Nach welchen Kriterien triffst du deine wichtigen Entscheidungen?
Sagen wir mal, du hast endlich den Job deiner Träume gefunden. Sehr gut bezahlt, voller Möglichkeiten, dich kreativ zu betätigen, beste Aufstiegschancen. Allerdings lebst du in Berlin und müsstest beispielsweise in die Lüneburger Heide umziehen (tolle Firmen sitzen inzwischen oft auf dem Land). Dein Partner, deine Partnerin muss/will aber in Berlin bleiben.
Wahrscheinlich besprichst du das Thema mit allen, die dir nahestehen. Der Vater rät zu (Karriere!), die Mutter und Freundin Hanna raten ab (Beziehung ist wichtiger als Karriere!). Du machst eine Liste mit dem Pro und dem Kontra, und beide Seiten sind gleich lang. Du bist so klug wie zuvor, grübelst und schläfst schlecht. Manche Menschen legen in solchen Momenten Tarot-Karten, werfen ein I Ging oder pendeln. Kann man machen, aber natürlich sind all diese Hilfsmittel nicht das, was zu sein sie behaupten: eine Vorhersage der Zukunft. Sie funktionieren vielmehr wie ein Spiegel: Sie zeigen dir dein eigenes tiefes Wissen über die Situation. Um dieses Wissen zu berühren, brauchst du aber keine Karten. Das schöne deutsche Wort un-Mittel-bar weist einen anderen Weg, den direkten.
Wenn ich eine schwierige Entscheidung treffen muss, setze ich mich auf mein Kissen und meditiere. So entsteht in meinem Geist ein weiter Raum der Stille und Leere, in dem sich jetzt eine andere, die wichtigste, Instanz zu Wort melden kann: mein Wahres Selbst, die Quelle, der Ursprung alles Seienden, das Göttliche - du kannst es aber auch ganz einfach Intuition nennen. Intuition ist kein Gefühl. Ihre Stimme ist leise, aber überzeugend, und sie zu hören erfordert Geduld. Die Antwort kommt in einem Bild, einem Satz, einer Ahnung, einer Gewissheit - und oft später und nebenbei, vielleicht wenn ich gerade koche, dusche oder mit jemandem im Gespräch bin. Ich halte inne und weiß: Das ist es. So mache ich es.
Nun weiß ich aber, dass nicht jede und jeder so viel Meditationserfahrung hat wie ich. Und ich weiß auch, dass manchmal die überzeugendste Antwort hinterher begrübelt und dadurch zum Verstummen gebracht wird. Gibt es denn eine Möglichkeit, durch Denken zu der besten Antwort zu gelangen?
Die amerikanische Philosophin Laurie A. Paul lehrt an der Yale University. Bei ihr habe ich diesbezüglich einen sehr guten Satz gelesen. Sie schlägt die Frage vor:
"Will ich herausfinden, wie mich diese Entscheidung verändert?"
Die Frage ist deshalb so gut, weil sie etwas klarmacht, was wir gern übersehen: Jede Entscheidung verändert uns. Wir wissen nicht, wie wir uns einfügen werden in die neue Firma, wir wissen nicht, wie man uns empfangen wird, ob wir zufrieden sein werden und ob die Fernbeziehung halten wird. Aber auch die Entscheidung, alles beim Alten zu belassen, verändert uns. Selbst wenn wir in unserem Beispiel in Berlin und im alten Job und in der gewohnten Beziehungsform bleiben, hat es das tolle Angebot und unsere Absage gegeben. Wir sind nicht mehr die, die wir waren, bevor das Angebot kam. Weil uns jeder Schritt, den wir unternehmen, verändert, können wir vorher nie mit Bestimmtheit sagen: Dies ist richtig, dies falsch.
Die Frage dagegen eröffnet uns einen Raum, der jenseits von Richtig und Falsch ist. In diesem Raum lebt die Neugier auf das, was wir sein könnten und noch nicht sind, aber vielleicht sein werden - durch diese Entscheidung, egal, ob dafür oder dagegen.
(Hier wird es eine kleine Sommerpause geben. Wir hören und lesen uns wieder, auf jeden Fall.)
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