Donnerstag, 13. April 2017

Ratlose Tauben, ein beleidigter Kater und ich, die über unterschiedliche Prioritäten nachdenkt

Die restlichen Federn sind vom Winde verweht

Der Kater hat eine Taube gefleddert.

Ich habe das gar nicht mitbekommen. Es gab ein paar dumpfe Schläge auf dem Dach, und da sprang er schon auf den Balkon, der Kater, und legte mir ein großzüges Maulvoll Federn vor die Füße. Dann bemerkte ich die große Stille über mir. Das jährliche Balzgegurre auf dem Dachfirst war verstummt. Kein Nestbau mehr unter der Solaranlage, dort, wo kein Mensch hinkommt, ohne in Gefahr zu sein, sich den Hals zu brechen. Die Federn vor meinen Füßen waren Taubenfedern.

Zwei Stunden später entdeckte ich das Taubenpaar auf dem Dachfirst des gegenüberliegenden Hauses. Die eine sah an der rechten Seite aus wie gerupft. Beide wirkten irgendwie ratlos. Und waren sehr sehr still. Ihr Taubenuniversum war aus dem Lot geraten. Sie hatten doch nur einen sicheren Platz für ihren Nachwuchs gesucht; den Platz kannten sie seit Jahren, der war doch immer gut gewesen. Feinde, hatten sie gelernt, kommen von oben, in Form von Habicht, Bussard, Uhu. Welche Taube rechnet mit einer Katze auf dem Dach! Vielleicht müssen jetzt im Taubenhirn ganz neue neuronale Schaltungen gelegt werden. Man kennt das ja von Vögeln, die als Gemeinschaft das übernehmen, was einer der Ihren gelernt hat, wie Rupert Sheldrake in seinen Forschungen zu den morphogenetischen Feldern so eindrücklich zeigt. Also wird vielleicht in die Hirne aller künftigen Tauben einprogrammiert: Nistet nicht auf Dächern, da lauert der Feind. Und der Kater hätte einen wertvollen Beitrag geleistet zur Verminderung der Taubenpopulation in Städten.

Ich habe mit dem bösen Kater geschimpft. Da war er sehr beleidigt; er hatte doch nur getan, was Katzen eben so tun, und mir sogar diese schönen Taubenfedern zum Geschenk gemacht. Wenn er beleidigt ist, klappert er mit dem Gebiss und gibt ein Widermaunzen mit einem Knurren als Unterton. Ich schimpfe. Er knurrmaunzt. Er hat immer den letzten Ton, weil ich irgendwann aufgebe.

Ich sah dann das Taubenpaar wegfliegen. Die Gerupfte flog etwas taumelnd, aber sie flog. Und seitdem ist keine Taube mehr zu sehen in meinem Viertel.

Der gute Kater. Der mir so eine herrliche Stille erschaffen hat.

(Übrigens: Mal auf den kleinen Button "Kommentare" unten klicken. Da steht auch Lesenswertes. Man kann auch selbst Gedanken dort hinterlassen. Nur mal so als Anregung ...)

8 Kommentare:


  1. Man könnte diese Geschichte als Gleichnis benutzen, wie man mit unvorhersehbaren Situationen umgeht.Diesen wertfreien Blick,ohne Partei zu ergreifen, den Sie lb.Frau Irgang immer in Ihren Schilderungen haben, berührt mich immer wieder..... Liebe Grüße und frohe Ostern Gitti

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  2. Schöne, sonnige, friedvolle Ostern wünsche ich Ihnen, liebe Gitti Haas, und danke, dass Sie sich immer wieder die Mühe machen, hier einen Kommentar zu hinterlassen. Das ermutigt mich, weiterhin an meiner kleinen Internet-Welt zu bauen.

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  3. Fühle mich gerade wie die angeschlagene und halb gerupfte Taube und erhole mich gerade von einem "Angriff". Ich bin gespannt, was ich daraus lerne. Danke für den Beitrag, der mich hat lächeln lassen, obwohl ich gerade noch etwas benommen und verwirrt bin.
    Susanne

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    1. Ja, da muss man erst mal die Federn wieder ordnen und den Kopf ein Weilchen unter die Flügeldecke stecken.

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  4. so ein schöner Text liebe Margit Irgang, Sie sind gute und herz/hirnöffnende Schreiberin! Und die Geschichte erinnert mich daran, wie ich einen schlimmen Katerkampf im Garten beobachtet habe. Der Rasen war danach übersät von herausgerissenen Katerhaaren... Und dann kamen die Meisen. Haben die Flusen zum Bau ihrer Nester benutzt. Da sitzen die Meisenkinder schön warm und gepolstert mitten im Fell ihrer ärgsten Feinde... Frohe Ostern! Julia

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    1. Das ist eine schöne Geschichte! Meisen im Osternest ...

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  5. "Mmh. Bringt mich jetzt auch zum Nachdenken, Frau Irgang. Ich mag Tauben nur symbolisch und Katzen gar nicht, Dafür habe ich zwei Hunde. Die jagen Hasen und Katzen, wenn auch beide nur symbolisch. Sowohl die Hasen als auch die Katzen sind schneller und intelligenter als meine Hunde. Aber Tauben das Gefieder ausreissen tun meine Hunde dann doch auch nicht. Ich empfehle das fulminante Buch von Robert Darnton, Das Große Katzenmassaker - ein Arbeiteraufstand aus dem Frankreich vor der Revolution, in dem Katzen eine große und höchstsymbolische Rolle spielen. Auf jeden Fall vielen Dank Frau Irgang für diesen schönen Text, über den sich trefflich nachdenken lässt.“ HH

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    1. Vielen Dank, liebe Frau H. Grüßen Sie dennoch denjenigen Ihrer beiden Hunde, den ich kenne, auch wenn er Katzen jagt. Das Katzenmassaker werde ich mal in der Bibliothek suchen. Übrigens vielen Dank für die Empfehlung des Buches "Der Hase mit den Bernsteinaugen" von Edmund de Waal. Hervorragend!

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