Samstag, 30. Dezember 2023

Das Jahr des Drachens

In Ostasien bringt der Drache Glück. Hier ein Niedlicher, von meiner Kamera gefunden irgendwo in einer Ecke im japanischen Nikko.


Willkommen im Jahr des Holz-Drachens, TATSU-DOSHI. Es beginnt zwar erst am 10. Februar, aber ich beschließe hier, es nach unserer Zeitrechnung beginnen zu lassen. Denn anders als in der westlichen Mythologie ist in Ostasien der Drache ein Glücks-Symbol. Bei uns ist der Drache nicht ohne den Drachenkampf denkbar; dieses wüste Tier muss man sehr germanisch "besiegen" (Siegfried ist ja angeblich ein Held). Für C. G. Jung war der Drache ein Archetyp für das Dunkle, Dämonische, für die Abgründe in der Psyche. Er ist auch ein Wandlungs-Symbol, aber wie das so ist mit den Wandlungen: Man wandelt sich nur nach schweren Prüfungen. 

Ganz anders in China und Japan. Dort verkörpert der Drache Macht, Glück und Wohlstand. Er wird generell als Glücksbringer betrachtet und schützt uns vor bösen Geistern. Nach chinesischer Auffassung soll das kommende Jahr des Holz-Drachens eine Zeit großer Veränderungen und wunderbarer Fügungen sein. Ein chinesischer Astrologe empfiehlt, die günstige Zeit zu nutzen, die eigenen Träume zu verfolgen und die Kreativität zu entfalten.

So heiße ich euch willkommen im Jahr des Drachens. (Ich bin schon hier. Habe ein wenig geputzt und aufgeräumt, damit das Jahr schön aussieht, wenn ihr kommt mit euren Familien und Freundinnen, den Freunden und euren Tieren. Ja, alle Tiere dürfen eintreten, nicht nur "je zwei von ihrer Art". Der Herrscher des Jahres ist ja selbst ein Tier.)

Also: Vergesst den Kampf mit seiner Metaphorik von Siegern und Opfern; dieses Denken schwächt uns, und Schwäche können wir uns nicht leisten. Die wahren Helden dieser Zeit sind jene, die sich nicht in den Pessimismus ziehen lassen, der in den Medien herrscht. Jene, die mutig und trotzig am Wert der Schönheit, Aufrichtigkeit und Güte festhalten und Freude in kleinsten Dingen finden. Verfolgt eure Träume, entfaltet eure Kreativität, findet heraus, was ihr im Tiefsten wollt - und macht euch auf, es wirklich werden zu lassen mit der Kraft des Holz-Drachens. Das ist wahre Macht: erschaffen, anstatt zu zerstören.

Übrigens halte ich vom 20. bis 24. Juli 2024 sehr passend dazu im Intersein-Zentrum im Bayerischen Wald ein Retreat mit dem Titel "Erwecke deine schöpferische Kraft". Dafür kann man sich bereits anmelden: hier (klick)

Wir sehen  und hören uns wieder im Jahr des Glücks.


Samstag, 23. Dezember 2023

Weihnachtsfrieden. Weihnachtswärme.

 

 

Enya singt "O come, o come, Emmanuel", eine Paraphrase eines alten Antiphons, das um die Befreiung Israels bittet. Nicht nur Geiseln müssen befreit werden, auch Herzen. 

Ich wünsche euch ein Weihnachtsfest voll Frieden in friedloser Zeit. Ein Fest der inneren Freude, wenn die Anlässe für Freude für euch vielleicht selten geworden sind. Ein Fest der Wärme, wenn es draußen kalt ist. Ein Fest der Ruhe, wenn es stürmt, außen und innen. Ein Fest des Lichts, wenn es in euren Herzen dunkel ist.

Ich wünsche euch, dass ihr den Ort in euch findet, der in der christlichen Tradition das Symbol der Krippe trägt.

 

Mittwoch, 20. Dezember 2023

Gert Scobel über Meditation



Gert Scobel, dessen youtube-Kanal ich sehr schätze, ist bekanntermaßen Zen-Praktizierender. In der Sendung "Sternstunde Religion" des Schweizer Fernsehens spricht er mit der wie immer großartig vorbereiteten und so genau wie respektvoll fragenden Moderatorin Olivia Röllin über den "Hype um Meditation und Achtsamkeit". Der Titel ist natürlich ein Unding: Es gibt keinen Weg zur Erleuchtung. Der Urgrund mit seinem strahlenden Licht ist immer da, und wenn er sich uns plötzlich offenbart (das geschieht immer wieder, und oft begreifen wir das Geschehen in seiner Tiefe nicht), dann sind wir nicht an einem Ziel angelangt und haben keinen Weg zurückgelegt. Unser Geist hat auf eine andere Frequenz umgeschaltet. Einfach so, pling!

Dennoch werden hier wichtige Fragen gestellt. Was geschieht in einem Menschen, der vierzig Jahre lang meditiert? Was ist zum Beispiel MBSR, und was unterscheidet es von Zen? Darf man Meditation für wirtschaftliche Zwecke instrumentalisieren?

