Samstag, 29. August 2015

Bergstille


Man muss früh auf dem Berg sein, dann ist man allein mit den Schmetterlingen und dem Wind. Allein mit der Stille. Von weither die Glocken der Kühe, sie stören die Stille nicht, im Gegenteil: Sie vertiefen sie. Im Dunst weit hinten Eiger, Mönch und Jungfrau. Nur der Montblanc, den man an klaren Tagen angeblich sehen kann, hat sich eine Nebelkapuze übergezogen.

Ich sitze auf der einzigen Bank. Hinter mir Schritte, ein Mann. Er setzt sich neben mich, es gibt ja nur eine Bank. Zerfurchtes sonnengeledertes Gesicht, Socken, die nur noch Fersen, keine Zehen mehr haben. Ein unendlich schmutziger Rucksack. Nun ist für eine, die eine Eremitenseele hat, ein Mann in der Bergstille eine Prüfung. Männer (auch Frauen) beginnen in solchen Momenten gern ein Gespräch. Man hat ja gelernt, da unten in der Zivilisation der Städte, dass man sich nicht einfach stumm neben jemanden auf eine Bank setzen kann. Da muss man ein wenig plaudern, ein kleines Band aus Worten knüpfen, und das mit allerlei Absichten. (Man will höflich/freundlich/interessiert erscheinen, ist neugierig, wünscht sich was, denkt sich was aus.)

Der Mann mit den zehenlosen Socken sitzt neben mir und schweigt. Es ist ein völlig ruhiges Schweigen von einem, der das kann. Ein Schweigen wie dieses muss man lange geübt haben. Es bleibt ganz bei sich, greift nicht unsichtbar mit energetischen Haken nach der anderen da auf der Bank. Es schickt auch keine Gedankenwellen aus. Der Mann schweigt, wie Wildtiere schweigen, die noch mit dem Urgrund der Stille verbunden sind.

Der Wind weht, die Kuhglocken läuten, die Sonne steigt und ist heiß. Irgendwann steht der Mann auf, ergreift seinen Rucksack und geht. Grußlos. Still.

2 Kommentare:

  1. Schön, die Stille aus diesem Text hat sich auf mich übertragen...
    Vielen Dank,
    Helga

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