Dienstag, 24. Dezember 2013

Stille Nacht

Foto: Almut Bieber www.pixelio.de

Über dem Schwarzwald zieht die Nacht auf, erste Sterne sind zu sehen. Die Geschäfte sind geschlossen, die Weihnachtsmarktbuden verriegelt. Der Schulhof mit dem großen Weihnachtsbaum ist verlassen. Ein paar Autos fahren noch rasch nach Hause; ein junges Mädchen mit einem Paket unterm Arm überquert die Straße. Die Nachbarin führt ihren Hund vors Haus; auf das Feld darf er an diesem Abend nicht, heute muss der Baum genügen. Dann schließt auch sie ihre Tür. Die Straßen sind leer. In den Häusern werden die Kerzen entzündet.

Das ist der Moment, in dem die Stille kommt.

Sie steigt aus den Gärten, sie schwebt vom Himmel, sie dehnt sich aus und wird ganz weit und groß. Jetzt und hier darf sie ungestört bei sich sein. Die Stille ist das Wunder dieser Nacht.

Eine Frau, warm eingewickelt in Mantel und Mütze, geht langsam durch die Straßen, absichtslos, ziellos. Sie ist ganz bei sich, und eben deshalb verbunden mit denen, die hinter den Fenstern im Kerzenschein sitzen. Sie geht, von Stille eingehüllt, durch das Wunder dieser Nacht, ein glücklicher Mensch.

Ich wünsche auch Ihnen das Glück, einem Wunder zu begegnen.

Freitag, 20. Dezember 2013

O Tannenbaum


Vor langer Zeit hast du dich geopfert, um Papier entstehen zu lassen, aus dem ein Buch geworden ist. Jetzt hat sich das Buch zurückverwandelt in einen Baum.

Bevor ich nun empörte E-Mails bekomme wegen meines brutalen Umgangs mit Büchern, hier mein Gedanke dazu: Das Buch ist nur die Erscheinungsform des Geistes, der den Autor und die Autorin beseelt. Und der Baum ist nur die Erscheinungsform des Geistes ...  ?

Vielleicht hat die Frage was mit Weihnachten zu tun.

Die Anleitung zum Falten des Buchbaumes finden Sie hier. Ein guter Rat zum Schluss: Nehmen Sie für Ihren Baum kein Buch von mir. Meine Bücher sind dafür nicht dick genug.

Dienstag, 10. Dezember 2013

Begegnung mit Maha Ghosananda

Foto: Cambodian Wikipedia, Samnang
Ich begegnete ihm an einem Novemberabend in Warschau im Jahr 1993. Er saß zwischen dreißig Zuhörern auf dem Boden, die Beine in Lotosposition gefaltet, ein federleichtes Lächeln in den Augen, und sagte ganz schlichte Sätze: „Wenn du Frieden schaffen willst, beginne damit in deinem Herzen. Sorge gut für dich selbst, liebe dich selbst.“

Sie machten dann eine Pause, und Maha Ghosananda winkte mich, die einzige Deutsche im Raum, herüber. Zögernd stand ich auf und ging auf ihn zu. Er lächelte und bedeutete mir, mich zu setzen. „Deutschland ist ein wichtiges Land“, sagte er. „Deutschland hat spirituelle Kraft.“ „Aber wir lieben uns nicht“, sagte ich. Er nickte und sah in sich hinein. Er schwieg. Ich schwieg. Wir saßen in unserem Kreis aus Stille, und ich dachte an mein Land, dessen Menschen sich nicht lieben können, weil die Scham über ihre Vergangenheit sie nicht loslässt.

Erst Monate später, als ich wieder in Deutschland war, recherchierte ich und fand heraus, wem ich da einen Abend lang in kleinstem Kreis gegenübergesessen hatte. Samdech Preah Maha Ghosananda, geboren in Kambodscha, war einer der brillantesten Mönchs-Gelehrten seines Landes. Er lebte im thailändischen Klosterexil, während die Roten Khmer seine gesamte Familie ermordeten. Später kehrte er in sein Land zurück und führte 1992 den ersten Friedensmarsch in Kambodscha an. Kurz nach seiner Rückkehr überreichte er jedem, den er traf, mit einer Verbeugung einen Zettel mit den Sätzen des Buddha: „Hass wird nicht durch Hass besiegt. Hass wird durch Liebe besiegt. Dies ist ein ewiges Gesetz.“

Dieser große kleine Mann, den kennenzulernen ich die Ehre hatte, starb 2007. Maha bedeutet übrigens „großer freudvoller Verkünder“.

(Mehr über Maha Ghosananda und meine Arbeit in Warschau in meinem Buch „Leuchtende Stille“, Herder Verlag, ISBN 978-3-451-30732-4)