Donnerstag, 11. September 2025

Erhaltet die Lesekultur!

 

Sieht man schon von Weitem: unseren Bücherturm


Spoiler: Dies wird, aus gegebenem Anlass, ein einseitiger, parteiischer Beitrag zum Erhalt der Lesekultur. 

Ich lebe in einem hübschen Vorort von Freiburg, der eine eigenständige Gemeinde ist; Freunde von mir bezeichnen ihn als "Schlafstadt". Wir haben kein Kino, kein Theater, keinen Musiksaal, kein Schwimmbad. Aber wir haben eine fabelhafte Bücherei. Mit einem Bibliothekar, der sich auskennt und uns erlaubt, Anschaffungsvorschläge zu machen. Mit mir hat er in gewisser Weise Pech, denn auch ich kenne mich aus (und bekomme fast alle von mir vorgeschlagenen Bücher 😉). Dann sind da noch zwei sehr nette Damen, die im Mini-Job die Ausleihe managen. Die Bücherei ist hell und luftig, es gibt Sessel zum Verweilen, Magazine zum Lesen und Ausleihen, DVDs und eine Kaffee-Maschine. Für die Kinder Lesungen und Spiele-Nachmittage. Muss ich erwähnen, dass es meistens proppenvoll ist, mit Kleinen und Großen?

Ein Erfolgs-Modell, unsere Bücherei. Aber die Gemeinde hat, wie alle Kommunen, ein Geldproblem. Es fehlen jährlich anscheinend über zwei Millionen. Weil in der Gemeindeverwaltung niemand Erfahrung hat mit der Einsparung einer solch großen Summe, wurde ein externer Berater engagiert. Der schaute sich sämtliche Posten an, und wie Volkswirte das so tun, rein nach wirtschaftlichen Erwägungen. Er sprach die Empfehlung aus, die Kita-Gebühren zu erhöhen, die Zuschüsse für Vereine zu streichen und die Bücherei zu schließen.

Große Empörung auf allen Seiten. Wir Leserinnen und Leser waren die Ersten, die eine Petition starteten zum Erhalt der Bücherei. Ich war die sechste Unterzeichnerin, binnen drei Tagen waren es an die vierhundert. Die Kita-Eltern waren die nächsten; ihre Petition mit QR-Code hängt an allen Bushaltestellen. Ich kenne niemanden, der in einem Verein ist; dort wird es auf ähnliche Weise gären. 

Jetzt stelle ich überrascht fest, dass unsere kleine Lese-Oase Wut und Neid weckt. Mitgehörtes Gespräch zweier erregter Väter im Supermarkt: "Die sollen die Kita-Gebühren in Ruhe lassen und die Bücherei schließen!" Liebe Väter, eure Kita-Kinder kommen irgendwann ins Lese-Alter. Wenn ihr eine Leseratte zu Hause habt, wird das Kind euch arm lesen. Spätestens dann werdet ihr die Bücherei als Segen empfinden. Und habe ich nicht neulich erst gehört, dass die Kinder immer weniger Sprachkompetenz haben und Schulen sich den Kopf zerbrechen, wie man die Kleinen ans Lesen heranführen kann?

Oh doch, ich verstehe euch alle. Jeder von uns hat seine und ihre Prioritäten; wir möchten, dass alles so bleibt wie bisher (oder besser noch viel besser wird). Das wird aber in keinem Bereich funktionieren, also brauchen wir uns nicht gegenseitig in die Fördertöpfe zu spucken.

Bei einer der jetzt üblichen Diskussionen vor Ort schlug ich vor, die Benutzergebühren zu verdoppeln. Eine Frau, die vier Bücher im Arm hatte, schmollte: Das sei ihr zu teuer. Da würde sie austreten. Diese Frau zahlt jedes Jahr zehn Euro für unbegrenzte Lektüre, und falls sie eine Familie oder auch nur einen Ehemann hat, zahlen die alle zusammen ebenfalls nur zehn Euro. In meiner Kindheit kostete die Ausleihe jedes Buches zehn Pfennig, und weil ich lesesüchtig war und von meiner Mutter in der Woche nur dreißig Pfennig für die Bücherei bekam, wählte ich meine Bücher konsequent nach ihrer Dicke aus, egal, was drinstand. Wichtig war nur, dass ich nicht plötzlich am Wochenende ohne Lesestoff dasaß.

Wie viel ist uns der Erhalt unserer Kultur wert? Wissen wir die Angebote vor Ort noch zu schätzen? All die Bibliotheken, Museen, Konzertsäle, die samt und sonders subventioniert werden müssen, denn unsere Eintrittsgelder und Gebühren sind nicht mehr als ein symbolischer Beitrag. 

Inzwischen gibt es eine überarbeitete Version des ersten Vorschlags. Sie enthält die "Option 4" unter der Überschrift "Diese Maßnahmen wurden auf Grund ihrer Sensibilität unter der Prämisse der haushaltswirtschaftlichen Notwendigkeit geprüft": "Anpassung der Kita-Öffnungszeiten, Stilllegung Kühlzelle in zwei Leichen- und Trauerhallen und Reduzierung des Budgets der Bücherei um 20 %". 

Ich drängte den Bibliothekar, doch nun wirklich die Benutzergebühren zu erhöhen. Er schaute mich nachsichtig an. "Sie werden erhöht", sagte er. "Aber die Erhöhung kommt uns nicht zugute, die geht in den allgemeinen Schuldentopf."

