Freitag, 21. Juni 2024

Die Sonne wendet sich

 

Ein Feuerchen, das den Feen den Weg zu uns weist ...


Heute feiern wir den längsten Tag, also den höchsten Stand der Sonne. Und wenn wir noch eine klitzekleine innere Verbindung zu den alten Bräuchen unserer Vorfahren haben, entzünden wir ein großes Feuer und springen mutig darüber. Denn unsere Ahnen, die Kelten, glaubten, dass am Tag des höchsten Sonnenstandes die Feen der Menschenwelt ganz nahe kommen. Und damit sie sich den Menschen furchtlos nähern und von ihnen bemerkt werden konnten, mussten vorher die bösen Geister in der Aura der Menschen im Feuer verbrannt werden. 

Für unsere Vorfahren war die Sommersonnwende ein Fest der Freude und des Dankes an die Natur, die sie so üppig beschenkt hat. Sie sammelten die Sommerkräuter, die jetzt ihre höchste Kraft haben: Holunder, Johanniskraut, Arnika, Beifuß, Ringelblume und Schafgarbe. Auch das Kräuterbüschel wurde kurz ins Feuer gehalten, um ihm die Feuerkraft mitzugeben. Dann wurde es im Haus an den Balken gehängt und getrocknet, um im Winter zu heilendem Tee aufgegossen zu werden.

Und wir? Leider haben wir vergessen, das Licht zu feiern, als es seinem Höhepunkt zustrebte. Wir hätten genügend Zeit gehabt, immerhin sechs Monate lang. Aber wir waren zu beschäftigt mit Dingen allerhöchster Dringlichkeit, und außerdem hat es ja dauernd geregnet. Und jetzt - ja, heute Nacht, man fasst es nicht - beginnt sie schon, die dunkle Zeit. Ach was, eigentlich ist sie schon da, jedenfalls in unserem Gefühl und unseren mürrischen Mienen: diese schreckliche Düsternis, die Kälte, die uns in die Knochen kriecht. Wir frieren uns schon mal ein.

Aber es ist nicht zu spät, sie alle zu feiern, die wir zu lange als selbstverständlich hingenommen haben: die Himbeeren, Erdbeeren, den Spargel und Rhabarber, den Schnittlauch und die Petersilie, die Mohnblumen, Ringelblumen, Margeriten, die Gräser und Bäume, die Bienen und Wespen und Schmetterlinge. Wir feiern die Fülle, mit der die Natur uns beschenkt, einfach so, und unser Einsatz war nicht mehr als ein wenig Gießen, Düngen und Umgraben (oder ein paar Euro für den Bauern im Hofladen).

Übrigens: Erst in dem Moment, in dem die Sonne im Jahreslauf am Niedersinken ist, beginnt das große Reifen in der Natur. Erst in den kommenden Wochen röten sich die Himbeeren, werden die Johannisbeeren süß, duftet betörend der Jasmin. Die Rosensträucher biegen sich unter der Last der Blüten, wie es bald auch die Apfel- und Birnbäume tun werden, von den Rebstöcken ganz zu schweigen.

Vielleicht sollte man sich das mal merken: Erst wenn die Lebensbahn sich dem Ende zuneigt, beginnt die eigentliche Ernte.

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Mittwoch, 19. Juni 2024

Wie Hochsensible die Welt wahrnehmen


Das Thema Hochsensibilität wird von den Medien immer öfter aufgegriffen, und ich bin jedes Mal glücklich, wenn diese Persönlichkeits-Eigenschaft, mit der ich selbst lebe, auf seriöse Weise dargestellt wird. Hochsensible - ich bevorzuge allerdings den Begriff Hochsensitive - haben ein hoch erregbares Nervensystem, das auf Reize schneller und intensiver reagiert als das von Nicht-Hochsensitiven. Wir vertragen im Allgemeinen keinen Lärm und andere grelle Sinnesreize, und ein Besuch auf dem Weihnachtsmarkt oder der Hauptbahnhof in der Ferienzeit ist für uns eine Herausforderung. Weil Hochsensitive viel allein sein müssen, um ihre Energien wieder aufzuladen, werden sie leider oft mit Autisten verwechselt. Wir sind aber geradezu das Gegenteil. Während ein Autist Mühe hat, die Gefühlsregungen anderer Menschen nachzuvollziehen, lesen wir jede Regung im anderen, reagieren auf jede kleinste Geste und schwingen uns empathisch in unsere Mitmenschen ein. Wobei wir leider oft vergessen, unsere Grenzen zu wahren, und uns damit heillos überfordern.

