Ich lag auf dem Rücken. Das hatte Gründe. In meinem linken Arm steckte eine Kanüle, und meinen Kopf hatte ich in eine halbwegs sinnvolle Lage auf das Kissen gelegt, weil ich ihn in den nächsten Stunden oder Tagen nicht verschieben wollte. Jede Umlagerung versetzte das Zimmer um mich herum in ein Kreisen und Wirbeln; meine Augen fanden nirgendwo einen Halt, und mein Mageninhalt wollte nicht bei mir bleiben. Ich befand mich in diesem Bett auf hoher See, unsichtbare Wellen schlugen über mir zusammen; da draußen musste irgendwo ein Orkan toben, den nur ich bemerkte. Wenn man seekrank ist, muss man sich flach legen und die Augen schließen. Die Position, in der ich mich befestigt hatte, war leicht nach rechts geneigt. Abgewandt vom Nachbarbett, das leer war, hin zur Tür, die ich nicht sehen konnte, weil sie sich hinter dem Schrank befand. Draußen war Hochsommer, drinnen war es heiß. Zwei Monate später würde feststehen, dass dies der heißeste Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen gewesen war.
Meine Welt war auf kleines Format geschrumpft. Weißes Bettzeug, das Schnurren des Ventilators, im Augenwinkel ein Glas Wasser. In dieser Liliputwelt aber war meine Freude rasant gewachsen. Offenbar hatte sie sich vorher zwischen E-Mails, Laptop und Bücherbergen eingesperrt gefühlt. Das war wohl doch nicht so ganz ihre Welt, was mir erst jetzt auffiel. In der weißen Kargheit hatte sie Raum, sich zu entfalten. Die einzige Geste, zu der ich fähig gewesen wäre, war ein Wedeln der rechten Hand. Also nichts, was sie verscheucht hätte, und so ließ sie sich auf meiner Reglosigkeit nieder, freudig, wie das so ihre Art ist. Sie fand die Bläschen im Kanülenschlauch lustig und die plötzlich in mein Leben getretene Zwangsruhe erholsam. Sie vermisste nichts und verlangte nicht nach Abwechslung und Bespaßung.
Um acht Uhr kam der Frühstücksmann.
Er öffnete die Tür, die ich nicht sah, und blieb lächelnd neben dem Schrank stehen, den Kopf leicht geneigt. Er war lautlos hereingeschwebt. Von draußen brach ein Lärmschwall in meine Stille, er zog die Tür schnell zu. Es gibt das professionelle Lächeln, das hier viele hatten, aber seins meinte mich: Es erreichte die Augen. Guten Morgen, sagte er, klappte den Flügeltisch über mein Bett und stellte das Tablett darauf. Behutsam. Mit ruhigen Bewegungen. Er hob die Glocke über zwei eingepackten Brotscheibchen, einem Stückchen Butter in Aluminium und einem Schälchen Marmelade.
Überschaubar, sagte er.
Aber es wird mir serviert, sagte ich.
Er hakte die Lieferung an mich auf seiner Karteikarte ab, studierte sie und sagte nebenbei: Sie bekommen heute eine Mitbewohnerin. Ich habe sie gerade unten gesehen. Eine junge Frau. Keine Dame.
Sie differenzieren, sagte ich.
Er lächelte. Er war, schätzte ich, Mitte, Ende fünfzig. Welches Schicksal oder welcher Entschluss hatte ihn zum Frühstücksmann im achten Stock der Universitätsklinik gemacht? Er sollte inmitten von Büchern leben, in einem Raum, der erfüllt war von klassischer Musik, vielleicht von Düften aus der Küche, die an ferne Länder denken ließen. Bevor er ging, blieb er neben dem Schrank stehen, sodass ich ihn sehen konnte, legte den Kopf auf die Seite und sagte lächelnd: Guten Appetit.
Gegen Mittag kam die Nicht-Dame. Sie riss die Tür auf, warf ihre Sachen auf das Bett und stellte den Ventilator auf die höchste Stufe. So eine Scheiße, knurrte sie. Ich könnte jetzt baden gehen, stattdessen haben die mich hier eingeliefert. Ich wäre auch lieber am See, sagte ich. Sie hörte mich gar nicht, sie hatte mich nicht einmal angesehen. Als ich zwei Tage später entlassen wurde, hatte sie immer noch kein Wort mit mir gewechselt.
Am nächsten Morgen um acht kam der Frühstücksmann.
Warum kommen Sie denn so spät? rief die Nicht-Dame. Ich muss los, ich habe eine CT.
Sie drängte sich an ihm vorbei und warf die Tür hinter sich zu. Er stand noch immer neben dem Schrank, legte den Kopf auf die Seite und lächelte mich an. Er machte sehr klar, dass er dieser Frau nicht die Macht einräumte, sein Begrüßungs-Ritual zu stören. Dann drehte er das Tischchen über mich, stellte behutsam das Tablett darauf und hob die Glocke. Zwei frische Brötchen, zwei Scheiben Emmentaler, Marmelade, Butter. Sie hatten vegetarisch bestellt, sagte er, deshalb habe ich Käse gewählt.
Wir sahen einander an.
Ich erkenne meinesgleichen, wenn ich ihm begegne. Dem Menschen, der keinen Smalltalk braucht, um zu kommunizieren. Der weiß, dass die wahre Begegnung zwischen zwei Menschen in Gesten und Blicken besteht, und dass man darüber kein Wort verlieren sollte.
Dreimal schon habe ich diese kleine Geschichte gelesen.
AntwortenLöschenSo berührend und schön!
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