Es war einmal (vor gar nicht langer Zeit) ein Rabbi, der mit seinen Schülern arbeitete, indem er alle Gefühle, mit denen sie sich schwer taten, in sich selbst erweckte. Der Schüler sagte also, er habe große Angst. Der Rabbi antwortete sanft: „Auch ich habe Angst.“ Und dann erschuf er dank seiner Präsenz einen Raum, in dem der Schüler und er gemeinsam die Angst aushalten konnten – wortlos und miteinander atmend. Der nächste Schüler sagte vielleicht, „Ich bin neidisch“, und der Rabbi antwortete sanft: „Auch ich bin neidisch.“ Die Methode des Rabbi funktionierte wunderbar, und seine Schüler galten als freie, mitfühlende, erwachte Menschen. Eines Tages erschien ein Schüler in dem kleinen Raum vor dem Rabbi und sagte herausfordernd: „Rabbi, du behauptest immer, alle Gefühle in dir zu haben, aber was ist mit dem Hass von Hitler?“ Der Rabbi schwieg lange, dann schickte er den Schüler aus dem Raum und bat ihn, die Tür zu schließen. Am Abend kam er wieder heraus, tränenüberströmt, und trat vor seine versammelten Schüler. „Nun bin ich siebzig Jahre alt“, sagte er. „Wie konnte ich all die Jahre den Hass von Hitler in mir übersehen?“
Hass, Gier, Angst und
Sehnsucht nach
allem, was uns vermeintlich glücklich machen wird, sind nicht "dort draußen" - in Diktaturen, Terrororganisationen, rechtsgerichteten politischen Kreisen. Sie sind in uns
allen angelegt.
Nach der US-Wahl strömten in meinen Posteingang die Mails von
buddhistischen
Lehrern und die der Schüler von Thich Nhat Hanh, und alle
fragten auf
irgendeine Weise: Was sollen wir jetzt tun? Wenn wir uns in
Aktivitäten
verwickeln, verschenken wir das Einzige, was wir tatsächlich tun können: Die
Gefühle wahrzunehmen und
sie in der sanften Präsenz unserer Achtsamkeit auszuhalten. Sie,
wie Thich Nhat
Hanh es formuliert, zu „umarmen“ – so lange, bis sie sich
aufgelöst haben. Und
sie werden sich
auflösen! Das ist das
Geheimnis der Praxis des Zen:
Absolut wach sein für alles, was im Inneren geschieht, es
genau wahrnehmen in
all seinen Facetten, nicht unterdrücken, nicht mit Erklärungen
zudecken, nicht davonlaufen,
nicht ausagieren, sondern aushalten und ..... Aaah! Ich bin frei von dieser Last!
Wenn wir
dies zu unserer Praxis machen, immer wieder aufs Neue, wenn es
uns
selbstverständlich geworden ist, dann werden wir eine gute
Wahl treffen,
wenn wir dazu aufgerufen sind – politisch, beruflich,
persönlich. Eine Wahl, die
nicht vom Ego bestimmt ist und nicht von unserer Unbewusstheit -
sondern von
etwas ganz, ganz Anderem.
Was das ist, müsst Ihr selbst
entdecken.