3sat hat jetzt einen besonders guten und fundierten Film vom ORF übernommen: "Wie Hochsensible die Welt wahrnehmen".

Interviewt werden Hochsensible aus allen Lebensbereichen: Eine Managerin, eine Beraterin, eine Musikerin, ein Künstler, eine Lehrerin, eine Schauspielerin und sogar ein Polizeidirektor. Wie nehmen sie die Welt wahr, wie leben sie? Philipp Yorck Herzberg, Professor für Persönlichkeitspsychologie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, bringt das Wesentliche auf den Punkt: "Die Kunst ist, die Nische zu suchen, die zur eigenen Persönlichkeit passt."

Jede und jeder zeigt in diesem Film das Symbol, das für ihn oder sie Hochsensibilität an besten repräsentiert. Wir sehen etliche Schmetterlinge, Muschel, Mimose, Meeres-Schildkröte, Bonsai und sogar einen Drachen. Ich verrate euch mein Symbol: Es ist die Katze. Wer je mit einer Katze gelebt hat, weiß: Sie sieht und hört alles, auch wenn sie scheinbar schläft. Sie hat ungeheuer feine Antennen für die Gedanken und Gefühle des Menschen, der ihr begegnet, und lässt sich durch keine netten Worte und kein Lächeln täuschen. Als Symbol für meine Hochsensibilität habe ich sie vor allem deshalb ausgewählt, weil sie wie ich eine Einzelgängerin ist, die Menschenmassen meidet, sich anderen nur sporadisch anschließt und am liebsten alleine und in der Stille auf leisen Pfoten ihrer Wege geht.

Der Film ist bis Mitte August in der 3sat-Mediathek zu sehen und lohnt das Anschauen (auch für Nicht-Hochsensible!): Hier (klick)

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Mittwoch, 12. Juni 2024

Die Liebeserklärung


 

"Am Zeitungsstand im Supermarkt standen die Leser bei ihrer kostenlosen Morgenlektüre. Auch der kleine Junge war da, der damals in meinem Viertel wohnte. Er blätterte in einem Comic-Heft. Die Frau, die zu ihm gehörte, las eine der bunten Illustrierten. Der Junge war ein Sonnenschein, der allen Menschen zulächelte. Ich lungerte in der Kosmetikabteilung herum, um mich von dem Kind noch ein wenig bescheinen zu lassen.

Der Kleine, der auf dem Boden kniete, sah zu der Frau auf. Von seinem Blickwinkel aus sah er zweifellos kein Gesicht, sondern eine Illustrierte mit Beinen. Schmeichelnd fragte er: 'Oma?' Die Frau überflog die Affären der Prominenz. Länger als zehn Minuten konnte sie das kaum tun, sonst hätte sie die Zeitschrift kaufen müssen. 'Oma', sagte der Junge, 'ich möchte dir was sagen.' Die Frau blätterte. 'Oma', sagte das Kind, 'ich hab dich lieb.'

Die Frau gab einen routiniert klingenden Laut von sich, ein seit Jahrhunderten bewährtes „Hmm“, das aufdringliche Kinder abwimmelt. Etwas aber musste durch das Papier gesickert sein, eine Energie, die sich zwischen Seitensprüngen und Scheidungsgerüchten hindurchgeschlängelt hatte. Verwirrt hielt die Frau im Lesen inne und schaute sich um auf der Suche nach dem, was da in ihr Leben gekommen war. Unter ihr wendete sich der Junge befriedigt wieder dem Comic zu. Er hatte gesagt, was er zu sagen hatte. Die Frau sah ratlos die Illustrierte an, schlug sie enttäuscht zu und stellte sie zurück ins Regal."

Die Welt ist voll von nicht empfangenen Liebeserklärungen. Pass auf, dass Du die an Dich gerichteten nicht verpasst.




