Vor vielen Jahren entdeckte die Schriftstellerin Esther Kinsky bei einer Reise durch die südungarische Tiefebene ein verlassenes Kino. Zum Kino - genau gesagt: zu der besonderen Form des Sehens, zu der das Kino einlädt - hatte sie seit jeher eine Beziehung. Esther Kinsky kaufte das alte Kino, voller Hoffnung, einen "Raum des gemeinsamen Sehens" zu erschaffen. Die Geschichte des Kino-Kaufs zieht sich durch diese beiden Bücher, jedes ist auf seine Weise berückend schön.
Esther Kinsky fotografiert auch. Vor ein paar Wochen besuchte ich die Ausstellung ihrer Bilder (die übrigens im Buch "Weiter sehen" abgedruckt sind) in Freiburg. Es passte, dass kein Besucher da war, auch keiner, der mir was erklären wollte. Ich sah Bilder der Stille in Nicht-Farben: Bröckelnde Mauern, verlassene Höfe, struppige Hunde, herausgerissene Kinosessel. In ihrem Buch "Banatsko" sagt die Protagonistin einmal auf die Frage, warum sie solche Fotos mache: "Ich betrachte die Sprache der Dinge."
"Weiter sehen" fragt danach, WIE wir sehen. Beim Wie geht es um den Platz, den man selbst sehend einnimmt. Um den Blickwinkel und die Distanz zu den Dingen, Bildern, zum Geschehen, zu Nähe und Ferne, zur Weite: "Die Weite ist mehr als Ferne, sie ist das, was man an Möglichem zulässt." Das alte Kino ist gestorben, und Esther Kinsky denkt darüber nach, was das für eine Gesellschaft bedeutet: Ein Ort des gemeinsamen Sehens wird aufgegeben zu Gunsten des privaten Sehens in Internet und Mediathek. Ein philosophisches Buch, durchwoben von geradezu phantastisch anmutenden Geschichten von Menschen und Begegnungen. Mit Fotografien. Suhrkamp Verlag.
(Werbung) Wenn Ihr online bestellen wollt, empfehle ich Euch den gemeinwohlbilanzierten sozialen Buchversand Buch7, der soziale, kulturelle und ökologische Projekte unterstützt. Ihr werdet schnell und versandkostenfrei beliefert, und ich erhalte eine (sehr kleine) Provision dafür. Hier (klick) "Weiter sehen" bestellen.
Ein bescheidener Handy-Schnappschuss aus der Ausstellung. Das Glas spiegelt leider.
In "Banatsko" findet Esther Kinsky ein Dorf im Niemandsland von Ungarn, lässt sich nieder (und entdeckt ein verfallenes Kino ...). "Der Horizont lädt ein zum steten Absuchen der Ferne in Erwartung einer unbekannten Veränderung." Es ist still, der Wind weht übers flache Land, die Menschen sind schweigsam, der Akkordeonspieler, der Schneider und Attila: "Wenn wir auf der Veranda saßen, lernten wir kleine Lektionen der Vertrautheit, jenseits der Sprache. Was wir sagten, war Zubehör, das Mobiliar einer Intimität." Banatsko durchquere ich lesend wie einen Traum: Ich sehe Menschen, die anders sind als alle, die ich kenne, ich verliere mich in der Weite der ungarischen Tiefebene, die Farben sind gedämpft, nichts ist hier grell, glänzend oder neu. "Banatsko" ist eine Ode an die Melancholie, geschrieben in einer Sprache, die süchtig macht. "Banatsko", Verlag Matthes & Seitz
"Banatsko" bei Buch7 bestellen hier (klick)