Sonntag, 27. Juli 2025

Straßenkind

 

 

In einem öffentlichen Bücherregal habe ich ein Buch von mir gefunden. 

Jemand hat das also gelesen und nicht in die Papiertonne geworfen, weil die Person fand, dieses Buch sollten auch andere Menschen lesen. Das ist sehr nett und nicht selbstverständlich. Trotzdem war ich etwas erschrocken. Dem Autor Frank Berzbach ist das auch mal passiert. Er schreibt treffend: "Auf die eigenen Bücher zu stoßen, zufällig, erinnert daran, was man überhaupt macht, wenn man schreibt. Da geistern Objekte mit Herzblut durch die Welt, deren Wege man nicht steuert. Menschen, die man noch nie gesehen hat, kennen einen."

Ich habe impulsiv zugegriffen und mein Buch mitgenommen.

Jetzt denke ich darüber nach, warum ich das getan habe. Ich habe einen vernünftigen Grund dafür: Meine Bücher sind alle vergriffen; wenn eins im Antiquariat angeboten wird, kaufe ich es. Ganz klar, dass ich dieses nicht stehenlassen konnte. Aber die Erklärung bleibt an der Oberfläche. Die Wahrheit liegt, wie immer, in den Gefühlen.

Mein Buch dort zu sehen war, als würde mein Kind allein in einer Menschenmenge stehen. Ich dachte: Was sind das für seltsame Leute, von denen es umgeben ist, wie ist es unter die geraten? Die kenne ich alle nicht. Dort kann es ihm nicht gutgehen. Wie die meisten Mütter wünsche ich für mein Kind die passende Umgebung, in der es strahlen und seine Vorzüge zur Geltung bringen kann. Zum Beispiel auf dem Tisch mit dem Schild "Besondere Empfehlungen" in einer guten Buchhandlung. 

Eingezwängt zwischen Bücher, von denen ich nicht eins lesen wollte, stand mein Kind in seiner Aura der Verlorenheit herum. Mein Kind ist kein Straßenkind. 

Also nahm ich es an die Hand und brachte es nach Hause. 

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2 Kommentare:

  1. Liebe Frau Irgang,
    ich gehöre zu den Menschen, die kaum an einem offenen Bücherregal vorbeigehen können, ohne darin nach Schätzen zu stöbern. Hätte ich Ihr Buch auf diese Weise gefunden, ich hätte es ganz sicher mitgenommen und mich sehr darüber gefreut. Vermutlich gibt es noch andere wertschätzende Lese-Menschen, die es genauso halten und offene Bücherregale als nachhaltige Quelle geteilten Lesegenusses nutzen, auch wenn man sich dafür durch etliche Reihen Trivial- oder "NoGo"-Literatur wühlen muss. Ich möchte aber auch hinzufügen, dass ich die von Ihnen verfassten Bücher, die in meinem Besitz sind und die ich einst als zahlende Kundin auf dem freien Markt erwarb, niemals "als Straßenkind aussetzen" würde, da ich immer wieder gerne in Ihnen lese und sie als unterstützende Inspiration sehr schätze. Eher noch würde ich sie persönlich verschenken.
    Also in diesem Sinne ein herzliches Danke für Ihre schreibkunstvoll verfassten Gedanken und Impulse!
    Achtungsvolle Grüße an Sie von
    Maria

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    1. Wie schön, dass meine Bücher bei Ihnen in guten Händen sind.

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