Wer Bücher liest, ist kreativ. Der und dem fällt was ein. Die und der lässt sich nicht einfach so 20 % Lesefreude wegnehmen. Kommt nicht in Frage. Der kreative Vorschlag ist schon da: Wir gründen einen Freundeskreis mit Mitgliedsbeitrag und bieten Veranstaltungen an, deren Einnahmen wir der Bücherei spenden. 

Unserer Bücherei.

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Mittwoch, 3. September 2025

Zu Gast im Podcast "Let's Talk Why"

"Symbolbild": Diesmal saß ich nicht im Studio, aber das Equipment war ähnlich aufwendig.


Vor einem Jahr waren die Hosts des Podcasts "Let's Talk Why" - Alessandro Limentani und Christoph Engel - bei mir in Freiburg und haben mich zu meinem Schreiben und dem Zen befragt. Es war ein extrem heißer Augusttag in meiner Dachwohnung; nicht die erfrischendsten Bedingungen also. Ich bin ja keine Plauderin, und Schweigen ist meine liebste Daseinsform, aber dann habe ich doch mehr als eine Stunde lang so allerlei gesagt.

Vielleicht magst Du es Dir anhören? Es gibt vorher zwanzig Minuten eine Art Warm Up unter dem Titel "Behind the Mic", in dem wir uns in das Gespräch hineintasten. Auf youtube findest Du diesen Teil des Podcasts hier (klick).    Auf Spotify hier (klick).




Das Video führt Dich zu dem Gespräch selbst auf youtube. "Zwischen Sprache und Schweigen" haben es die beiden Hosts genannt. Für alle, bei denen die youtube-Videos nicht angezeigt werden: hier entlang (klick). Und auf Spotify findest Du das Gespräch hier (klick).

Ich hoffe, es macht Dir Spaß, uns zuzuhören. 

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Donnerstag, 28. August 2025

Jiddu Krishnamurti "Einbruch in die Freiheit"

 



Im Speisesaal des Intersein-Zentrums hängt seit Jahren an einer Säule ein handschriftlicher Zettel mit einem Zitat von Jiddu Krishnamurti: "Mein Geheimnis ist: Ich habe nichts gegen das, was geschieht." Das ist ein Lieblings-Satz von Helga Riedl. Bei meiner letzten Retreat-Gruppe erregte der Zettel auf einmal Aufmerksamkeit und wurde lebhaft diskutiert. Wie, ich soll nichts dagegen haben, dass Russland die Ukraine bombardiert, dass im Gaza-Streifen die Menschen verhungern? Das ist doch komplette Ignoranz, esoterisches Geschwafel, das ist Gleichgültigkeit gegenüber den brennenden Problemen in der Welt, gegen die wir etwas unternehmen müssen.

Nun führt ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat ja oft zu Missverständnissen. Ich weiß auch nicht, in welchem Kontext Krishnamurti das gesagt hat; allerdings habe ich zwei Jahre seine Sommerschule in Saanen in der Schweiz besucht und kenne ihn gut genug, um ein wenig Klarheit in die Aussage zu bringen. Krishnamurti war der revolutionärste, kompromissloseste Geist, dem ich je begegnet bin. Ich halte ihn bis heute für meinen wichtigsten, meinen eigentlichen Lehrer.

In allen spirituellen Schulungen - auch in der von Thich Nhat Hanh - steht vor dem Tun das Sein. Denn solange unsere Handlungen von einem aufgewühlten, unbefriedeten und konditionierten Geist gesteuert werden, der blind auf äußere Reize reagiert, tragen sie nicht zu Lösungen und zum Frieden des Ganzen bei. Da lesen wir morgens die Zeitung, schauen abends die Tagesschau, sehen Gewalt, Ungerechtigkeit, Katastrophen in jeder Form und auf jedem Gebiet und suchen empört dafür die Schuldigen im Außen. So bleibt das Geschehen auf der intellektuellen Ebene hängen, wo wir es in sicherer Distanz halten, und erreicht nicht unser Gefühl.

Krishnamurti machte dazu schon in den 1970er Jahren eine klare Aussage: "Jeder von uns ist für jeden Krieg verantwortlich, denn unser Leben ist voller Aggressivität; wir haben unseren Nationalismus, wir sind voller Selbstsucht, haben unsere Götter, unsere Vorurteile, unsere Ideale - und das alles trennt uns voneinander. Und nur, wenn wir klar erkennen - nicht intellektuell, sondern so wirklich, wie wir unseren Hunger oder unsere Schmerzen empfinden -, dass Sie und ich für das bestehende Chaos verantwortlich sind, für das Elend in der ganzen Welt - denn wir haben durch unser tägliches Leben dazu beigetragen und sind Teil dieser monströsen Gesellschaft mit ihren Kriegen, Einteilungen, ihrer Hässlichkeit, Brutalität und Gier -, nur dann werden wir wirklich handeln."

Erst wenn wir mit Bestürzung erkennen, wie gewalttätig wir selbst in Gedanken und Worten sind - am Küchentisch mit unseren Familien, im Kollegenkreis, in der Nachbarschaft -, erst dann beginnen wir zu ahnen, dass wir das Ganze falsch angegangen sind. Wir ziehen unsere Vorwürfe gegen "die da oben, das da draußen" total zurück. Wir sagen: "Ich habe nichts gegen das, was geschieht", weil wir wissen: Das wahre Problem ist mein eigener verwirrter und konditionierter Geist. Ich mache das Äußere nicht mehr verantwortlich für meine Wut, meine Aggression, meine Resignation - und auch nicht für mein Gefühl der Hilflosigkeit. Das ist der Sinn jeder spirituellen Schulung und alles andere als esoterisches Geschwafel: Es ist anspruchsvollste innere Arbeit, die nicht immer angenehm ist. 

