Der Börsenverein des deutschen Buchhandels hat seine Jahres-Bestseller-Listen veröffentlicht. Mit einer Ausnahme kenne ich keins dieser meistverkauften Bücher. Da will ich doch gerne hier wieder einmal vier Romane vorstellen, die mich im letzten Jahr beeindruckt haben, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Garantiert keine Bestseller. Aber gute Geschichten und wunderbare Prosa.
Michael Ondaatje gehört zu meinen Lieblings-Schriftstellern. Seine Prosa ist schwebend und hochmusikalisch, seine Protagonisten sind Träumer, Staunende, die sich in keine bürgerlichen Existenzen fügen können und alle menschlichen Abgründe zu verstehen bereit sind. Sein neuer Roman
Kriegslicht gehört zu seinen besten Büchern. Nathanael und seine Schwester Rachel werden als Kinder von der Mutter verlassen, auch der Vater taucht nicht mehr auf. Beide werden von zwielichtigen Gestalten liebevoll erzogen. Erst als Erwachsener macht sich Nathanael auf die Suche nach der Mutter und entdeckt, dass sie im Krieg als Spionin gearbeitet hat.
(Hanser Verlag)
Angelika Overath ist eine sensible Autorin, die genau beobachtet; ihre Bücher haben für mich etwas zutiefst Aufrichtiges - ich darf ihrer Wahrnehmung vertrauen. In
Ein Winter in Istanbul vertieft sich ein schweizer Religionslehrer in die Lehre des Cusanus, lernt einen türkischen Kellner kennen, in den er sich verliebt, und als seine Verlobte aus der Schweiz kommt, müssen sich drei Menschen ihren Vorurteilen und Erwartungen stellen und werden am Ende des Winters nicht mehr die sein, die sie vorher waren.
(Luchterhand) Hier meine Rezension im SWR (klick)
Meine Entdeckung des Jahres:
Claire-Louise Bennett. Ihr Buch
Teich nennt sich Roman, aber Vorsicht: Hier passiert nichts. Hier wird geschaut, gehört, gerochen, nachgedacht; es ist eine Sammlung von Wahrnehmungen, die zu Assoziationsketten gesponnen werden. Da gelangt die Ich-Erzählerin beim Resümieren über den kaputten Kontrollknopf ihres Herdes zum Buch "Die Wand" von Marlen Haushofer und zu Erinnerungen an Liebhaber und Misserfolge. Und das alles in betörend schöner Sprache geschrieben.
(Luchterhand) Hier meine Rezension im SWR (klick)
Ich bin von allen Romanen von
Delphine de Vigan fasziniert (unbedingt lesen:
Tage ohne Hunger, das intime Protokoll der Heilung von einer Magersucht).
Loyalitäten erzählt aus der Perspektive von vier Menschen, wie wir bereit sind, unsere Wahrnehmungen zu verleugnen, um die Liebe nicht zu verlieren. Ein kleiner Junge wird zerrissen zwischen den getrennten Eltern und will sterben, eine traumatisierte Lehrerin schafft es nicht, ihm zu helfen, sein Freund will ihn nicht verraten und dessen Mutter greift zu spät ein, weil sie eigene Probleme hat.
(Dumont)
Tee kochen, Heizung aufdrehen, Leselampe einschalten. Lesen!