Ein Leben im Zen ist eine Art Tanz: die mühelose Übereinstimmung mit dem Rhythmus des Universums. Nichts, was sich im Augenblick ereignet, wird als unerwünscht zurückgewiesen; nichts, was sich nicht zeigt, wird ersehnt oder erzwungen. Alles wird hellwach als das erkannt, was es ist, wird akzeptiert und auf kreative, ganz persönliche Weise beantwortet.
Wer im Zen lebt, steht sich selbst nicht mehr im Weg.
Corona ist ein Zen-Meister. Er zieht uns den Boden unter unseren liebgewordenen Gewohnheiten weg und interessiert sich nicht für unsere egozentrischen Hoffnungen und Pläne. Unsere Urlaubssehnsucht und der Wunsch nach Konzerten und Fußballspielen ist ihm herzlich egal. Ihm geht es, wie allen Meistern, ums Grundsätzliche: Er bringt uns bei, was Nicht-Wissen bedeutet.
Eigentlich hätten wir das längst lernen können. (Vielleicht ist der Meister auch deshalb auf den Plan getreten. Es wurde endlich Zeit für uns.) Das Nicht-Wissen war seit jeher unser stiller Begleiter; es folgte uns wie ein Schatten, düster und bedrohlich. Wir hatten uns angewöhnt, den Begleiter zu ignorieren. Wer will schon ständig mit dem Nicht-Wissen unterwegs sein. Da müsste man ja vor jedem Schritt zögern, ängstlich in jede Toreinfahrt spähen, und ob man überhaupt noch eine Straße betreten könnte, ist fraglich, käme man doch vielleicht morgens nicht mehr aus dem Bett, weil man nicht einmal wüsste, was man zum Frühstück essen möchte, geschweige denn, warum man wohin unterwegs sein sollte.
Und die ganze Zeit war das Nicht-Wissen unser wahrer Schatz.
Wussten wir, als wir uns für die Party zurechtmachten, dass wir in einer Stunde unserem künftigen Partner begegnen würden? Dass wir unseren Arbeitsplatz verlieren, unser Land verlassen und eine große Familie haben würden, obwohl wir alleine bleiben wollten? Wie gut, dass wir keine Ahnung von all dem hatten. Wahrscheinlich hätten wir mit unseren Grübeleien über Gefahren und Belohnungen das Ganze gründlich vermasselt. Wir hatten aber keine Gelegenheit zum Grübeln; das Leben nahm unser Leben in die Hand.
Und so standen wir im Februar unvorbereitet vor diesem Ereignis namens Corona und machten uns - jede und jeder auf eigene Weise - daran, Antworten darauf zu finden.
Der englische Religionswissenschaftler Alan Watts, der sich viel mit Zen und dem Tao befasst hat, schrieb: "Letzten Endes müssen wir aus einer Quelle heraus, die jenseits all unseres Wissens und Im-Griff-Habens liegt, handeln und denken, leben und sterben. Gelingt uns das nicht, dann können wir noch so sehr sorgen und zögern, in uns hineinschauen und unsere Motive überprüfen, es wird uns nicht viel helfen. Daher sind wir ohne Rücksicht darauf, was am Ende herauskommt, zu einer Wahl gezwungen: entweder angstvoll gelähmt zu bleiben oder einen herzhaften Sprung in die Tat zu wagen."
Die meisten von uns wagen jetzt den Tanz mit den Energien des Universums, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt. Anfangs fühlt es sich mühsam an. Das Nicht-Wissen scheint wie ein Nebel zu sein, und wir hätten gerne den vollen Durchblick. Aber wir wissen nicht, was der Winter uns bringen wird. Weitere Einschränkungen, persönliche Verluste, oder ein ganz neues Lebensgefühl - eins, das ohne die Schwere des Grübelns auskommt, das Leichtigkeit hat und beflügelt?
Auf die Frage, was das Zen sei, sagte ein alter Meister unwirsch zum Schüler: "Geh weiter!" Alan Watts bemerkt dazu: "Die Anweisung, ohne Hintergedanken zu handeln, ist keineswegs bloß ein Rezept, an das wir uns oberflächlich halten können. In Wirklichkeit ist man zu dieser Art von Handeln erst fähig, wenn man begriffen hat, dass man gar keine Alternative dazu hat, und wenn man erfasst hat, dass man selbst das Unbekannte und nicht in den Griff zu Bekommende ist."
Das ist es, was Zen-Meister Corona lehren will: Du selbst bist ein großes Geheimnis. Vergiss alle Vorstellungen, die du von dir selbst hast. Lass dich ein auf das, was der Augenblick dir präsentiert, und antworte darauf ohne Zögern und Grübeln. Sei mutig und kreativ.
Vielleicht wirst du überrascht sein über das, was du über dich herausfindest.