Jiddu Krishnamurti sagte: "Jeden Tag sehen oder lesen wir von schrecklichen Dingen, die in der Welt als Auswirkungen menschlicher Gewalttätigkeit geschehen. Sie mögen sagen, 'Ich kann dagegen nichts tun' oder 'Wie kann ich die Welt beeinflussen'. Ich glaube, dass Sie die Welt ungeheuer beeinflussen können, wenn Sie innerlich nicht gewalttätig sind, wenn Sie täglich wirklich ein friedvolles Leben führen, ein Leben, das ohne Wettkampf, Ehrgeiz, Neid ist, ein Leben, das keine Feindschaft erzeugt. Kleine Flammen können zum lodernden Feuer werden."

Es ging Krishnamurti nie um ein bisschen "Achtsamkeit". Es ging ihm um das Erwachen zu unserem Wahren Wesen, um ein Leben, das radikal frei ist von allen Konditionierungen, Überzeugungen und Vorstellungen. Das Buch, aus dem ich zitiert habe, heißt "Einbruch in die Freiheit", und ich empfehle es allen, die das Denken von Krishnamurti kennenlernen wollen. Ein dünnes Taschenbuch, nicht teuer - und eigentlich braucht man nach dem Lesen kein weiteres Buch über Spiritualität. 


(Werbung) Wenn ihr online bestellen wollt, empfehle ich euch den gemeinwohlbilanzierten sozialen Buchversand Buch7, der soziale, kulturelle und ökologische Projekte unterstützt. Ihr werdet schnell und versandkostenfrei beliefert, und ich erhalte eine (sehr kleine) Provision dafür. "Einbruch in die Freiheit" - ein Taschenbuch für 11 EUR - bestellen hier (klick). 

 
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Freitag, 22. August 2025

Wim Wenders


Ich gehe so gut wie nie ins Kino - aber die Filme von Wim Wenders habe ich alle gesehen. Denn Wim Wenders ist für mich eine große Inspiration - seine Bildsprache, der Einsatz des Lichts, die hinreißende Musik (Ry Cooder!), aber auch seine Persönlichkeit. Seine Aufrichtigkeit, seine Zurückhaltung, seine Genauigkeit sind das, was seine Filme prägt. Er schreibt vorab kein Drehbuch - er nimmt auf, was der Augenblick und seine Schauspieler ihm präsentieren und entwickelt es weiter. Deshalb ist jede Szene so lebendig. 

Jetzt, zu Ehren seines 80. Geburtstags, habe ich mich noch einmal durch die Beiträge über ihn in den Mediatheken geschaut. Zum ersten Mal ist mir aufgefallen, dass die Geschichten von Wenders nur von Männern handeln. Frauen kommen irgendwo am Rand vor; allerdings sind oft Kinder zu sehen. Dennoch sind mir diese schweigsamen, durch weite öde Landschaften gehenden Männer sehr nah. Ich sehe in ihnen nicht in erster Linie den "Mann", sondern eher den Archetyp des Wanderers und Suchers. 

Warum aber gibt es in Film und Literatur noch kein weibliches Pendant dazu? Kennt ihr so etwas - die schweigsame, autonome und ganz und gar selbstgenügsame Wanderin durch weite Landschaften? Schreibt gern einen Kommentar dazu.

Ich habe euch ein paar Links zusammengestellt. Im Sommernachtskino in Freiburg sitzen sie mit Regenjacke und Schirm, Schwimmbad und Tennisplatz sind keine Option, aber Wendersgucken geht.

Besonders empfehle ich euch die obige Dokumentation auf arte. Für alle, bei denen die Videos nicht eingebettet werden: hier (klick)

Es gibt auch eine längere Dokumentation in der ARD-Mediathek, "Desperado", die findet ihr hier (klick).

Vielleicht noch einmal den Film "'Paris, Texas" sehen? Hier (klick).

Oder "Der amerikanische Freund"? Hier (klick).

Aber doch sicher "Der Himmel über Berlin" mit Bruno Ganz als Engel, der so gerne ein Mensch werden möchte. "Der Himmel über Berlin" schauen hier (klick).

Wim Wenders sagte einmal, bei seinen Dokumentarfilmen fühle er sich freier, dort könne er machen, was er wolle. Ich empfehle "Das Salz der Erde" über den großartigen Fotografen Sebastiao Salgado hier (klick).

Mit den monumentalen Bildern des Malers Anselm Kiefer habe ich Probleme, und die haben sich eher noch verstärkt nach dem Ansehen der Dokumentation über ihn. Wie geht es euch mit Kiefer? "Das Rauschen der Zeit" könnt ihr sehen auf Arte hier (klick).

Sehr schön finde ich dagegen den Film über die Arbeit der Choreografin Pina Bausch hier (klick).

 


Kennt ihr den Video-Podcast "Hotel Matze"? Matze Hielscher führt mit seinen Gästen wirklich fundierte, tiefe Gespräche. Dennoch ist mir das Format immer zu lang: Irgendwann fängt jeder Gast nach meiner Meinung an zu schwafeln. Über zwei Stunden Wesentliches zu reden liegt nicht jedem. Es gibt nur zwei Gespräche, die ich bis zum Ende gehört habe - die mit Wim Wenders. Ich verlinke euch den zweiten Teil "Was bedeutet es, ein Künstler zu sein?", weil er im ersten Teil - den findet ihr auch auf youtube - ziemlich nervös ist. "Was bedeutet es, ein Künstler zu sein?" hier (klick).  

