Samstag, 19. April 2014

Achtsamkeit 2.0


Die Manager der IT-Branche in den USA haben das Thema Achtsamkeit entdeckt. Von mindfulness versprechen sich die Konzerne viel - bessere Konzentration ihrer Mitarbeiter, die deshalb bessere und besser verkäufliche Arbeit abliefern sollen. Da ich weiß, dass Achtsamkeits-Praxis wirkt, bin ich besorgt: Wird jetzt eine ehrenwerte, fast 2600 Jahre alte Praxis missbraucht für kommerzielle Zwecke?

Evan Williams, der Mitgründer von Twitter und einer der reichsten Männer der USA, hat vor einiger Zeit angefangen zu meditieren. Kürzlich - erzählte er auf einer Konferenz - fand er sich auf einem Spaziergang durch San Francisco wieder, in der Tasche sein ausgeschaltetes Smartphone. Mr. Williams, dessen Blick durch das Sitzen auf dem Kissen klarer geworden war, erkannte, dass dieser Gang durch die Stadt ihm ungeahnte Wahrnehmungen verschaffte: "Ich konnte mich umschauen und über allerlei nachdenken", sagte er. "Vor einem Jahr hätte das noch einen Strom von Ängsten in mir ausgelöst." Ein Konferenzteilnehmer fragte Evan Williams daraufhin, ob er vorhätte, das Experiment zu wiederholen. "Sicher nicht, denn das war keine Absicht", sagte Williams. "Der Akku meines Smartphones war kaputt."

Unsere allseits geliebte Suchmaschine Google hat für ihre Mitarbeiter einen 7-Wochen-Kurs namens "Search inside yourself" ausgeschrieben, in dem Achtsamkeit gelehrt wird. Der Kurs war innerhalb von 30 Sekunden ausgebucht. Aber weil es für Top-Manager unmöglich ist, auch nur zehn Minuten auf dem Kissen auszuhalten, gibt es inzwischen eine meditation app namens "Get some headspace", also etwa: "Mach deinen Kopf frei". Der Programmierer ist davon überzeugt, dass sie ein großer Erfolg wird: "Du kannst damit meditieren, ohne dich komisch zu fühlen", sagt er. "You just press 'play' and chill out." Du drückst einfach einen Knopf und entspannst.

Aber auch einen Knopf zu drücken, ist für Top-Top-Manager zu viel. Die ultimative Lösung für derart gestresste Meditierer fand der Chef des Google-Kurses Chade-Meng Tan: "Eigentlich", sagt er, "genügt ein einziger achtsamer Atemzug am Tag, um inneren Frieden zu finden."

Sie wissen nicht, dass im Buddhismus Achtsamkeit nur zusammen mit Ethik gelehrt wird. Achtsamkeit selbst ist ohne Inhalt, sie ist die reine Präsenz und das volle Gewahrsein im Augenblick. Erst die durch das Studium der Lehre gelernte und in vielen alltäglichen Herausforderungen vertiefte Ethik erschafft eine Ausrichtung, der Achtsamkeit dann zur Verwirklichung verhilft.

Achtsamkeit kann für alles missbraucht werden; das hat sich im 2. Weltkrieg gezeigt, als japanische Zen-Meister sich für den Krieg begeisterten. Twitter, Google, Apple und so weiter sind harmloser: Sie wollen die Mühe der eigenen Praxis nur an eine Maschine delegieren und haben das Wesen von Zeit nicht begriffen. Sie wollen einen kurzen Spaziergang und ein paar Atemzüge einzahlen auf ein Achtsamkeitskonto, von dem sie, wenn der Moment es erfordert, die entsprechende Menge abheben möchten. Aber es gibt nur diesen einen Augenblick, und diesen, und diesen. Und diesen einen Atemzug, und diesen, und diesen. Achtsamkeit kann nur hier und jetzt praktiziert werden. Immer wieder. Immer aufs Neue.

Wer sich dieser Praxis mit ganzem Herzen widmet, wird von ihr verändert. Und die innere Stille, der neue klare Blick und die tiefe Einsicht führen möglicherweise dazu, dass grenzenloses Wachstum und  Konsum nicht mehr attraktiv sind - und dann kommt dem hoch dotierten IT-Manager vielleicht die Idee, aus dem ganzen Wahnsinn auszusteigen ....

2 Kommentare:

  1. Hallo Frau Irgang,
    muss man denn so viel davon zu erwarten und Achtsamkeit zu etwas so exklusivem machen? Wichtig ist doch, dass sich die Menschen weniger gestresst und glücklich fühlen. Früher nannte man das Meditation, heute Achtsamkeit. Daher halte ich die Ansätze der Firmen für eine sehr gute Sache.
    LG, Volker

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    1. Diese Firmen wollen nicht den Mitarbeitern etwas Gutes tun, sondern sich selbst: Ein nicht-gestresster Mitarbeiter hat bessere Ideen, die sich besser vermarkten lassen. Der Buddha sprach von "Rechter Achtsamkeit", und die erfordert eine dezidierte Ethik. Schauen Sie mal, wozu sich die Schüler von Thich Nhat Hanh verpflichten: http://www.intersein.de/14%20Achtsamkeitsuebungen%20-%202012.dt.pdf

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