Ein sehr sehenswertes Gespräch auf hohem Niveau. Dennoch musste ich ein wenig lächeln. Und frage hier mal in die Runde: Wisst ihr jetzt, was Meditation ist und was sie bewirkt? Habt ihr verstanden, worum es wirklich geht? Was, zum Beispiel, ist Nicht-Zwei?

Ich lächelte, weil ich bei Scobel, wie auch bei Thomas Metzinger, spontan ausrufen wollte: Lass den analytischen Geist mal ruhen. Zeige mir stattdessen dein Verständnis, zeige mir, was Meditation in dir bewirkt hat!

(Mein Beitrag über Metzinger hier (klick).)

Ich gehöre zu denen, die Scobel kurz erwähnt, "die schon in frühen Jahren Erfahrungen der Transzendenz gemacht haben". Bei mir war es sehr früh, ich war fünf Jahre alt. Diese Erfahrungen haben mich durch eine schwierige Kindheit getragen, und natürlich kamen später weitere dazu. Was ich sagen will, ist: Man kann über solche Erfahrungen nicht adäquat sprechen. Aber weil sie als Urgrund immer mitlaufen in allem, was man tut und sagt, prägen sie das eigene Verhältnis zur Welt. Sie zeigen sich in winzigen Details, Gesten, Blicken. Sie äußern sich eher in dem, was die Person nicht sagt, und dem, was für sie schon vor langer Zeit unwichtig geworden ist. Sie finden sich in ihrem Schweigen mehr als in ihrem Sprechen. Und genau das ist es, was andere Menschen nicht einordnen oder benennen können, aber spüren.

Natürlich spüre ich das auch bei Scobel. Vielleicht ein kleiner Rat: Achtet nicht nur auf die Worte, die gewechselt werden, sondern mehr auf die Atmosphäre, die hier zwei kongenial miteinander kommunizierende Menschen umgibt. Dort findet ihr das Zen.

 

Sonntag, 17. Dezember 2023

Wim Wenders "Perfect Days"


 

Wim Wenders liebt Japan und hat einen Film gedreht, den ich euch wärmstens empfehle. Gleich eine Warnung vorweg: Hier gibt es keine "Story", in den zwei Stunden "passiert nichts". Aber wer das Subtile, Angedeutete schätzt, wird diesen Film lieben.

Hirayama putzt in Tokio die öffentlichen Toiletten. (Kennt ihr die japanischen öffentlichen Toiletten? Meine Besuche dort gehörten zu den Highlights meiner Japan-Reise.) Wir folgen Hirayama durch seine scheinbar immer gleichen Tage, vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Jeden Morgen besprüht er seine winzige Topfpflanzensammlung, geht abends in immer den gleichen Schnellimbiss, aber vor dem Schlafengehen liest er Faulkner und Highsmith. Wir ahnen: Dieser Mann hat nicht immer Toiletten geputzt. Er liebt die Musik der Achtziger, hört sie tatsächlich auf Kassetten und nimmt seine Fotos noch auf Filmrollen auf. Ein paar Menschen kreuzen seinen Weg, er behandelt sie alle mit demselben Respekt.

Dies ist der Film des Schauspielers Kōji Yakusho (der für seine Leistung die Silberne Palme in Cannes erhielt). Was für ein Gesicht. Hirayama ist schweigsam, und Koji Yakusho braucht auch keine Worte, um diese Figur sichtbar zu machen. Wir sehen einen Mann, der vollkommen im Augenblick lebt, sich an den kleinen Dingen des Lebens erfreut - und einfach nur glücklich ist. 

Und als meine Freundin und ich das Kino verließen, waren auch wir: glücklich.


Montag, 11. Dezember 2023

Daniel Schreiber & Judith Hermann


Wie erzählt man von sich selbst und hütet gleichzeitig seine Geheimnisse? Was heißt es, eine Geschichte zu erzählen - und ist nicht alles, was wir anderen und uns selbst erzählen, ohnehin eine Geschichte, also eine in Sprache gefasste Auswahl aus Erfahrenem und Erträumten, Erlebtem, Befürchtetem und Erhofftem? Was ist die "Wahrheit" über uns selbst - und ist sie überhaupt wichtig? Zwei Autoren gehen dieser Frage auf höchst unterschiedliche Weise nach.

Februar in Venedig. Daniel Schreiber ist in die Stadt gekommen in der Hoffnung, hier eine neue Lebensphase zu beginnen. Seit dem Tod seines Vaters hat er sich in Arbeit geflüchtet und sich von seinen sozialen Kontakten zurückgezogen. Er weiß, dass sein Gefühl der Taubheit verdrängte Trauer ist; in Venedig will er lernen, endlich zu trauern. Aber er muss feststellen, dass es ihm schwerfällt, den lange verdrängten Schmerz zu fühlen. Wir begleiten Daniel Schreiber einen Tag lang durch die Stadt. Er besucht die Toteninsel San Michele, schaut sich seine Lieblingsbilder in der Accademia an und denkt nach über seine persönlichen wie unsere gesellschaftlichen Verluste. Und wie immer findet Daniel Schreiber für sein Thema - diesmal Verlust und Trauer - eine Fülle literarischer und wissenschaftlicher Zitate.