So, das ist inspirierender Stoff für die Augen, die Ohren, die Sinne und den Geist für viele Regentage.

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Samstag, 16. August 2025

Dein schöpferisches Potenzial

 


Wir Menschen erschaffen ja pausenlos irgendetwas. Nicht nur im Tun - wir erschaffen mit unseren Gedanken und Gefühlen die Atmosphäre, die unsere Begegnungen mit Menschen, Tieren und Pflanzen bestimmt. An allem, was in uns und um uns herum geschieht, sind wir auf direkte oder subtile Weise beteiligt. Wir tun dies zumeist unbewusst, und deshalb sind wir mit dem Ergebnis oft so unzufrieden. Wir fragen uns, warum uns bestimmte Dinge immer wieder passieren oder wie wir in diese Situation, die uns unangenehm ist, geraten sind. 

 

Wenn wir bewusst leben, können wir unser schöpferisches Potenzial klug einsetzen. Und dafür müssen wir wissen, wie wir dieses Potenzial berühren und ausdrücken können. Ein wunderbarer Zugang dazu ist die genaue Wahrnehmung. Wenn Du die Welt um Dich herum wirklich in ihren Details anschaust, öffnet sich für Dich eine Tür, die jetzt vielleicht noch verschlossen ist. 

 

Magst Du Dich mit mir zusammen auf die Suche nach Deiner schöpferischen Quelle machen? Dann nimm gerne teil an meinem nächsten Retreat:

 

Die schöpferische Kraft erwecken

2. bis 5. Oktober 2025

Waldhof Freiburg

 

Mehr Informationen und den Anmelde-Link findest Du hier (klick)


Sehen wir uns? Ich würde mich freuen.


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Freitag, 8. August 2025

Die Snack Bar der DB




Im Juli war ich wieder im Intersein-Zentrum. Die Fahrt ist immer, sagen wir mal: interessant. In diesen elf Stunden von Haus zu Haus begegnet mir so einiges, was mich dann längere Zeit bewegt.

Ich hatte eine neue Verbindung, die gut klang. S-Bahn bis Freiburg, ICE von Freiburg nach Karlsruhe, von dort im IC bis Nürnberg, dann ICE bis Passau, dann Bus. In Karlsruhe suchte ich den IC auf dem angegebenen Gleis, fand aber nur die Art Zug, mit der ich von meinem Vorort nach Freiburg gefahren war. Doch, doch, das sei der IC nach Nürnberg, sagte ein Bahnmitarbeiter am Gleis. Regionalverkehr eben. Er wunderte sich, dass ich mich wunderte.

Ich hatte einen Platz gebucht, der mir in dem Wagen reserviert worden war, in dem eine komplette Schulklasse von etwa Achtjährigen auf den Sitzen tobte. Der Rest des Zuges war nahezu leer. Meine erste Aktion war die Flucht. Ich machte es mir in Wagen zwei, hmm, gemütlich. Die Sitzabstände waren beklemmend und die Sitze nicht verstellbar. Die deutsche Bahn stärkt im Regionalverkehr ihren Reisenden das Rückgrat. In diesen Sitzen wird nicht gelümmelt, da zeigt man Haltung.

Abfahrt in Karlsruhe um 9.06 Uhr, Ankunft in Nürnberg um 12.30 Uhr. Dreieinhalb Stunden S-Bahn-Fahrt.

Ich hatte zwei gute Bücher dabei. Die erste Stunde verging, die Sitzabstände legen die Redewendung nahe, wie im Fluge. Dann knackte der Lautsprecher und verkündete Erstaunliches: "Liebe Fahrgäste, eine Erfrischung gefällig? Unsere Mitarbeiter erwarten Sie gerne in unserer Snack Bar in Wagen sechs."

Oha. Eine S-Bahn mit Luxus. Meine Wasserflasche war leer, und ich machte mich auf den Weg zu Wagen sechs. Passierte diverse Kofferrampen, es ging auf und ab, ich wurde hin und her geworfen. In den Wagen, die ich durchquerte, waren ein paar Reisende in großen Abständen hingetupft. Sie sahen mir erstaunt nach. Offenbar hatten sie keinen Wunsch nach Luxus, sie wollten einfach nur ankommen. 

Die letzte Kofferrampe hinauf, Wagen sechs öffnete sich vor mir. An der Wand lehnte eine Mitarbeiterin der Bahn und wischte auf ihrem Handy herum. Als sie mich sah, steckte sie es hastig ein und strahlte mich an. Eine Kundin! Tatsächlich, eine Kundin. Zu ihren Füßen stand einer jener kleinen Einkaufskörbe aus dem Supermarkt, die man sich schnappt, wenn man kurz vor Ladenschluss noch etwas zum Abendessen einkaufen will. In dem Korb befanden sich ein paar Müsliriegel, Chipstüten, ein Apfel und eine winzige Packung Pralinen. Gemeinsam sahen wir auf das Angebot hinab.

"Das ist die Snack Bar?" fragte ich.

"Ja, heute haben wir leider nur eine kleine Auswahl", sagte die Frau hastig und versuchte ein erneutes Strahlen. "Möchten Sie vielleicht einen Kaffee?"

Im Hintergrund, auf einer Art Wandbord, stand eine Warmhaltekanne mit einem mindestens zwei Stunden alten Kaffee.