Dies ist der Beginn meines Essays "Schönheit liegt im Detail" aus der Ursache\Wirkung 116. Wie geht die Geschichte weiter? Das liest Du hier (klick)

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Donnerstag, 6. Juni 2024

Die Natur ist beseelt

 


Als ich das erste Mal in Plum Village war, sah ich mit Überraschung, dass die Nonnen Bäume umarmten. Auf diese Idee war ich bis dahin nicht gekommen, aber da es als eine Praxis betrachtet wurde, suchte auch ich mir einen Baum aus, der mich ansprach. Er hatte eine glatte Rinde und war so schlank, dass meine Arme ihn umfassen konnten. Welch eine Überraschung: Ich umarmte ein lebendes Wesen. Es pulsierte, es atmete, und ich atmete mit ihm.

Das war Anfang der 1990er Jahre, und ich traute mich nicht, über diese Erfahrung zu schreiben. Ich galt sowieso als eine Romantikerin, die eine "animistische Weltsicht" vertrat. Aber wie schnell haben sich doch die Ansichten geändert. Man darf heute sagen, dass die Natur beseelt ist, ohne seine Reputation in der akademischen Welt zu verlieren. Einer, der das auf sympathische und kluge Weise tut, ist der Biologe und Philosoph Andreas Weber.

In diesem Interview mit Olivia Röllin in der Sendung des Schweizer Fernsehens "Sternstunde Religion" spricht er davon, dass das Weltbild der Dualität an sein Ende gekommen ist. Den Begriff "Natur", der die Vorstellung eines Gegenübers erzeugt, ersetzt er durch "lebendige Wirklichkeit". Unsere Interaktion mit dieser Wirklichkeit ist ein "Prozess der gegenseitigen Durchdringung, die Individuen gebiert, die sich nach Entfaltung sehnen und dadurch auf andere Individuen angewiesen sind".

"Wir müssen wieder lernen, zu denken wie ein Berg", sagt er. Immer wieder radelt er in den Grunewald zu "seiner" Eiche, die er als eine Mentorin bezeichnet. Ich wünsche mir, dass viele Menschen dieses halbstündige Interview anschauen und vielleicht einen ganz neuen Zugang finden zu der lebendigen Wirklichkeit, von der wir alle ein Teil sind. Weber fasst seine Weltsicht in dem schönen Satz zusammen: "Gaia - die lebende Welt - ist ein Akteur geworden und hat eine politische Stimme. Sie antwortet uns, und wir können mit ihr Bündnisse schließen."

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Samstag, 1. Juni 2024

Werkbegegnung: Zur Sprache bringen



 "Werkbegegnung Pusteblume". 😊 Links: A.B., Zeichnung. Rechts: M.I., Fotografie.

 

Wenn Du zufällig in der Nähe von Schwäbisch Gmünd/Aalen lebst, sei herzlich eingeladen zu einem besonderen Event: einer Werkbegegnung von Kunst und Literatur mit meinem Künstler-Freund Alfred Bast und mir. 

 

"Zur Sprache bringen" - Dichtung, Kunst und Bilder
Lesung und Gespräch

16. Juni 2024, 14.30 Uhr
Kunstraum Hohenstadt


Abtsgmünder Straße 5
73453 Abtsgmünd-Hohenstadt

 

Was Dich erwartet? Wir wissen es selbst noch nicht. Alfred und ich sind neugierig und folgen weder in unserer Arbeit noch in unserem Leben festen Vorstellungen, Erwartungen oder Überzeugungen. Wir sind mehr daran interessiert, mit offenen Sinnen wahrzunehmen, was um uns herum geschieht. Uns von der sich unablässig verändernden Natur und den Begegnungen mit Menschen inspirieren und berühren zu lassen. Und das Empfangene setzen wir dann um - in Bilder, in Skulpturen, in Sprache, in Sprach-Bilder.

Es wird also um Wahrnehmung gehen, um Farben und Formen und Rhythmus und Klang, um Sehen und Lauschen, um Begegnung und Austausch. Wie Alfred sagt: "Kommunikation ist das Herz der Kunst".

Alfred und ich haben schon etliche Projekte miteinander realisiert. Sein Werk finde ich sehr inspirierend. Schau mal hier auf seine Website (klick).

Ich würde mich freuen, Dich in Hohenstadt zu sehen.

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