Ich war sehr jung. Es war Sommer, mein Freund und ich waren unterwegs nach Spanien, und weil ich in irgendeiner Zeitschrift ein Bild von einer atemberaubend schönen Kapelle gesehen hatte, die, wie ich fand, auf dem Weg lag (was ein Irrtum war), suchten wir in der Franche-Comté nach dem Wunder, und als er (nicht ich) schon ungeduldig wurde, sahen wir sie, hoch oben auf einem Hügel. Le Corbusiers Chapelle Notre-Dame-du-Haut in Ronchamp.
Ich wollte nicht mehr weg. Diese Stille. Das Licht. Die Farben. Das, dachte ich, ist Architektur, in der ich atmen kann. Er aber wollte nach Spanien. Ich kaufte eine Ansichtskarte, die bis heute in meinem Besitz ist, und fasste den Entschluss: Da will ich noch mal hin.
Es dauerte fast fünfzig Jahre. Am Sonntag war ich noch einmal dort. Weil man seine Entschlüsse umsetzen soll, solange man noch Zeit dafür hat.
Auf dem Hügel stand bereits eine unbedeutende Kapelle, die im Zweiten Weltkrieg zerbombt wurde. Ein fortschrittlicher Dominikaner wollte Le Corbusier gewinnen, eine moderne Kapelle zu bauen, aber der Atheist lehnte ab: Er hatte keine Lust, "für eine tote Institution" zu arbeiten. Irgendwie gelang es, Le Corbusier 1950 auf den Hügel zu locken, und als er dort oben stand und in die Weite blickte, war er gewonnen.
Die Kapelle ist gebaute Poesie. Das Mauerwerk besteht aus den Abbruchsteinen der alten Kapelle, Zement und Stahl. Le Corbusier: "Große Kunst entsteht aus einfachen Mitteln." Das frei schwingende Dach ist dem Panzer einer Krabbe nachgebildet, der Innenraum nach dem Lauf der Sonne ausgerichtet, denn die Kapelle ist ausschließlich mit Tageslicht beleuchtet. Wenn die östliche Kapelle im Tagesverlauf dunkler wird, wird die westliche heller. "Raum, Licht und Ordnung. Das sind die Dinge, die Menschen genauso brauchen wie Brot oder einen Platz zum Schlafen."
Natürlich rief der Bau Empörung hervor, vor allem bei den Vertretern der Kirchen, aber auch bei Kunsthistorikern. Von "neuem Irrationalismus" war die Rede und von der "Abweichung vom richtigen Weg".
Ich sitze in leuchtenden Farben. Die Glasbausteine hat Le Corbusier selbst bemalt; sie zeigen Motive aus der Natur, immer wieder das Meer und eine Hommage an seine Mutter Marie. Die gewölbte Wand eines Seitenaltars ist in einem so intensiven und gleichzeitig sanften Rot gehalten, dass meine Kamera bei der Wiedergabe versagte. Dieser Altarraum mit seiner bergenden Geste ist für mich ein intimer weiblicher Ort, ein Uterus.
Unterhalb der Kapelle erbaute der Architekt Renzo Piano das Kloster der Clarissen, das 2011 eingeweiht wurde und ebenfalls heftige Kritik auslöste, weil das Neue und vielleicht auch das Schlichte in einer Welt der Übereinkünfte und des So-war-es-schon-Immer eine Provokation ist. Das Kloster schmiegt sich unauffällig in den Berg, ich hätte es fast übersehen. Es gibt ein Nähatelier, eine Bibliothek, das Refektorium, Gästezimmer und zwölf Zellen, die ich natürlich nicht besuchen durfte. Sie alle haben Bett, Schreibtisch und Stuhl aus Zedernholz. Die Böden sind in warmem Orange gehalten. Gibt es irgendwo auf der Welt ein moderneres, ästhetischeres Kloster als dieses? Auch Piano spielt mit Oberlichtern, und ich hatte das Glück, einen Moment aufleuchtender Sonne in der Kapelle zu erleben.
Wie fruchtbar es doch ist, vom "richtigen Weg" abzuweichen und etwas zu erschaffen, das die sogenannten Vernünftigen als "irrational" ansehen.
Le Corbusier war mehr Künstler als Architekt (ein Metier, das er übrigens nie studiert hatte). Deshalb wusste er etwas, das Ingenieuren möglicherweise entgeht: "Der gegenwärtige Moment ist kreativ, er erschafft mit unerhörter Intensität."
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