"Haben Sie auch etwas Kühles zu trinken?" fragte ich.

"Oh, ja!" rief sie. "Was wollen Sie? Alkoholisch? Nicht alkoholisch?"

Sie schloss eine Wandtäfelung auf, und dort, wo ich in Zügen immer irgendwelche Technik vermutet hatte, kam ein Kühlschrank zum Vorschein. Sie pries mir jede Flasche einzeln an, wahrscheinlich war mein Besuch die einzige Abwechslung, die sie bis Nürnberg erwartete. 

Mit meiner Apfelschorle taumelte ich zurück in Wagen zwei. Die Frau hatte mir noch einen umweltschädigenden Pappbecher aufgedrängt, den ich genommen hatte, weil ich ihr eine Freude machen wollte. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bahn haben keinen leichten Job. Diese tat mir besonders leid.

Ich versenkte mich erneut in mein Buch. Kurz vor Crailsheim knackte der Lautsprecher. "Liebe Fahrgäste, eine Erfrischung gefällig? Unsere Mitarbeiter erwarten Sie gerne in unserer Snack Bar in Wagen sechs."

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Samstag, 2. August 2025

David Steindl-Rast "HerzWerk"

 

Ich habe dieses schöne Buch geschenkt bekommen und muss es mit euch teilen. Der Benediktiner-Mönch David Steindl-Rast liebt Rilke (ich liebe beide, Rilke und Bruder David), und er legt die "Sonette an Orpheus" in diesem Buch im Gespräch mit Alexandra Kreuzeder so kundig und in großer Tiefe aus, wie ich es sonst nur von Dichtern kenne. Ja, David Steindl-Rasts Texte sind selbst Dichtung. Ich habe mich bisher eher mit anderen Gedicht-Zyklen von Rilke befasst, aber jetzt, wo mich David Steindl-Rast so liebevoll an die Hand nimmt, bin ich erstaunt über den sprachlichen und spirituellen Reichtum in den Orpheus-Sonetten.
 
In dem Sonett "O dieses ist das Tier, das es nicht giebt" zum Beispiel besingt Rilke die berühmten Einhorn-Wandteppiche. David Steindl-Rast fragt: "Ist das nicht purer Unsinn? Was es nicht gibt, ist eben nicht wirklich. Ja, es ist unwirklich für alle, denen nur das Handgreifliche als wirklich gilt. Und leider sind das zu viele unter uns." Für die Schöpfer der Wandteppiche jedoch war das Einhorn wirklich, und für Kinder ist es das auch.
 
Im Sonett II,27 fragt Rilke: "Ist die Kindheit, die tiefe, versprechliche, in den Wurzeln - später - still?" David Steindl-Rast sagt dazu: "Nein. Das Kind in uns schläft nur 'bei den Wurzeln'. Dichtung will dieses Kind in uns aufwecken. Es will ja aufwachen, weil unsere Kindheit zu kurz war, um das Kind zu werden, das wir eigentlich sind. Auch das Kind in dir dichtet und liebt das Einhorn."
 
Und, zum Sonett I,19 "Wandelt sich rasch auch die Welt": "Für den Dichter besteht offenbar der Reifungsprozess eines Menschenlebens in fortschreitendem Verwandeln, bei dem das Außen immer geringer wird und schließlich verschwindet, wenn aller von uns lebenslang eingeheimster Nektar des Sichtbaren zu Honig wurde - im unsichtbaren Bereich. Er nennt uns Menschen ja auch 'die Bienen des Unsichtbaren'."
 
Rilke weiß, dass es keine Trennung gibt zwischen der sichtbaren und unsichtbaren Welt: "Es gibt weder ein Diesseits noch ein Jenseits, sondern die große Einheit ... Engel wissen oft nicht, ob sie unter Lebenden gehen oder Toten." Für Rilke gibt es auch keine Trennung zwischen dem Schmerzhaften und Beglückenden. In einem Brief an Emmy Hirschfeld schreibt er: "Was von uns verlangt wird, ist, dass wir das Schwere lieben und mit dem Schweren umgehen lernen. Im Schweren sind die freundlichen Kräfte, die an uns arbeiten. Mitten im Schweren sollen wir unsere Freuden haben, unser Glück, unsere Träume; da, vor der Tiefe dieses Hintergrunds, heben sie sich ab, da sehen wir erst, wie schön sie sind."
 
Das Buch ist so reich, weil die beiden Autoren auch Briefe und andere Gedichte von Rilke heranziehen, um den Kosmos der "Sonette an Orpheus" zu vertiefen. Ich könnte hier viele Lieblings-Stellen zitieren, aber lest doch am besten selbst. Das Buch gehört zu den Büchern, die man nie "ausliest", mit denen man nie "fertig ist". 
 
David Steindl-Rast und Alexandra Kreuzeder "Herzwerk. Freude finden mit Rainer Maria Rilkes 'Sonette an Orpheus'", mit sehr schönem Leinen-Einband, Tyriolia Verlag, ISBN 978-3-7022-4257-2, 25 EUR.
 
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Sonntag, 27. Juli 2025

Straßenkind

 

 

In einem öffentlichen Bücherregal habe ich ein Buch von mir gefunden. 

