Das ist nur ein kleiner Teil meiner Hut-Kollektion ...
Als ich Mitte zwanzig war, kaufte ich mir das schönste Kleid, das ich je (bis heute) besessen habe. Ein Einzelstück einer Designerin, die in einer Seitenstraße in Würzburg ihr kleines Atelier betrieb. Es war aus dunkelrotem Samt mit einem weit schwingenden Glockenrock und einer Passe, die aus einem alten Gobelin gearbeitet worden war. Es war, für meine damaligen Verhältnisse, sündteuer.
Ich suchte nach Gelegenheiten, es anzuziehen. Die Gelegenheiten wollten sich nicht so recht ergeben. Obwohl es kein Abendkleid war, sondern ein edel zurückhaltendes Design hatte, fiel ich auf, als ich es einmal auf der Straße trug. Auf Parties ging ich nicht, und als ich es beim alljährlichen Würzburger Mozartfest im Residenzgarten tragen wollte, goss es in Strömen und ich zog eine Hose an.
Jahre später ergab sich die ultimative Gelegenheit, als ich in München zum Empfang des Ministerpräsidenten in die Staatskanzlei eingeladen wurde, da ich gerade den Münchner Literaturpreis gewonnen hatte. Nun war dieser Ministerpräsident damals Franz-Josef Strauß, und ich merkte, dass ich keine Lust hatte, dem Mann die Hand zu schütteln. Aber das Kleid! Endlich konnte ich das Kleid zu einem angemessenen Anlass ausführen. Ich schälte es aus seiner Plastikhülle, und dunkelrote Samtbrösel fielen zu Boden. Die Motten hatten gründliche Arbeit geleistet.
Damit war die Entscheidung gefallen: Ich würde Herrn Strauß nicht die Hand schütteln.
Mein wunderschönes Kleid habe ich insgesamt vielleicht fünf Mal getragen. Der Abschied von ihm war schmerzhaft und hat mich etwas gelehrt: Schone deine schönen Dinge nicht für die eine besondere Gelegenheit. Die besondere Gelegenheit für das schicke Kleid, die tollen Schuhe, die irren Hüte, den Wahnsinns-Mantel ist schon da!
Du bist auch heute Morgen wieder erwacht, in einen ganz neuen, nie dagewesenen Tag hinein. Du hast ein Dach über dem Kopf und feine Sachen im Kühlschrank. Dir fallen keine Bomben auf den Kopf, du hast die Freiheit, dich überall hin zu bewegen, du darfst sagen, was du sagen willst. Du bist lebendig, du bist frei, und das feierst du jetzt, indem du dein ganz besonderes Stück anziehst und es endlich ausführst: zum Einkauf im Supermarkt, zur Zahnärztin, zum Geldabheben in der Bankfiliale.
Die besondere Gelegenheit ist jetzt. Es ist dieser Moment. Wenn du ihn feierst, ist er immer besonders. Probiere es einfach mal aus.
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Genauso mache ich es als 65jährige inzwischen auch. Mein schönstes teures Porzellan (weil nur noch wenige große Einladungen) und als "Fetischistin" von Ohrringen werden diese zwar noch nicht täglich aber sehr viel häufiger ohne Gelegenheiten verwendet !
AntwortenLöschenSehr schön. Ab einem gewissen Alter interessiert es uns Frauen nicht mehr, was "man" angeblich wie und wo zu tragen hat.
LöschenHatte noch nie sowas gemacht: zwei Blusen habe ich (M, 72) mich dieses Jahr gekauft, allein und nur weil die schön sind.
AntwortenLöschenDie tragen macht meine Tage besonders.
Wunderbar. Männer, die Freude daran haben, sich schön zu kleiden, sind immer noch viel zu selten.
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