Meine Balkonbepflanzung. Hat sich selbst dort hingesetzt. (Bisschen wenig für vierzehn Quadratmeter.)
Ich denke in der Zeit der Gaben und üppigen Büfetts über das Zuwenig nach. Nicht über den Mangel auf irgendeinem Gebiet, der dringend behoben werden muss. Sondern über das Zuwenig, das in unserer Gesellschaft nicht vorgesehen ist.
Vor ein paar Jahren kam ich in den Keller und sah, dass allen Mietern unaufgefordert digitale Stromzähler eingebaut worden waren. Nur mir nicht. Ich rief den örtlichen Netzbetreiber an und erkundigte mich nach dem Grund. Ich erfuhr, dass die Zähler nach dem Stromverbrauch eingebaut werden, in der Reihenfolge von viel nach wenig. Die Letzten werden so ungefähr 2032 drankommen. Die Mitarbeiterin am Telefon kühl: "Sie verbrauchen zu wenig Strom."
Bei der Inspektion vor dem TÜV entdeckte meine Werkstatt, dass meine Bremsen durchgerostet waren. Es wurde sehr teuer. Ich fragte, wie das passieren konnte. Die Mitarbeiterin bedauernd: "Bremsen müssen gebremst werden. Und Sie fahren zu wenig."
Ich habe mir einen Füllfederhalter gekauft. Ich mag seine Sensibilität, das feine Gleiten auf dem Papier, und man muss sehr viel aufmerksamer und langsamer schreiben als mit einem Filzstift. Aber mein Füller verstopfte dauernd und kratzte, anstatt zu gleiten. Ich brachte ihn in den Laden zurück und sagte, ich sei mit ihm nicht glücklich. Die Verkäuferin probierte ihn aus und fand, er sei noch gar nicht richtig eingeschrieben: "Sie schreiben zu wenig."
Im Supermarkt stehe ich ratlos vor den Riesenpackungen, die relativ gesehen viel billiger sind als die kleinen. Im Kühlschrank welkt und schrumpelt regelmäßig etwas vor sich hin, das ich notgedrungen mitnehmen musste, weil es in kleinerer Form nicht zu haben war. Ich bin dankbar für die Erfindung, Reste durch Einfrieren in einem halbwegs essbaren Zustand zu erhalten, zur späteren Verwendung. Mein Tiefkühlfach aber ist voll. Neulich verlangte ich an der Käsetheke drei Schreiben Emmentaler. Die Verkäuferin sah mich an und wiederholte ungläubig: "Drei?" (Ich esse zu wenig.)
Vor ein paar Monaten brauchte ich kurzzeitig Ibuprofen. Ich bat den Orthopäden um die Verschreibung einer kleinen Packung der geringsten Dosis, so 20 Stück. Er sagte, er würde mir die Großpackung mit 60 Stück aufschreiben, denn die sei billiger als die kleine. Nicht relativ, sondern ganz konkret. Ich brauchte fünf Stück, die ich auch noch halbierte. Der Rest altert im Schrank vor sich hin.
Unsere Gesellschaft ist auf das Viel eingerichtet, und mein Zuwenig ragt in die allgemeine Überfülle wie ein Hindernis, wird selten begriffen und kaum unterstützt. Die Dinge müssen permanent gebraucht und die Lebensmittel schnell verbraucht werden.
Der Buddhismus kennt die "hungrigen Geister", die einen aufgeblähten Kopf und einen ganz schmalen Hals haben, der kaum Nahrung hindurchlässt. Deshalb schreien sie pausenlos nach dem Mehr, und das Zuwenig ist ein solch hungriger Geist. Es sitzt, unsichtbar, klein und (denke ich mir) grau in unseren Köpfen und flüstert heiser: Nimm die XXL-Packung, sicher ist sicher. Sei eine gute Verbraucherin, nimm das Sonderangebot mit, es ist extra für dich dort aufgebaut. Und gebrauche die so zahlreich, weil günstig, erworbenen Dinge unablässig, halte sie an dein Ohr, nimm sie in die Hand, schiebe sie vor dir her. Schneller! Öfter! Mehr!
Im Weihnachtsstress stolpern die Menschen an mir vorbei, pralle Tüten in den Händen. Vielleicht sind die Tüten so voll, weil sie automatisch und aus Gewohnheit die Doppel- und Dreifachpackungen genommen und sich ausgerechnet haben, wie viel man da doch spart gegenüber der Einzelpackung, die sie eigentlich brauchen. Ich stehe an der Straßenecke und greife besinnlich in meine Tüte mit den gebrannten Mandeln (100 Gramm, die klassischen). Ein Mehr an Konsum will mir zur Zeit nicht gelingen.
(Ich darf nur in keine Buchhandlung gehen.)
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