Jemand hat das also gelesen und nicht in die Papiertonne geworfen, weil die Person fand, dieses Buch sollten auch andere Menschen lesen. Das ist sehr nett und nicht selbstverständlich. Trotzdem war ich etwas erschrocken. Dem Autor Frank Berzbach ist das auch mal passiert. Er schreibt treffend: "Auf die eigenen Bücher zu stoßen, zufällig, erinnert daran, was man überhaupt macht, wenn man schreibt. Da geistern Objekte mit Herzblut durch die Welt, deren Wege man nicht steuert. Menschen, die man noch nie gesehen hat, kennen einen."

Ich habe impulsiv zugegriffen und mein Buch mitgenommen.

Jetzt denke ich darüber nach, warum ich das getan habe. Ich habe einen vernünftigen Grund dafür: Meine Bücher sind alle vergriffen; wenn eins im Antiquariat angeboten wird, kaufe ich es. Ganz klar, dass ich dieses nicht stehenlassen konnte. Aber die Erklärung bleibt an der Oberfläche. Die Wahrheit liegt, wie immer, in den Gefühlen.

Mein Buch dort zu sehen war, als würde mein Kind allein in einer Menschenmenge stehen. Ich dachte: Was sind das für seltsame Leute, von denen es umgeben ist, wie ist es unter die geraten? Die kenne ich alle nicht. Dort kann es ihm nicht gutgehen. Wie die meisten Mütter wünsche ich für mein Kind die passende Umgebung, in der es strahlen und seine Vorzüge zur Geltung bringen kann. Zum Beispiel auf dem Tisch mit dem Schild "Besondere Empfehlungen" in einer guten Buchhandlung. 

Eingezwängt zwischen Bücher, von denen ich nicht eins lesen wollte, stand mein Kind in seiner Aura der Verlorenheit herum. Mein Kind ist kein Straßenkind. 

Also nahm ich es an die Hand und brachte es nach Hause. 

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Dienstag, 15. Juli 2025

Andrea Gibson, RIP

 


Andrea Gibson war eine der großen zeitgenössischen Dichterinnen der USA, Poet Laureate von Colorado und auch sonst vielfach ausgezeichnet. Vor vier Jahren bekam sie die Krebs-Diagnose, und wir konnten miterleben, wie sie sich durch Schmerzen und heftigste Behandlungen hindurcharbeitete und dabei immer leuchtender und liebender wurde: "Sometimes grief is the fastest way to the truth". 

Andrea hinterlässt ein unglaubliches Werk voller Schmerz und Freude. Man kann ihre Gedichte eigentlich nicht übersetzen, deshalb tue ich es hier nicht. Man sollte sie überhaupt nicht lesen, sondern hören. Schaut Euch das Video an, dann wisst Ihr, was ich meine. Es trägt den Titel "Every Time I Ever Said I Want to Die".

"A difficult life is not less worth living than a gentle one. Joy is simply easier to carry than sorrow, and your heart could lift a city from how long you’ve spent holding what’s been nearly impossible to hold.

This world needs those who know how to do that. Those who could find a tunnel that has no light at the end of it, and hold it up like a telescope to know the darkness also contains truths that could bring the light to its knees.

Grief astronomer, adjust the lens, look close, tell us what you see."

Auf ihrem Substack Account schrieb sie unter anderem "Love Notes From The Chemo Room". Jede und jeder von uns, die wir in schwierigen Umständen welcher Art auch immer leben, sollten ihn lesen, finde ich:  https://andreagibson.substack.com/. Andreas Gedichte und ihre Emotionalität gehen mir unter die Haut, und es gibt Tage, an denen ich sie nicht ertrage. Aber was für ein Wunder, dass eine solch hochbegabte Autorin ihre tiefsten Schmerzen und Freuden mit uns geteilt hat.

Andrea starb gestern, am 14. Juli, im Alter von 49 Jahren.

(Wenn bei Euch das Video nicht eingebettet wird: Hier ist es.)

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Sonntag, 13. Juli 2025

Dieser Löwe schläft nicht

 


Im Urwald schreien die Affen und Vögel, ab und zu kommt ein Wolkenbruch, und irgendwo, versteckt in einer Höhle, schläft ein Löwe.

Er schläft da genau fünf Minuten, aber dann wacht er auf. Das ist nicht verwunderlich. Wer wacht nicht auf, wenn er den fabelhaften Knabenchor Dagilélis aus Litauen hört, hier mit "The Lion Sleeps Tonight".

Alle, bei denen das Video nicht angezeigt wird, finden es hier:  https://www.youtube.com/watch?v=tGxyoRuslpA&list=RDtGxyoRuslpA&start_radio=1 

Ich wünsche euch sonnige Tage. Verschlaft sie nicht, der Sommer ist kurz.

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Montag, 30. Juni 2025

Abends am Teich

 

Es ist Abend, der Tag erwacht.

Es war, als hätte er seit dem Morgen den Atem angehalten. Ermattet ließ er sich von den Stunden durchziehen und schenkte uns keinen Hauch. 

Jetzt atmet er aus. 



Kleine vielbeinige Wesen erwachen im Gras. Ein Fisch springt aus dem Wasser. Etwas gestreift Geflügeltes summt, etwas samtig Dunkelbraunes brummt.  

Am Ufersaum steht unbeweglich eine Taube, die roten Füße im Wasser. Sie bückt sich und trinkt. Blickt sich um. Trinkt. Sie hat die Oase gefunden, spät am Tag, aber rechtzeitig vor dem Schlafengehen. Endlich herrlich kühle Füße. Hier wird sie so schnell nicht weggehen. Sie blickt. Sie trinkt.

Die Libellen üben Tiefflüge. 


