Donnerstag, 6. Juni 2024

Die Natur ist beseelt

 


Als ich das erste Mal in Plum Village war, sah ich mit Überraschung, dass die Nonnen Bäume umarmten. Auf diese Idee war ich bis dahin nicht gekommen, aber da es als eine Praxis betrachtet wurde, suchte auch ich mir einen Baum aus, der mich ansprach. Er hatte eine glatte Rinde und war so schlank, dass meine Arme ihn umfassen konnten. Welch eine Überraschung: Ich umarmte ein lebendes Wesen. Es pulsierte, es atmete, und ich atmete mit ihm.

Das war Anfang der 1990er Jahre, und ich traute mich nicht, über diese Erfahrung zu schreiben. Ich galt sowieso als eine Romantikerin, die eine "animistische Weltsicht" vertrat. Aber wie schnell haben sich doch die Ansichten geändert. Man darf heute sagen, dass die Natur beseelt ist, ohne seine Reputation in der akademischen Welt zu verlieren. Einer, der das auf sympathische und kluge Weise tut, ist der Biologe und Philosoph Andreas Weber.

In diesem Interview mit Olivia Röllin in der Sendung des Schweizer Fernsehens "Sternstunde Religion" spricht er davon, dass das Weltbild der Dualität an sein Ende gekommen ist. Den Begriff "Natur", der die Vorstellung eines Gegenübers erzeugt, ersetzt er durch "lebendige Wirklichkeit". Unsere Interaktion mit dieser Wirklichkeit ist ein "Prozess der gegenseitigen Durchdringung, die Individuen gebiert, die sich nach Entfaltung sehnen und dadurch auf andere Individuen angewiesen sind".

"Wir müssen wieder lernen, zu denken wie ein Berg", sagt er. Immer wieder radelt er in den Grunewald zu "seiner" Eiche, die er als eine Mentorin bezeichnet. Ich wünsche mir, dass viele Menschen dieses halbstündige Interview anschauen und vielleicht einen ganz neuen Zugang finden zu der lebendigen Wirklichkeit, von der wir alle ein Teil sind. Weber fasst seine Weltsicht in dem schönen Satz zusammen: "Gaia - die lebende Welt - ist ein Akteur geworden und hat eine politische Stimme. Sie antwortet uns, und wir können mit ihr Bündnisse schließen."

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