Mann zu seiner Frau, vor der grünspanbeflockten und muffigen Mauer stehend: "Die Kerle mit den Spraydosen müssen einfach alles beschmutzen."
Nachdem die non-binäre Person Kim de l´Horizon den Deutschen Buchpreis erhalten hatte und auf Grund von Mord-Drohungen unter Personenschutz gestellt werden musste, veröffentlichte er/sie/es in der NZZ einen klugen Artikel, den man hier (klick) nachlesen kann. Kim de l`Horizon erzählt, wie er (ich erlaube mir, beim Maskulinum zu bleiben) auf einem U-Bahnsteig in Berlin von einem Mann zusammengeschlagen wurde mit den Worten "Normale Schwuchteln kann ich mittlerweile schlucken, aber du bist mir einfach zuviel", und fragt: "Was habe ich euch getan? Was, ihr um euch schlagenden Männer, seht ihr in mir, das euch dermaßen bedroht?"
Was wir sehen, wenn wir uns von einem Anblick bedroht fühlen, ist unsere eigene Konditionierung. Wir sehen oder hören etwas, das so noch nie dagewesen ist. Unsere Sinne sind aufgewühlt und wissen nicht, wie sie das Gesehene oder Gehörte einordnen sollen. Wir finden keine uns beruhigende Antwort darauf; die Antworten, die wir schon immer hatten, passen nicht zu der neuen Situation. Weil es uns buchstäblich die Sprache verschlagen hat (die entsprechende Sprache entsteht erst, wenn das Neue Gewohnheit geworden ist), schlagen wir zu. Mit Worten oder Fäusten.
In den 1960er Jahren wurden die Beatles berühmt, von deren Musik ich begeistert war. Meine Eltern hassten die "Pilzköpfe" auf den ersten Blick. Mein Stiefvater brüllte, dass diese Affen hinter Gitter gesperrt werden müssten, so behaart wie die seien, und drehte, um "Eleanor Rigby" zu übertönen, die Egerländer Musikanten auf. Heute sehe ich auf Fotos vier liebenswerte, nette Jungs, die inzwischen vermutlich jede Mutter gern zu Schwiegersöhnen hätte (also, verglichen mit Kim de l'Horizon, nehme ich an). Hier ist dasselbe geschehen wie in dem Mann, der auf dem Berliner U-Bahnsteig ausrief, dass er "normale Schwuchteln mittlerweile schlucken" könne: Aus dem verstörend Ungewohnten ist mit der Zeit so etwas wie Gewohnheit geworden. Der Geist ist in einem mühsamen Prozess und keineswegs freiwillig vom Leben umprogrammiert worden, sodass der Mensch sich nicht mehr bedroht fühlen muss.
Wir neigen alle dazu, unser Mögen oder Nichtmögen als Maßstab für unsere Antworten zu nehmen. Die ernüchternde Wahrheit ist: Für den großen Zusammenhang ist es völlig egal, ob etwas uns gefällt oder nicht. Wenn wir die Möglichkeit dazu haben, wählen wir für uns persönlich natürlich das, was wir mögen. Ich zum Beispiel esse lieber ein Gemüse-Curry als einen Schweinebraten. Also koche ich mir Gemüse-Curry. Aber auch unser Mögen und Nicht-Mögen sind nur Konditionierungen, die vom Leben allmählich und unausweichlich umprogrammiert werden.
Wohin des Wegs? Hängt ganz von Deinem Geist ab.
Im Magazin Ursache\Wirkung Nr. 119 mit dem Thema "Zukunft gestalten" schrieb ich über eine kleine alltägliche Begebenheit: "Kürzlich stand ich vor einem Schaufenster, neben mir ein älteres Paar, das sich über die Preise für die ausgestellte Mode erregte - in sächsischem Tonfall. In mir kochte Widerwillen hoch. Sächsisch! Ich wusste sofort, was diese Emotion ausgelöst hatte: Meine Eltern hatten aus einem mir unbekannten Grund eine Abneigung gegen Menschen aus Sachsen, die sie bei jeder Gelegenheit äußerten. In jenem Moment vor dem Schaufenster schlug also ein Erbe aus der Kindheit zu, aber ich erkannte die Ursache und konnte ruhig innerlich konstatieren: Ah, Sachsen. Ich hatte die Emotion im Augenblick ihres Entstehens abgefangen, bevor sie sich in meinem Geist zu einer kompletten Geschichte mit Meinungen, Urteilen und am Ende gar daraus folgenden Handlungen entwickeln konnte."
Wir dürfen uns keine Illusionen darüber machen, wie sehr wir alle konditioniert sind. Die Gegenwart enthält die Vergangenheit, und wenn wir das nicht hellwach beobachten, schleppen wir die Vergangenheit weiter in die Zukunft, die dann nicht neu sein wird, sondern eine Variante des immer Gleichen. Deshalb: Wachsam bleiben. Den Geist hüten.
Die Filmemacherin und Autorin Mo Asumang, deren respektvolle Art, Fragen zu stellen, ich sehr schätze, hat für 3Sat einen guten Film über Homophobie und Queerness-Feindlichkeit gedreht. Hier (klick) kann man ihn sehen.
ich habe einen Beitrag v.e.nonbinären Frau (optisch) gesehen.Ich habe damit kein Problem. Diese Frau allerdings wollte ihre Brüste nicht und sagt sie fühlt sich als Mann und morgen wieder als Frau. Kann es sein das diese Menschen oftmals ihre eigenen Ängste und Unsicherheiten nach außen projezieren?
AntwortenLöschenliebe Grüße Gitti
Wir sind alle eine Mischung aus männlichen und weiblichen Anteilen. Was uns verunsichert, sind doch die Vorstellungen der Gesellschaft darüber, was „weiblich“ und was „männlich“ sein soll. Nun gibt es zunehmend Menschen, die dieses Thema mit ihren Körpern, die sie keiner Norm unterwerfen wollen, nach außen tragen. Und dann merken viele, dass ihre Verunsicherung im anderen Körper nicht kleiner wird. Ich betrachte diese Menschen mit Respekt und wünsche ihnen, dass sie eine echte Antwort auf die Frage finden „Wer bin ich?“.
LöschenOft, dass wir uns fragen: warum sind sich so viele der 'Wahrheit' gewiss? Mehr noch: warum scheint sie manchen das Recht zu geben, Gewalt auszuüben (denn davon sind sie überzeugt: im Recht zu sein)? Andere - mit Schlägen, Tritten, Hieben - in ihre 'Schranken' zu verweisen.
AntwortenLöschenEin weites Feld ist es wohl, das weit über das Thema sexueller Orientierung hinausreicht. Manche Antwort aber, die haben Sie uns gegeben, danke dafür!
Die Rechthaberischen, die Hasser, die Gewalttätigen – sind sie nicht im Grunde voller Angst? Sie müssen ihre Wahrheit mit allen Mitteln verteidigen, sonst würde ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen werden. Nur die Starken in Geist und Herz wagen es, sich dem Dialog zu öffnen, Empathie zu zeigen, sich auf Fremdes einzulassen. Ist also unsere Gesellschaft eine der Angstvollen? Ich glaube, ja.
LöschenIch fürchte ... es auch. Aber mutlos wollen wir nicht werden.
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