 

In den Bäumen erwachen die Wesen der Nacht. Ein Ruf weht über das Tal, als blase jemand in ein Holzrohr, das keine Klanglöcher hat. Ein trockener, hohler Ton ohne Nachschwingen. Von der anderen Seite des Tales kommt die Antwort. Trocken, hohl. 

All dies Rufen, Brummen und Summen ist die Stimme der Stille in den Dingen der Natur. Wenn sie ganz bei sich sind, am Abend und frühen Morgen, kann man sie hören, wenn man im Schweigen geübt ist. 

Die Erde rollt sich in eine weitere heiße Nacht. 

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Samstag, 21. Juni 2025

Rhythmus in meinem Leben

 


Die Wissenschafts-Journalistin Dr. Ulrike Gebhardt interessiert sich für das Thema Rhythmus. Sie schreibt darüber in dem interessanten Blog "Taktvoll" hier (klick). 

Ab und an befragt sie Menschen nach ihren eigenen Rhythmen und wie sie diese leben. Sie hat auch mich eingeladen, die Fragen in ihrem Fragebogen zu beantworten, über die nachzudenken sich für jede/n lohnt. Habe ich gern gemacht. 

Wenn ihr Lust habt, schaut ihn euch an hier (klick).

Ihr erfahrt ein paar Dinge über mich, die ihr mich sicher nie gefragt hättet. 😊

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Mittwoch, 18. Juni 2025

Richard Pousette-Dart "Poesie des Lichts"

 

Feier der Geburt 1975/76


"Jedes lebendige Kunstwerk ... enthält einen inneren Kern, der mit Erklärungen, Definitionen und Untersuchungen nicht erreicht werden kann. Der Kern bleibt jenseits von all dem. Es ist dieses lebendige Etwas, das Kunst mystisch macht und wirklich." (Richard Pousette-Dart)

Richard Pousette-Dart brach sein Studium am renommierten Bard College ab, um seinen eigenen Weg zu gehen. Im Jahr 1941 - er war gerade 24 Jahre alt - erhielt er seine erste Einzelausstellung und wurde rasch, wie das im Kunstbetrieb so üblich ist, eingeordnet, in seinem Fall in die Generation der Abstrakten Expressionisten. Pousette-Dart aber lehnte jede Einordnung ab. Er lebte zurückgezogen, las Mystiker wie Jakob Böhme, auch Laotse und Daisetz Teitaro Suzuki und widmete sich den universellen spirituellen Symbolen Kreis, Spirale, Kreuz und Welle. Er wollte in seiner Kunst etwas erkunden, das er "Präsenz" nannte. Was macht ein Kunstwerk lebendig - und was geschieht zwischen dem Betrachter und dem Werk?




Byzantinische Kapelle


Im Museum Frieder Burda in Baden-Baden ist jetzt - dreiundzwanzig Jahre nach dem Tod des Künstlers - die erste Retrospektive seines Werks außerhalb der USA zu sehen, die zu Recht den Titel trägt "Poesie des Lichts". Vor den riesigen Leinwänden zu stehen ist überwältigend. Alles flirrt, tanzt, jedes Partikel scheint sich zu bewegen. Pousette-Dart hat bis zu dreißig verschiedene Farbschichten aufgetragen und teilweise wieder weggekratzt. Das Tryptichon "Byzantinische Kapelle" scheint aus winzigen Mosaiksteinen zusammengesetzt zu sein, aber es ist ein Gemälde. Von Weitem betrachtet, fällt hier das Licht durch blaue Kirchenfenster. Erst wenn man nahe herantritt, sieht man die feinen Grün- und Rottöne, die durch das Blau hindurchschimmern, und die pastos aufgetragene Farbe verändert das Bild je nach Lichteinfall.



Detail aus der "Byzantinischen Kapelle"


"Kunst ist Magie, sie ist Freude, mit Gärten voller Überraschungen und Wunder. Kunst ist Energie, Impuls, sie ist Frage und Antwort. Sie ist transzendentale Vernunft. Sie ist ihrem Geist nach ganzheitlich." (Richard Pousette-Dart)

In seinem sehr guten Essay im Begleitheft zur Ausstellung sagt der Schriftsteller Daniel Schreiber: "Bilder, die mit allen Dimensionen des Lichts spielen, mit seiner emotionalen und psychischen Wirkung, mit seiner irisierenden Reflexionsfähigkeit, mit seinem Schimmern, seinem Glanz und seinem Strahlen, mit seiner Fähigkeit, ungeahnte Energien freizusetzen. Es sind sphärische Harmonien, die so emotional sind, dass man sich ihnen kaum entziehen kann. Es sind Bilder, in denen man sich verliert."

Die Freude des Malers beim Malen strahlt aus jedem Bild. Ich konnte mich nicht sattsehen an diesem Leuchten und Flirren, und als meine Freundin und ich nach Stunden die Ausstellung verließen, waren wir einfach nur glücklich.



Das Prächtige 1950/51


Die Ausstellung ist bis zum 14. September 2025 im Museum Frieder Burda in Baden-Baden zu sehen. Unbedingt ansehen! Informationen hier (klick).

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Freitag, 13. Juni 2025

Morgens im Wald

 


An Pfingsten scheint halb Freiburg in den Süden gefahren zu sein (kluge Leute waren da bereits und sind längst wieder zu Hause ...), also ist jetzt die schönste Zeit, in den Wald zu gehen. Das Grün ist nach dem tagelangen Regen geradezu überfordernd für die Augen, und meine Lungen erschrecken fast, so viel reine Luft angeboten zu bekommen. Können sie die überhaupt noch bewältigen?

