloster einen Spaltpilz, obwohl viele Menschen das Kloster besuchten für Zen-Retraites. Der Abt ist schliesslich ersetzt und Zen ist jetzt, wie ich hörte,aus dem Kloster verbannt. Soviel über Zen und christliche Kontemplation!

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