An einer Haltestelle hat was zu halten. Ein Bus, ein Taxi, ein Freund, den wir gerufen haben, weil der Bus voll besetzt vorbeigefahren ist. Auf das, was da halten wird, warten wir. Ungeduldig. Wann kommt er denn? Wann denn endlich? (Schon zwei Minuten überfällig!)
Weg, bloß weg. Das ist ja der Charakter des Wartens: Wir sind an einem Ort, an dem wir eigentlich nicht sein wollen. Wir haben hier nichts verloren und suchen auch nichts. Dieser Ort ist eine unangenehme Zwischenstation zu unserem Ziel, das irgendwo dort hinten, dort drüben, dort oben liegt: im Später, im Anderswo.
Der Nahverkehr ist auch nicht mehr das, was er mal war. Die sollen endlich wieder fähige Logistiker einstellen, die für durchgehende Verbindungen sorgen. Wo sind diese Leute abgeblieben? Nach Corona ins Home Office verschwunden, wie das Gastro-Personal? Wahrscheinlich ist der Busfahrer schuld. Plaudert mit allen, die bar ihr Ticket bezahlen, und überhaupt, diese Barzahler! Senioren natürlich. Die sollen zu Hause bleiben, wenn sie mit der Fairtiq App nicht klarkommen.
Was ist das für ein Ort, an dem unsere Erwartungen an den örtlichen Nahverkehr wieder einmal und erwartungsgemäß enttäuscht werden? Wir haben keine Ahnung. Er interessiert uns nicht, wir haben ihn uns nicht ausgesucht. Ist er hübsch, hässlich, bunt, fröhlich, langweilig? Wir schauen auf die Uhr. (Schon drei Minuten überfällig!)
Man kann sich auf allerlei sinnbefreite Art die Zeit an einem Wartehäuschen vertreiben.
Meine Lieblings-Haltestelle liegt auf 900 m in der Bergwiese. Ich war ziemlich außer Atem, als ich sie erreichte. Im weiteren Verlauf verengt sich der Höhenweg zu einem steinigen Pfad, den Wanderer nur hintereinander erklimmen können. An dieser Haltestelle hält kein Bus mehr, aber die Wanderin hält an, um innezuhalten. Hier zeigt das Thema Warten eine neue Facette. Es erweist sich als das, was es auch im Tal ist: eine im Grunde überflüssige und kraftzehrende Haltung.
Ich setze mich ins Gras. Da sind Bienen, Käfer, der Klang der Mittagsglocken aus dem Unterdorf. Sogar der Sommer ist da, obwohl er in diesem Jahr so lange auf sich warten ließ. (Zwei Monate überfällig!) Ich packe mein Picknick aus. Ein kleiner Wind fingert am Butterbrotpapier herum. Aah, Kuhglocken! Und irgendwo muss ein Esel sein, oder ist das doch eine Tür, die in rostigen Angeln schwingt?
Während wir warten, verpassen wir die einzige Zeit, die es gibt: diesen Augenblick mit allem, was er um uns herum bereithält. Wir sehen, hören, riechen ihn nicht, uns entgehen seine Farben, seine Formen. Und was uns vor allem entgeht, ist die heitere Leichtigkeit, die uns der Augenblick schenkt, wenn wir ihn nicht mit Erwartungen, Befürchtungen und Hoffnungen ausblenden.
Bienen also, Käfer, Glocken aller Art. Mir fällt wirklich nichts ein, auf das ich hier warten könnte.
Es ist einfach schon alles da.
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