Lange nicht mehr hier gewesen. Wurde Zeit.



Dieses herrliche Alleinsein. Im Wald hat es eine andere Qualität als in der Wohnung. Es wird größer, umfassender, bekommt räumliche Qualität und übersteigt das Persönliche. Die Dinge des Waldes sind bei sich, und ich betrete ihren Seinsraum behutsam und respektvoll. Sie lassen mich gewähren (ich bin ihnen egal), und das ist mehr, als ich in irgendeiner Straße irgendeines Ortes je erlebe. Kein fremder Blick stört mich beim Schauen, ich darf einfach hier sein, ohne mich vorstellen oder meine Anwesenheit erklären zu müssen.





Aber Paradiese gibt es nur in der Literatur. Etwas bricht krachend aus dem hüfthohen Gebüsch. Ein Reh, ein Hase, wütendes Wildschwein, muss man wachsam sein? Ja, man muss: Ein Paar mit Stöcken stapft vorbei und mustert mich und mein Smartphone befremdet. Er wähnt sich außer Hörweite, als er zu ihr sagt: "Hier gibt`s doch nix zu fotografieren!"






Wieder allein in der Stille. Oben in den Wipfeln zarte Vogelrufe. Ein Junimorgen um halb neun. Ich möchte jetzt an keinem anderen Ort in der Welt sein.

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Samstag, 7. Juni 2025

Der geschmeidige Geist

 

Quelle: Wikipedia


Ich habe gelesen, dass bestimmte Spinnen-Arten ihre Netze grundsätzlich nur zwischen Gräser und leichte Äste hängen. Ihr Instinkt sagt ihnen, dass ein zwischen feste Objekte gespanntes Netz im Wind leicht zerreißen kann, während ihre Netze im Wind elastisch mit den Gräsern schwingen. 

Auch unser Leben ist immer wieder einem manchmal heftigen Wind ausgesetzt. Wenn unser Geist sich dann an das Feste klammert in der Hoffnung, es würde ihm Sicherheit geben, kann er irritiert und auch tief gestört werden. Das Feste ist das Gewohnte, in dem wir uns eingerichtet haben, das, was uns vertraut ist. Die täglichen Abläufe im Alltag, die Handgriffe, die wir blind ausführen, die Menschen, an die wir gewöhnt sind. Aber auch unsere Meinungen, Überzeugungen und Urteile, die mindestens so starr sind wie eine Mauer, die kluge Spinnen meiden. Die Zeiten des großen Windes sind die gefährlichsten in unserem Leben. Nichts scheint mehr so zu sein, wie es war. Wir müssen einsehen: Mein Urteil über dies und jenes erweist sich als völlig falsch. Der Mensch, dem ich vertraut habe, hat mich betrogen. Die Diagnose, die mein Arzt mir mitteilt, stellt mein Leben auf den Kopf. 

Unsere alten Strategien funktionieren nicht mehr. Jetzt ist es für unsere körperliche und psychische Gesundheit wichtig, dass unser Geist geschmeidig mitschwingt mit dem Sturm. Auch wenn unser Netz, anders als das der Spinne, nie zerreißen kann.

Das Netz der Spinne ist ihr Zuhause, sie hat kein anderes. Es ist sichtbar für alle aufgespannt und deshalb so gefährdet. Unser Zuhause ist in uns selbst verborgen; so verborgen, dass viele Menschen es noch nie betreten haben. Wir können nur dann vertrauensvoll mit den Stürmen umgehen, wenn wir in uns zu Hause sind. Gerade in Zeiten des Umbruchs, in denen wir das Gefühl haben, uns werde der Boden unter den Füßen weggezogen, können wir die Lehre des Buddha konkret erfahren. Im "Sutra über die Unterweisungen für Kranke", das in buddhistischen Klöstern oft rezitiert wird, heißt es:

"Dieser Körper bin nicht ich. Ich bin nicht gebunden an diesen Körper.
Dieser Geist ist nicht ich. Ich bin nicht gebunden an diesen Geist."

In dem Sutra ist mit "Geist" der persönliche Geist gemeint, mit den Gedanken, die Gefühle auslösen, die wiederum Gedanken erzeugen. In Krisen-Situationen erkennen wir, dass er zwar ein großartiges Instrument ist, mit dem wir das Leben erfahren, es aber in uns eine tiefere, größere Weite gibt, die weder Geist noch Körper ist. Diese Tiefe nannte Thich Nhat Hanh "dein Wahres Selbst". 

Wir können uns immer wieder mit unserem Wahren Selbst verbinden, indem wir mitten im Alltag innehalten und bewusst ein- und ausatmen, ohne den Gedanken zu erlauben, sich einzumischen. In dieser Tiefe begegnen wir einer wunderbar warmen, heilsamen und beruhigenden Stille. Es ist, als würden wir heimkehren; wir haben das Gefühl: Ach, da bist du ja, wer oder was immer du bist. Dich habe ich so lange gesucht, und dabei warst du doch immer bei mir. So nah.

Während der Sturm uns durchschüttelt, bewegt sich unser Geist geschmeidig mit. Lässt los, was nicht zu halten ist, nimmt an, was immer da kommt. Wir aber sind geborgen in unserem Netz, das nie zerreißen kann. Unserem Wahren Selbst.

In meinem Retreat "Erwachend leben" im Juli im Intersein-Zentrum kannst Du mit mir das Thema vertiefen. Alle Informationen findest Du hier (klick).

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