Donnerstag, 14. März 2019

Herr Litfass. Entblößt.



Das ist Herr Litfass, Nachbar in meiner Straße. 

Herr Litfass plaudert gern. Erzählte mir immer von den Vorträgen in der Uniklinik ("Kokosöl und andere Ernährungsirrtümer"; später war's auf youtube, wo es einen Shitstorm hervorrief. "Wir lassen uns unser Kokosöl nicht nehmen!").

Erzählte auch von den Konzerten des Freiburger Barockorchesters (Karten ein Jahr im voraus ausverkauft und teuer).

Und ausgiebig vom Weihnachtsmarkt (ist eh vorbei).

Auf einmal ist Herr Litfass verstummt. Bis auf die Unterwäsche entblößt.

Herr Litfass hat endlich den Mut, er selbst zu sein. Bekleidet erschien er schon mal in den sozialen Netzwerken; so ganz und gar ungeschminkt will ihn da keiner haben. Das verstehe ich überhaupt nicht. Denn was ist, zu meiner Überraschung, Herr Litfass, wenn er den Mut hat, er selbst zu sein?

Ein Kunstwerk von Lucio Fontana.

Herr Litfass mitsamt seiner Frau (ja, die kannte ich nicht) erregt die Gemüter. Diskussion über die Großfamilie in den Kommentaren.

9 Kommentare:

  1. https://augengeblicktes.blogspot.com/2019/03/ein-gru-aus-berlin-von-frau-litfass.html

    Einen lieben Gruß auch von mir :-)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das ist Herrn Litfass jetzt aber peinlich, so in Unterwäsche vor einer Dame mit Hut zu stehn.

      Löschen
    2. Sie wiederum ist in schicke Fetzen gekleidet...er wollte doch endlich er sein, also kein Grund zur Peinlichkeit ;-)

      Löschen
  2. Im Traum besuchten mich Frau und Herr Litfass. Sie würden in letzter Zeit in Unterwäsche fotografiert und möchten deswegen eine Petition bei mir einreichen. Da Simon, der Säulenheilige, vermutlich ein gemeinsamer Vorfahre sei, hoffen sie auf mein Verständnis. Ohne meine Antwort abzuwarten, fingen sie an, die drei Punkte ihrer Petition aufzuzählen: einen Paravent, einen Besen und einen Platz im Literaturmuseum. Auf meine Frage wofür denn der Paravent gut sein solle, meinten sie, es sei ein Sichtschutz notwendig, wenn der Aufschneider käme, um die alte Plakatschicht zu entfernen. Ich fragte, ob es auch ein Bauzaun sein könnte? „Natürlich nicht“ erwiderte Frau Litfass, „auch wir brauchen eine angemessene Privatsphäre. Mit dem Besen müssen wir uns gegen Hunde und Schmierer verteidigen und der Platz im Literaturmuseum sei wichtig, weil sie am Ende ihres Lebens als Litfaßsäule, nicht von einer Abrissbirne niedergemacht werden wollen. Man trage ja das Wort Literatur im Namen Lit-fass.“ Sie trugen das Ganze gereizt, genervt und verkrampft vor: „Wir möchten endlich alles in den Griff bekommen.“
    Das ist verständlich, dachte ich, fragte aber trotzdem verblüfft, weshalb sie denn in so einer kämpferischen Stimmung sind. Aus meiner Sicht gelten Litfaßsäulen als ruhig, wach, Ich-los und haben viele Stärken, die Menschen nicht haben. Deshalb dienen sie uns als Vorbilder. Aus meiner Sicht sein sie eben nicht in dieses permanente Drama verwickelt, sondern frei. Frei, weil sie diesen Dreh verinnerlicht haben, sich ganz am schönen Sein im Hier und Jetzt zu erfreuen. Sie gehen den Zukunftsgedanken nicht auf den Leim.
    Da hatte ich aber in ein Wespennest gestochen. Herr Litfass erwiderte erbost, ich hätte ja keine Ahnung vom Leben auf der Straße. Ein Leben ohne Zukunft sei doch kein Leben!
    Ernüchtert fragte ich, ob ich sonst noch etwas für sie tun könne, außer ihre Petition zu veröffentlichen. Ja, eine Sache gäbe es da noch. Sie hätten gerne eine Beleuchtung unter der Hutkrempe angebracht, damit man die Plakate auch bei Nacht lesen kann. „Beleuchtung“ nicht etwa „Erleuchtung“ betonten die Litfass. Sie hielten mich wohl für unzurechnungsfähig. „Eine Lichtkrone?“ fragte ich. „Genau!“, sie strahlten einander an und wankten freudetrunken von dannen.
    Simon (der nichts von Säulenheiligen versteht, aber Kranfahrer bewundert)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Wahrscheinlich war das ein Wahrtraum. Ich habe schon lange den Verdacht, dass diese Großfamilie Litfass von subtiler Arroganz ist. Ist ja nicht unüblich bei Leuten, die es gewohnt sind, sich öffentlich zu äußern. Gut, wenn die Leute für ihre Zukunft Paravent und Besen brauchen, sollen sie die haben (wir haben noch einen räudigen Besen im Keller). Aber ein Platz im Literaturmuseum geht zu weit. Gestern traf ich den Neffen von Herrn Litfass in der Stadt. Was brüllte er mir entgegen? "Schau mir in die Scheinwerfer, Kleines!" Im Vorbeifahren fing ich noch das Wort "Frühlingsgefühle" auf. Als Literaturrezensentin sage ich: Ein peinliches Wortspiel, das nach Aufmerksamkeit schielt, indem es einen berühmten Film zitiert und Romantik evozieren will (vergeblich), um Autos zu verkaufen. Plakative Sprache, die keine Nebensätze kennt. Man darf schon froh sein, dass das Komma nicht fehlt. So erschafft man vielleicht einen Bestseller, aber Bestseller sind in den seltensten Fällen auch Literatur. Wenn diese Leute Dich noch mal heimsuchen, schick sie zu mir. Ich werde sie mit meinem Verriss konfrontieren. Danach werden sie nicht mal mehr Unterwäsche anhaben. Ein Hoch auf alle Kranfahrer!

