Es gibt Bücher, die mir Spaß machen, mir eine gute Geschichte erzählen, die mich mit ihrem literarischen Stil begeistern, und solche, die mich klüger und kreativer machen. Und es gibt die Lebensbücher: Die Bücher, zu denen ich ein Leben lang greife, die mich immer und unter allen Umständen in meinen innersten Kern zurückführen. Die sechs wichtigsten möchte ich Euch hier vorstellen, jedes mit einem kurzen Zitat.
Joseph Campbell "Die Kraft der Mythen" ist ein Schatzbuch, das ich nie "auslese". Campbell, der Mythenforscher und Hochschulprofessor, war ein erleuchteter Weiser. Seine Erfahrung der Transzendenz ist in jedem Satz spürbar. Er ist bewandert in allen Kulturen und allen Religionen und findet den gemeinsamen Urgrund hinter den zahllosen Erscheinungen. Das Buch ist voller Bilder von Kunstwerken, Höhlenzeichnungen, Bauten. "Man muss ja sagen zu diesem Wunder des Lebens, wie es ist, nicht unter der Bedingung, dass es sich an die eigenen Regeln hält. Andernfalls gelangt man niemals in die metaphysische Dimension."
C. G. Jung "Erinnerungen, Träume, Gedanken". Ein Lesebuch mit genau dem Inhalt, den der Titel verspricht. Der beste Einstieg in die analytische Psychologie, lebendig und leicht verständlich. Hier lernt man Jung auch als den Mystiker kennen, der er war. Faszinierend finde ich die Beschreibungen seiner spirituellen Erfahrungen. Warum ich Jung liebe und nicht etwa Freud? Deshalb: "Es ist die Aufgabe des Einzelnen, von allen anderen unterschieden auf eigenen Füßen zu stehen."
Peter Handke "Dialoge an den Rändern". Das neueste seiner Journale (danke, Monika, für das Geschenk!) steht hier stellvertretend für die vorangegangenen. Ich liebe sie alle, lese sie immer wieder kreuz und quer, streiche an, lasse mich anregen zum Weiterdenken, zum Widersprechen, zum beigeisterten Zustimmen. Wem außer Handke gelingen Wortschöpfungen wie "Kuhweidenregenmusik" und "Zeitraumerblühen"? Mein derzeitiger Liebling die Frage: "Wohin des Nicht-Weges?"
Kakuzo Okakura "Das Buch vom Tee". Ein Buch der Sanftheit, der Stille, der Schönheit. Okakura meditiert über die japanische Philosophie des Tees, die zusammen mit der Ethik die gesamte japanische Auffassung von Mensch und Natur darstellt. Dieses Buch ist wie eine Insel im Meer meiner Bibliothek, still und abgeschieden steht es auf dem höchsten Regalbrett und hat mit seinen Nachbarn nichts zu tun. Ein Solitär, der mich mit seinen einfachen Worten in die Welt der Teehäuser versetzt. Ich las das Buch zum ersten Mal, als ich achtzehn war, und es sprach von mir, als einer taoistischen "Meisterin der Lebenskunst": "Bei der Geburt tritt sie in das Land der Träume ein und erwacht erst beim Tode zur Wirklichkeit."
Jiddu Krishnamurti "Einbruch in die Freiheit". Im Innendeckel des Buches steht die Jahreszahl 1980. Nachdem ich es gelesen - ach was, getrunken, mir einverleibt - hatte, fuhr ich in Krishnamurtis Sommercamp nach Saanen in die Schweiz. Das war sie, die Begegnung meines Lebens. Eigentlich hätte ich danach keinen Lehrer mehr gebraucht, aber ich merkte, dass ich eine Praxis haben wollte, um meine Erfahrung zu vertiefen, und Krishnamurti war kein Lehrer und hielt überhaupt nichts von Praxis. Dieses Buch ist für viele Menschen provozierend, denn es ist wie sein Autor absolut kompromisslos: "Freiheit ist ein Zustand des Geistes - die Freiheit, alles anzuzweifeln und in Frage zu stellen, und zwar so intensiv, aktiv und kraftvoll, dass sie jede Art von Abhängigkeit, Sklaverei, Anpassung und Anerkennung von sich wirft. Solche Freiheit bedeutet völlig allein zu sein."
Rainer Maria Rilke "Das Buch der Bilder". Auch dieser Band ist stellvertretend für alle anderen gewählt. Über Rilkes Gedichte kann ich nichts sagen. Die lese ich mir selbst vor, stumm und leise flüsternd, und dann klingen sie in mir weiter. Rilke begleitet mich seit meiner Jugend. "Die Einsamkeit ist wie ein Regen. / Sie steigt vom Meer den Abenden entgegen; / von Ebenen, die fern sind und entlegen, / geht sie zum Himmel, der sie immer hat. / Und erst vom Himmel fällt sie auf die Stadt."
Meine Lebensbücher sind Bücher der Stille und der Freiheit, und deshalb erzählen sie vom großen Alleinsein. Denn wer in dieser Welt aus dem innersten Wesen heraus still und radikal frei leben muss, gehört nicht zu den Vielen.
Was sind eure Lebensbücher? Schreibt doch in den Kommentaren, welche Autoren euch lebenslang begleiten. Tauschen wir uns ein wenig aus; über Bücher soll man nicht schweigen.
Danke für diese "Beschreibungen". Das eine und andere kenne ich auch.. andere sehe ich mir gerne mal an. Gutes wünschend - Lisa
AntwortenLöschenLiebe Frau Irgang, herzlichen Dank für Ihre immer wieder berührenden Blogzeilen, diesmal dachte ich, wow, jetzt wird es eine Fülle von Büchern geben und Leere.
AntwortenLöschenVielleicht haben die Leser/innen auch direkt an Sie geschrieben. Ja, Bücher waren für mich auch heilsame Freunde und sind es heute noch und so danke ich für die Impulse.Eines meiner meistgelesenen Bücher ist „Die Kostbarkeit des Augenblickes“ von Ihnen. Hier finde ich so vieles und immer wieder berührendes.
Julia Onken hat mich sehr begleitet mit ihren Büchern, „Geliehenes Glück“ ist ein oft gelesenes auf meinem Weg zum Frau sein und Beziehung leben, Mathias Jung, Hermann Weidelener, Eugen Drewermann, Pema Chödrön, Rabindranath Tagore und viele andere haben mich auf meinem Weg begleitet. Ich danke Ihnen von Herzen für Ihre immer berührenden Zeilen und Sie haben mit mit Ihren Worten schon so viel bereichert, auf meinem Weg der oft einsam war und jetzt sehe ich aber diese Einsamkeit nicht mehr als Makel sondern sehe auch seine Fülle, von Herzen Danke! Rita Meßmer
Vielen Dank, liebe Frau Meßmer, dass mein Buch in Ihrer Liste dabei sein darf. Ich hatte auch gehofft, jetzt viele neue Lebensbücher kennenzulernen in den Kommentaren. Sehr schade. Herzliche Grüße!
AntwortenLöschenLiebe Margrit, liebe Mitlesende ,
AntwortenLöschenzuletzt hat mich das Buch "Jeder von uns bewohnt die Welt auf seine Weise" von Jean Paul Dubois begeistert , berührt und sehr lange danach beschäftigt. Ich kann es wärmstens empfehlen. LG
Birgit
Danke, liebe Birgit.
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