Meine Rezension in SWR 2 Lesenswert ist immer noch nicht gesendet, obwohl ich die Produktion vor der Veröffentlichung fertig machen musste. 😏 Aber Weihnachten naht, man braucht Geschenke, also hier ohne offizielle Rezension. 

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Judith Hermannn hält die bekannte Poetikdozentur in Frankfurt - und erzählt von sich selbst. Sie trifft ihren ehemaligen Analytiker eines Nachts in einer Kneipe in Kreuzberg, erinnert sich an ihre zehnjährige Analyse und ihre katastrophale Familiensituation mit dem depressiven Vater und einer Mutter, die sich entzieht. "Rätsel, in die du hineinwächst. Andeutungen wie Treidelpfade, Heimlichkeiten." Aber das Private ist nur scheinbar intim. Wir lesen hier keineswegs, "wie es war", sondern wie es sich erzählen lässt von einer, die sagt: "Ich schreibe am eigenen Leben entlang, ein anderes Schreiben kenne ich nicht." Ich finde das Buch faszinierend; die eigene Lebensgeschichte wird hier Spielmaterial, öffnet sich ins Weite und jede scheinbare Antwort mündet in neue Fragen, die neues Schreib- und Lebensmaterial sind. "Schreiben heißt Zeigen und es heißt Verbergen." Und, frage ich, gilt dasselbe nicht auch für die Geschichten, die wir uns über uns selbst erzählen? Was wissen wir wirklich - was wollen wir wissen? Ein wunderbares Buch, große Empfehlung.

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Sonntag, 3. Dezember 2023

Advent




Advent: Erwartung des Lichts, das aus der tiefsten Dunkelheit emporsteigen wird. Ein Lichtlein wird schon heute Abend am Adventskranz leuchten. Der traditionelle Adventskranz ist im Grunde ein Ursymbol des Lebens. Schon in prähistorischer Zeit findet sich ein Kreis mit vier Punkten als "Sonnenrad". Bei den indigenen Völkern Nordamerikas ist der Kreis das Medizinrad, bei den Kelten findet er sich im Keltenkreuz. Der Kreis hat weder Anfang noch Ende und ist ein Symbol für das Unendliche. Das Grün der Tannennadeln symbolisiert die Lebenskraft, die roten Bänder das Blut, das früher als Träger der Seele galt. Die Zahl Vier - hier als vier Kerzen - steht nicht nur für die vier Jahreszeiten und die vier Himmelsrichtungen, sie ist auch ein Ganzheits-Symbol, ein Symbol der Vollständigkeit, denn sie verbindet die Drei (die göttliche Trinität) mit dem Irdischen. C. G. Jung sagte: "Die Vier symbolisiert die Teile, Qualitäten und Aspekte des Einen."
 
Wir erwarten also das Licht, christlich gesprochen: die Geburt Jesu, die von der Kirche auf den 24. Dezember, also die Wintersonnenwende, gelegt wurde. Aber ist das Licht nicht schon da, immer da gewesen, und wir sehen es nur nicht, weil es im Äußeren so dunkel ist? Dunkel in vielfacher Hinsicht, in der Jahreszeit und den Weltereignissen. 

In meiner Nachkriegskindheit lebten wir zu Dritt in einem einzigen Zimmer ohne Bad und Toilette. Wir hatten buchstäblich nichts - aber wir hatten jedes Jahr einen Adventskranz, den traditionellen aus Tannenzweigen mit roten Bändern. Ich erinnere mich an die Aufregung, die sich mit jeder weiteren angezündeten Kerze steigerte. Ich erwartete das "Christkind" mit einer Freude, zu der ich als Erwachsene nicht mehr fähig bin. Und als es dann "kam" am Heiligen Abend und eine Puppe brachte und einen Teller Süßigkeiten, stand ich ratlos vor den Dingen, die erstorbene Freude im Herzen, und fast immer begann ich zu weinen. Meine Mutter schimpfte und nannte mich undankbar, und zur verlorenen Freude kam jetzt auch noch das Schuldgefühl. Ich wusste, ohne es formulieren zu können, dass es hier nicht um Dankbarkeit ging. Aber worum ging es dann?
 
Meine Kindheitsenttäuschung hat mich gelehrt, dass es in allen Lebensbereichen immer um die Freude selbst geht. Eine erfüllte Freude reicht nie an das Gefühl heran, mit dem wir uns ihr Kommen ausgemalt haben. Wenn ich heute Abend die erste Kerze anzünde, weiß ich: Das Licht ist bereits da, es ist in mir, es äußert sich als tiefe Freude. Ich brauche keine Manifestation in Form von Dingen oder Ereignissen.
 
Dieser Moment, dieser Abend, diese Kerze: Das ist es bereits