      Löschen
  3. Man könnte in Erwägung ziehen, ihnen einen Platz VOR dem Museum (nein, nicht dem LITERATURmuseum, sondern - wenn schon, denn schon - dem MEDIENmuseum) anzubieten, denn mit einer Indoor-Existenz wären sie wohl heillos überfordert.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das scheint mir ein vernünftiger und annehmbarer Kompromiss zu sein.

      Löschen
  4. So leicht gibt sich Familie Litfass nicht geschlagen. Sie lasen den Blog und suchten mich erneut heim. Ein Standplatz vor dem Literaturmuseum sei inakzeptabel, weil sie weiterhin der Straße ausgesetzt wären. Deshalb möchten sie die Strategie ändern und erst mal den Literaturnobelpreis 2018 verliehen bekommen. Der sei doch noch übrig! Ihre Wortkompositionen sind völlig neuartige Literatur, Dadaismus des 3. Jahrtausends und der braucht keine Nebensätze und keine Kommas. Hugo Ball hatte seine Gedichte übrigens als Obelisk verkleidet vorgetragen, der ihrer Meinung nach eine schlankere Form der Litfaßsäule sei. Er sei also auch einer ihrer Vorfahren und habe leider auch keinen Literaturnobelpreis bekommen.
    Ich konnte ihren Redefluss nur mühsam stoppen. Mein Gegenargument ist, dass die Leserichtung bei der Litfaßsäule nicht eindeutig ist. Um sie zu lesen, muss ich da linksherum gehen oder rechtsherum. Wo fange ich an zu lesen? Auf Augenhöhe und dann nach oben oder von oben nach unten. Oder eher irgendwo spontan zu lesen beginnen? Um dies zu klären braucht man zunächst Analysten, muss sich vermutlich mit Kryptologie-Nerds rumschlagen.
    Das hatten sie nicht bedacht und einen Moment war Ruhe. Ich konnte einen Vorschlag machen. Ob denn nicht ein Schönheitswettbewerb besser geeignet ist? Es gibt außerordentlich schöne Litfaßsäulen. Miss und Mister Litfaß Universe. Das schien sie zu überzeugen.
    Aber davor sei noch zu klären, ob das „Lit“ in Litfaß nicht etwa aus dem Englischen komme, etwa von Litter – Abfall. Vielleicht gibt es ja auch einen Preis für den größten Mülleimer, da würden ihre Chancen gut stehen, einen Preis zu gewinnen. Wutentbrannt verzogen sie sich. Könnte sein, dass wir sie nun wieder los sind.
    Simon

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Meine Güte, ist das eine aufdringliche Familie. Sollte einen ja nicht wundern nach der Lautstärke, mit der sie einen immer anbrüllen. Muss ich es nun gut finden, dass sie die Zugriffe auf meinen Blog mit ihrer Geschichte in astronomische Höhen getrieben haben? Ich bin eine ernsthafte Autorin und schreibe mit voller Überzeugung Bücher mit noblen Kleinstauflagen. Erfolg würde mir das Gefühl geben, mich bei der Masse angebiedert zu haben. Und jetzt das. Jedenfalls danke, dass Du Dich so wacker geschlagen hast.

      Löschen

Mit dem Absenden Ihres Kommentars bestätigen Sie, dass Sie meine Datenschutzerklärung (aufrufbar am Ende dieser Seite) sowie die Datenschutzerklärung von Google unter https://policies.google.com/privacy?hl=de gelesen und akzeptiert haben. Sie können Nachfolgekommentare gem. Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO durch Setzen des Häkchens rechts unter dem Kommentarfeld abonnieren. Google informiert Sie dann mit dem Hinweis auf Ihre Widerrufsmöglichkeiten durch eine Mail an die Adresse, die Sie angegeben haben. Wenn Sie das Häkchen entfernen, wird das Abonnement gelöscht und Ihnen eine entsprechende Nachricht übersandt. Sie können Ihren eigenen Kommentar jederzeit selber wieder löschen oder durch mich entfernen lassen.