Freitag, 20. August 2021

Die Erntemondin in dunkler Zeit



Ich bin erschüttert darüber, was in Afghanistan gerade geschieht. Über die Art und Weise, in der meine beiden Länder - Deutschland und die USA - sich aus Afghanistan zurückgezogen und ihre Helfer aus zwanzig Jahren, die einheimischen Ortskräfte, zurückgelassen haben. In einer Arte-Reportage hier (klick)  erfahre ich, dass die Bundeswehr bereits Ende Juni ihr deutsches Personal ausgeflogen hat - einschließlich 22.000 Litern Bier! Für die Fässer war Platz in den Maschinen. Wahed dagegen, der als Dolmetscher für die Bundeswehr gearbeitet hat, mehrmals nach Deutschland eingeladen wurde und mit Orden dekoriert ist, musste mit seiner Familie in Kabul untertauchen und sagt im Film: "Die Deutschen haben uns benutzt und werfen uns auf den Müll."

Diese Menschen haben meiner Regierung vertraut; ihr naives Vertrauen wurde brutal enttäuscht und hat sie in Lebensgefahr gebracht. 

Gerade geht hinter den Tannen im Nachbargarten der fast volle Mond auf, riesig und orangefarben. Der Erntemond, harvest moon, der Mond, der der Erde am nahesten ist. Vor fast dreißig Jahren war ich im August in Warschau, eingeladen als Referentin zu einer internationalen Konferenz von transpersonalen Psychotherapeuten. Als der volle Mond am nächtlichen Sommerhimmel aufstieg, stand ich auf einem großen Platz in einem Park und sang mit Hunderten anderen ein Lied für die Erntemondin, die Mutter aller Monde, in der Zeremonie, die eine indigene amerikanische Therapeutin leitete. 

Dreißig Jahre später stehe ich auf meinem Balkon in einer anderen Stadt in einem anderen Land, und die Mondin ist wieder da, ist immer noch da.

Die Ureinwohner Amerikas sagen: Remember, remember. Because everything forgotten returns to the circling wind.

Heute will ich mich an diese heiße Sommernacht in Warschau erinnern, als wir die Mondin anriefen in einem Land, das seine Grenzen gerade erst geöffnet hatte und noch gezeichnet war von Unfreiheit und Unterdrückung. Ich will mich daran erinnern, dass die Weltgeschichte überraschende Wendungen nehmen kann.


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